Im Westen wächst die Anspannung vor der für Mitte September geplanten russisch-belarussischen Militärübung Sapad-25 in Belarus. Vor allem Polen und die baltischen Länder befürchten, dass Kremlchef Putin und sein Vasall Lukaschenko die Übung als Vorwand nehmen könnten für einen Angriff auf die Nachbarn – es wäre nicht das erste Mal in der Geschichte. Und Kriegsherr Putin weiss genau, wie er die Ängste befeuern kann.
So hat der belarussische Verteidigungsminister in dieser Woche angekündigt, dass bei Sapad-25 auch der Einsatz taktischer Atomwaffen trainiert werden soll. Konkret sollen die Soldaten den Umgang mit der Mittelstreckenrakete Oreschnik (Haselnuss) üben, in der Nato bekannt unter dem Kürzel SS-X-34. Grössere Bekanntheit erlangte die Waffe am 21. November 2024, als Russland eine Oreschnik auf die ukrainische Stadt Dnipro abfeuerte. Diese Bilder vom Einschlag der Sprengköpfe schockierten damals viele Menschen:
Der Einsatz der Oreschnik befeuerte auch die Sorge, dass Russland in der Ukraine mit Atomwaffen zuschlagen könnte. Die genauen Spezifikationen der ballistischen Rakete sind unter westlichen Experten zwar umstritten; es gilt aber als wahrscheinlich, dass die Oreschnik auch mit Atomsprengköpfen bestückt werden kann. Nicht umsonst kündigte die russische Armee den Start der Rakete eine halbe Stunde vorher bei der US-Armee an, damit diese nicht von einem beginnenden Atomkrieg ausgehen würde.
Nach dem Angriff auf Dnipro im November 2024 war zunächst unklar, ob es sich bei der Oreschnik um eine Mittelstrecken- oder eine Interkontinentalrakete handelt. Aus den gefundenen Trümmerteilen schlossen westliche Experten aber, dass es sich bei der Oreschnik um eine modifizierte Version der Interkontinentalrakete RS-26 Rubesch handeln dürfte, die für kürzere Reichweiten modifiziert wurde.
Die Reichweite der Oreschnik wird auf 3'000 bis 5'000 Kilometer geschätzt – und wäre damit eigentlich geächtet unter dem INF-Abrüstungsvertrag, aus dem sich Russland Anfang August auch offiziell zurückzog. Der 1988 in Kraft getretene INF-Vertrag sah die Abschaffung aller landgestützten Raketen und Marschflugkörper mit einer Reichweite zwischen 500 und 5'500 Kilometern vor. Explizit verboten war die Entwicklung neuer Raketen unter dem INF-Vertrag aber nicht, wie der Militärexperte Fabian Hoffmann betont.
Dass Moskau kaum Angaben zu den Eigenschaften der Oreschnik machte, dürfte Teil einer Verdunkelungsstrategie über die eigenen nuklearen Fähigkeiten sein. Bekannt ist aber, dass die Oreschnik bis zu sechs Sprengköpfe tragen, die sich beim Widereintritt in die Atmosphäre von der Rakete lösen und verschiedene Ziele ansteuern können. Besonders präzise treffen die Sprengköpfe aber wohl nicht, da es bei Atomwaffen auch nicht so sehr eine punktgenaue Landung ankommt. So hielten sich wohl auch die Schäden in Dnipro nach dem Oreschnik-Angriff in Grenzen.
Für westliche Militärplaner ist die Oreschnik gleichwohl eine Herausforderung. Aufgrund ihrer unklaren Eigenschaften und ihrer Zwitterstellung zwischen Mittel- und Langstreckenrakete ist auch nicht klar, welche russischen Truppenteile über die Waffe verfügen. Interkontinentalraketen unterstehen den 1959 eingerichteten Strategischen Raketentruppen. Denkbar scheint aber auch, dass die von Lkw abgefeuerte Oreschnik denselben Truppen unterstehen, die auch für Russlands Mittelstreckenraketen vom Typ Iskander verantwortlich sind.
Auch aus den Ankündigen zur Sapad-25-Übung in Belarus geht nicht hervor, welche Truppenteile mit der Oreschnik üben sollen. Nach offiziellen Angaben aus Russland und Belarus sollen 13'000 Soldaten an der Übung teilnehmen, die von 12. bis 16. September auf einem Militärstützpunkt bei Minsk abgehalten werden soll. Es ist die erste Sapad-Übung seit 2021. Die Nervosität im Westen ist auch deshalb gross, weil Sapad-21 als Vorbereitung für den Überfall auf die Ukraine im Februar 2022 galt.
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