Natalja Usmanowa ist eine Frau, der die Müdigkeit und das Entsetzen ins Gesicht geschrieben stehen. Sie wurde aus dem Stahlwerk von Mariupol evakuiert und war weltweit zu sehen in ihrer hellgrünen Jacke und dem türkisfarbenen Strickschal. Deutsche, britische, auch russische Sender zeigten die Ukrainerin. Nach der Evakuierung sagte sie vor den Kameras: «Wir hatten nichts mehr zu essen, sie liessen uns nicht raus, es war Terror.»
Wer «sie» sind, sagte sie nicht, von wem der Terror ausging, auch nicht. Es war aber klar, wen sie damit meinte: die russischen Angreifer.
Die russische Nachrichtenerzählung lautete danach jedoch so: Ukrainische Nationalisten hätten die friedliche Zivilbevölkerung als menschliche Schilde missbraucht, den Menschen nichts zu essen gegeben, sie nicht rausgelassen und terrorisiert, auf Befehl des ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenski.
Russische Staatsmedien strahlten Usmanowas Worte in diesem Kontext sinnentfremdet aus. Sie suggerierten, die Aussagen wären eine Bestätigung für das staatlich geprägte Narrativ vom «ukrainischen Regime voller Nazis». Usmanowas Auftritt zeigt, wie die russische Propaganda mit einfacher Manipulation eine Erzählung in ihr Gegenteil verdreht.
Dass so viele Russinnen und Russen die Lügen des Kremls aus vollem Herzen glauben, hängt auch mit dem Mediensystem im Land zusammen. 90 Prozent der Bevölkerung, so hat es das unabhängige Umfrageinstitut Lewada-Zentrum in Moskau ausgerechnet, informieren sich vorwiegend über TV. In vielen russischen Haushalten läuft der Fernseher permanent. Kritiker der Staatspropaganda nennen das Gerät «Zombie-Kiste».
Wer die Macht über die Medien hat, hat auch die politische Macht im Staat, so war das bereits zu Sowjetzeiten und so wurde es auch in den 1990ern gepflegt, wenn auch mit anderen Mitteln. Oligarchen schufen ganze Medienimperien und bekämpften sich teils untereinander über die Streuung von Informationen. Dennoch schaffte das eine gewisse Vielfalt in der Medienlandschaft der 1990er-Jahre. Satire und Kritik an den Regierenden gehörten zum Programm. Auch unabhängige Medien durften offen den Staat kritisieren.
Das änderte sich mit dem Machtantritt Putins und lässt sich an der Zerschlagung des Senders NTW sehen. 1993 von dem früheren Theaterregisseur Wladimir Gussinski gegründet galt NTW als Leuchtturm journalistischer Berichterstattung. Wenige Tage nach Putins Amtseinführung als Präsident im März 2000 stürmten maskierte Männer mit automatischen Waffen in die Redaktionsräume des Senders. Gussinski wurde angeklagt, staatliche Mitteln veruntreut zu haben und zum Verkauf seines Medienunternehmens gezwungen. Die Kontrolle übernahm der Staatskonzern Gazprom. Seither verbreitet NTW nur noch Nachrichten auf der Linie des Kremls.
Journalisten in Russland werden – wie bereits zu Sowjetzeiten – als Mediensoldaten gesehen, die von oben diktierte Botschaften unters Volk bringen. Weil sie beim Staat arbeiten und dabei sehr gut verdienen, unterstützen sie die Arbeit der Regierung. Deshalb sprechen die Reporter im Staats-TV stets von «wir», wenn sie über die russische Regierung berichten. Die Gleichschaltung der Medien macht es den Menschen im Land nicht einfach, an unabhängige Informationen zu gelangen. Zumal Russlands willfährige Justiz alles dafür tut, den unabhängigen Nischenmedien den Garaus zu machen, indem sie kritische Journalisten zu «ausländischen Agenten» erklärt.
Der Staat verschärft die Gesetze, droht bei «Fake News» mit bis zu 15 Jahren Haft, wobei «Fake» schon das Hinterfragen der offiziösen Darstellung ist. Die Regierung sperrt Seiten und zwingt unabhängige Journalisten ins Exil. Manche lassen es sich zwar auch dort nicht nehmen, die russische Bevölkerung zu informieren. Nur: Gegen die Giganten des Staates kommen sie mit ihren Streams bei Youtube kaum an.
Und so können die staatlichen Sender in aller Ruhe ihre «höllische Psychotherapie» betreiben, wie der russische Autor Dmitri Gluchowski die Machart der staatlichen Berichterstattung bezeichnet. Sei ein Mensch im wahren Leben gedemütigt und machtlos, so jubele ihm der Staat ein Gefühl für die Grossartigkeit der russischen Nation unter. Sei er frustriert und verbittert, so verweise man ihn auf ein Objekt, auf das er seine Wut richten könne. Erlebe er Unsicherheit und Angst, so erkläre ihm der Kreml die Teilnahme an einer grossen Mission, die sein Leiden und seine Entbehrungen rechtfertigten. Die Fernsehpropaganda wird so zu etwas Religiösem. Deshalb wohl sagen viele Russen: «Ich weiss vieles nicht, aber ich glaube es.»
Irgenwann werden sie oder ihre Kinder das ausbaden müssen.
Ich fand ebenfalls logisch, dass damit die russischen Angreifer gemeint waren, doch belegen konnte ich sowas auch via Google nicht.
Mittlerweile habe ich es satt, darüber mit Freunden zu sprechen. Genau wie das Impfthema wird alles immer schön zurecht verdreht.