Wer am Bürogebäude am Stadtrand von St.Petersburg vorbeigeht, würdigt es keines zweiten Blicks. Doch im Innern des unauffälligen Hauses mit den blickdichten Vorhängen führt eine Armee von Online-Söldnern im Internet einen Propagandakrieg für Russland – rund um die Uhr.
Lange war nicht viel über die «Agentur zur Analyse des Internets» bekannt. In den letzten Wochen – zuletzt die 34-jährige Russin Ljudmilla Sawtschuk Anfang Woche – haben sich aber gleich mehrere Ex-Mitarbeiter öffentlich geäussert und geben einen einmaligen Einblick in die Troll-Fabrik.
Rund 400 Angestellte arbeiten rund um die Uhr in der Agentur, aufgeteilt in Räume mit jeweils 20 Mitarbeitern. Eine Schicht dauert jeweils 12 Stunden, um 9 Uhr morgens und abends ist Schichtwechsel, wie ein anonymer Ex-Mitarbeiter dem britischen Guardian sagt.
In einer 12-Stunden-Schicht muss jeder 135 Kommentare in Foren und Sozialen Netzwerken schreiben, wer weniger hinbekommt, erhält einen Lohnabzug, sagt der Blogger mit dem Pseudonym Marat Burkhard in einem Interview mit dem kremlkritischen Medium Radio Free Europe.
Gemäss Ljudmilla Sawtschuk, die sich am Dienstag in einem Bericht der Agentur AFP als Ex-Trollin outete, beträgt das monatliche Salär zwischen 40'000 und 50'000 Rubel (700 bis 900 Franken) – das ist mehr, als ein Journalist in Russland verdient.
In der Agentur herrscht eine bedrückende Stimmung der Angst und Überwachung. «Überall gibt es Kameras», sagt Sawtschuk, Gespräche fänden kaum statt. «Wer eine Minute zu spät kommt, muss eine Busse von 500 Rubel bezahlen», sagt Burkhard. Sogar fürs Lachen könne man gefeuert werden.
Die Tätigkeit sei sehr hart, so Sawtschuk, pausenlos müssten die Mitarbeiter grosse Mengen an Kommentaren im Internet veröffentlichen. Viele würden entlassen, weil sie die geforderten Ansichten nicht in die richtigen Worte kleiden könnten.
Gemäss Marat Burkhard lief die Arbeit in seiner Abteilung immer nach einem bestimmten Schema ab. Ein Dreierteam von Trollen knöpft sich ein Forum vor und schlüpft dafür in bestimmte Rollen:
Barack Obama ist ein beliebtes Ziel der Propagandamaschine. Marat Burkhalter erinnert sich an einen der absurdesten Aufträge. Nachdem der US-Präsident in Indien einen Kaugummi ausgespuckt hatte, mussten ihn die Trolle fertigmachen, mit dem Fazit: Obama ist ein schwarzer Affe, der von Kultur keine Ahnung hat.
Die Trolle erhalten einen auf dem Handy gespeicherten Tagesbefehl, zu dem sie 135 Kommentare schreiben müssen. Zum Beispiel: NATO-Truppen unterstützen die ukrainischen Soldaten.
Zuerst eröffnet ein Troll aus einer anderen Abteilung die Diskussion mit einem Post: Er behauptet, ausländische Söldner würden Seite an Seite mit ukrainischen Soldaten kämpfen. Und er verlinkt auf ein Video, das angeblich zwei US-Armeeangehörige in der südukrainischen Stadt Mariupol zeigt.
In der Troll-Fabrik arbeiten überwiegend junge Leute, viele Studierende. «Politik war ihnen vollkommen gleichgültig, sie nahmen nichts ernst. Für sie war es bloss eine Art, Geld zu verdienen», sagt Sawtschuk.
Daneben gebe es aber auch einige ältere Fanatiker, die völlig in ihrer Aufgabe aufgegangen seien. Burkhards Aussagen bestätigen das: «Einige regten sich sogar in der Mittagspause über die Dinge auf, über die sie den ganzen Tag schrieben.»
Die Vorgesetzten verdienen doppelt so viel wie die Schreiber. Sie überwachen die Veröffentlichungen ständig und rügen ideologische Fehlgriffe. Wer den Erwartungen nicht entspricht, wird gefeuert.
Die ominöse Agentur zur Erforschung des Internets ist für die Öffentlichkeit nicht zugänglich. Einzig Jobanzeigen im Internet, in denen «Redakteure» und
«Content Manager» gesucht werden, deuten auf ihre Existenz hin. Kandidaten können sich über eine Internetseite bewerben.Gemäss Burkhard müssen Neulinge erst Probe-Kommentare zu einem neutralen Thema verfassen, um ihr Können unter Beweis zu stellen. Nach dieser ersten Hürde werden Kommentare zum Thema verlangt. Etwa: Was denken Sie über humanitäre Konvois in Donetsk?
Zum Einstellungsverfahren gehört auch ein Test mit rund 20 Fragen. Zum Beispiel: «Was will Russland in der Republik Donetsk erreichen?» Wer zu viele Fehler macht, fliegt, wer wenige Fehler macht, muss ihn wiederholen.
Wer Kommentare auf Englisch verfassen kann, erhält einen höheren Lohn (bis 1100 Franken im Monat). Burkhard sei dafür in Frage gekommen. Er vermutet jedoch, er habe den Posten als Englisch-Troll nicht bekommen, weil er sich als «apolitisch» bezeichnet hat. Für eine solche Stelle kommen offenbar nur Überzeugungstäter in Frage.
zombie woof
Hr. Döpfel
elivi