Die ukrainische Armee gerät im östlichen Gebiet Donezk zunehmend unter Druck – hat vorerst aber eigenen Angaben zufolge alle Vorstösse der Russen abgewehrt. Seit der Eroberung der Nachbarregion Luhansk konzentrieren die Russen ihre Angriffe im Donbass auf Donezk, wo sie bislang rund 60 Prozent des Territoriums erobert haben.
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Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj bat vor diesem Hintergrund um neue westliche Waffen – und bedankte sich zugleich für die bislang schon gelieferten, die erfolgreiche Gegenoffensiven ermöglichten. «Jeder Angriff auf die Munitionsdepots des Feindes, auf seine Kommandoposten und auf Ansammlungen russischer Technik rettet unser aller Leben, das Leben der ukrainischen Soldaten und Zivilisten», sagte er.
Es seien russische Offensiven in Richtung der Städte Slowjansk, Bachmut und Awdijiwka zurückgeschlagen worden, teilte der ukrainische Generalstab in seinem Abendbericht mit. Insbesondere um Bachmut toben seit Tagen heftige Kämpfe. Die Kleinstadt gilt als ein Eckpfeiler des Verteidigungssystems rund um den letzten von Ukrainern gehaltenen Ballungsraum im Donbass. Sollten Bachmut und andere kleinere Orte fallen, wäre der Weg für Russlands Truppen weitgehend frei in Richtung der Grossstädte Slowjansk und Kramatorsk.
Der ukrainische Präsident Selenskyj lobte unterdessen seine Streitkräfte für erfolgreiche Gegenangriffe – und hob dabei die Rolle westlicher Waffen hervor. In der vergangenen Woche habe die ukrainische Armee «starke Ergebnisse» bei der Zerstörung russischer Kriegslogistik erzielt, sagte Selenskyj in seiner Videoansprache in der Nacht zum Sonntag.
Selenskyj dankte westlichen Partnern für bisherige Waffenlieferungen. Er verwies insbesondere auf die USA, die vor einigen Tagen weitere Rüstungslieferungen an die Ukraine in einem Umfang von 550 Millionen Dollar angekündigt hatten. Darin sollen unter anderem Munition für das Mehrfachraketenwerfersystem Himars und 75'000 Artilleriegranaten enthalten sein. Zugleich bat Selenskyj um weitere Militärhilfe.
Im südukrainischen Gebiet Cherson ist Angaben der russischen Besatzungsverwaltung zufolge eines ihrer Mitglieder nach einem Anschlag gestorben. Der stellvertretende Leiter der von den Russen in der Stadt Nowa Kachowka eingesetzten Verwaltung, Witalij Gura, sei seinen Verletzungen erlegen, schrieb die prorussische Politikerin Jekaterina Gubarewa auf Telegram. Auch die staatliche russische Nachrichtenagentur Ria Nowosti meldete Guras Tod. Demnach soll er früher am Tag in der Nähe seines Hauses von Unbekannten mit einer Schusswaffe angegriffen worden sein.
Infolge des seit rund fünfeinhalb Monaten andauernden Angriffskriegs gegen die Ukraine haben russische Truppen in der Südukraine mehrere Gebiete erobert und dort eigene Verwaltungen installiert. Insbesondere in Cherson gab es seitdem wiederholt Proteste aus der Bevölkerung gegen die neuen Besatzungsmacht. Immer wieder berichteten russische und prorussische Medien auch von Anschlägen.
Das erste Frachtschiff mit ukrainischem Getreide seit Kriegsbeginn legt später als erwartet im Libanon an. Die für diesen Sonntag geplante Ankunft des Schiffes «Razoni» sei abgesagt worden, berichtete die ARD unter Berufung auf den ukrainischen Botschafter im Libanon. Zu den Gründen wurden keine Angaben gemacht. Die staatliche russische Nachrichtenagentur Tass berichtete unter Berufung auf eine Quelle der Hafenverwaltung im nordlibanesischen Tripoli, der Frachter werde dort am Dienstag anlegen – er habe seine Route geändert.
Als Reaktion auf einen umstrittenen Bericht zur Kriegsführung der ukrainischen Armee trat die Leiterin der ukrainischen Filiale der Menschenrechtsorganisation Amnesty International zurück. «Wenn Sie nicht in einem Land leben, in das Besatzer einfallen, die es in Stücke reissen, verstehen Sie wahrscheinlich nicht, wie es ist, eine Armee von Verteidigern zu verurteilen», schrieb Oxanna Pokaltschuk auf Facebook.
Amnesty hatte in einem am vergangenen Donnerstag veröffentlichten Bericht der ukrainischen Armee unter anderem vorgeworfen, sich in Wohnvierteln zu verschanzen und damit Zivilisten unnötig in Gefahr zu bringen. Pokaltschuk hielt ihren ehemaligen Kollegen nun vor, der Bericht sei nicht sauber genug aufbereitet. In Kiew wird ausserdem kritisiert, durch den Fokus auf Verfehlungen der Armee des angegriffenen Landes werde eine Täter-Opfer-Verkehrung betrieben.
Reist der Papst in Kürze in die Ukraine? Dieses Gerücht hat der ukrainische Botschafter im Vatikan nach einer Audienz bei Franziskus befeuert. Die Ukraine warte seit Beginn des russischen Angriffskrieges auf das Oberhaupt der katholischen Kirche, schrieb Andrij Jurasch bei Twitter. Und man werde sich freuen, «ihn noch vor seiner Reise nach Kasachstan zu begrüssen». Der Pontifex plant für 13. September einen Drei-Tages-Trip nach Kasachstan. Der Vatikan machte keine Details der Unterredung mit Jurasch öffentlich, sondern bestätigte nur das Treffen am Samstagvormittag.
Im Gebiet Donezk verteidigt die ukrainische Armee weiter den letzten grossen Ballungsraum, der im Donbass noch unter ihrer Kontrolle steht. Insbesondere die strategisch wichtige Kleinstadt Bachmut steht stark unter dem Druck russischer Angriffe. (sda/dpa)