Im Russland von Wladimir Putin ist der Allerreichste gleich Wladimir Putin selbst. Darauf deuten etwa Informationen eines Whistleblowers hin, das Datenleak Panamapapers, Nachforschungen westlicher Behörden oder Recherchen des inhaftierten Korruptionsjägers Alexey Navalny. Die Sprecherin des US-Repräsentantenhaus, Nancy Pelosi, meinte darum: «Putin ist wahrscheinlich der reichste Mann der Welt.»
Warum er in Russland befiehlt und die Oligarchen gehorchen müssen.
Ein bescheidener Diener des Staates: Das ist das Bild von Putin, das der Kreml gerne kultiviert. Dazu werden die entsprechenden offiziellen Zahlen geliefert, wie es alle Staatsangestellten jährlich tun müssen. Putin soll pro Jahr umgerechnet 140'000 Dollar verdienen und ein kleines Appartement besitzen.
Und der Kreml verteilt fleissig Bilder eines Naturmenschen, wie er durch sibirische Wälder streift. Wenn Putin dennoch Jachten und Schlösser nachgesagt werden, dann behaupten TV-Moderatoren in ihren staatlich kontrollierten Shows schlicht: «Putin braucht keinen Luxus.»
Diesen Schein hält Putin nicht immer aufrecht. An einer Rede trug er einen Mantel des italienischen Luxus-Schneiders Loro Piana, der über 10'000 Franken kostet. Früher wurde er fotografiert mit einer Luxusuhr des Schweizer Herstellers Patek Philippe, für die man 60'000 Dollar hinblättern muss.
Und seine Kritiker nahmen ihm den Staatsdiener nie ab. Nach ihren Schätzungen hat Putin ein gewaltiges Vermögen angehäuft. Der Politaktivist und Financier Bill Bowder tippte 2017 vor dem US-Kongress auf bis zu 200 Milliarden. Putin wäre damit der reichste Mensch der Welt gewesen.
Zum Vergleich: gemäss dem Milliardärs-Index von Bloomberg trägt derzeit der Tesla-Gründer Elon Musk den Titel des reichsten Menschen der Welt. Sein Vermögen schwankt mit dem Börsenkurs des Elektroauto-Herstellers, aber zuletzt stand es bei 200 Milliarden. Musk selbst sagte einmal: «Ich glaube, dass Putin bedeutend reicher ist als ich.»
Hinter ihm folgt der Amazon-Gründer Jeff Bezos, dem über 10 Prozent des Online-Warenhauses gehören. Als die reichsten Schweizer gelten die Erben des Ikea-Gründers Ingvar Kamprad, die 55 Milliarden schwer sein sollen. Dem Schweizer Oligarchen Viktor Vekselberg schreibt Bloomberg ein Vermögen von 16 Milliarden zu.
Die 200 Milliarden sind die spektakulärste Schätzung. Auf 125 Milliarden veranschlagt Anders Aslund das putinsche Vermögen. Aslund, ehemals Lehrbeauftragter an der Universität Georgetown und Autor des Buches «Russlands Klüngelkapitalismus», argumentiert: Putin habe sein Vermögen verborgen in einem Netz aus Scheinfirmen in Steueroasen, das Verwandte und Verbündete für ihn gesponnen haben. Und ein nach London geflüchteter Oligarch sagte es so: «Alles, was zu Russland gehört, betrachtet Putin als sein Eigentum. Jeder Versuch, seinen persönlichen Besitz festzustellen, wird daher fehlschlagen.»
Putin übertrifft gewöhnliche Reiche auch mit seinen Statussymbolen. Über ein veritables Schloss soll er verfügen, das am Schwarzen Meer für 1.3 Milliarden errichtet wurde. Laut «New York Times» hat es eine «byzantinische» Eigentümer-Historie: Eine direkte Verbindung zu Putin wurde nie nachgewiesen, aber auf verschiedene Weise zu seiner Regierung.
Zu den Symbolen der Macht zählt auch die statusgerechte Unterbringung von aktuellen und ehemaligen Geliebten: die Villa in Südfrankreich für die Ex-Frau; die 4.1 Millionen Dollar teure Wohnung in Monaco, gekauft via Offshore-Firma, kurz nach der Geburt eines Kindes.
Seine mutmassliche Jacht, die «Scheherazade», gehört zu den Grössten und Teuersten der Welt. Sie soll 700 Millionen Dollar wert sein, ist 140 Meter lang, hat gleich zwei Helikopter-Landeplätze, einen Swimmingpool, der sich in eine Tanzfläche umwandeln lässt und in den Badezimmern sind die Armaturen vergoldet, inklusive des Klopapier-Halters. Als Eigentümer ist nur eine Briefkastenfirma eingetragen, aber amerikanische Behörden glauben, sie könnte Putin gehören.
Zum Vergleich: die Jacht «Tango» des Oligarchen Victor Vekselberg ist im Vergleich schon fast bescheiden anmutende 78 Meter lang und hat 90 Millionen gekostet. Einen Swimmingpool, ein Freiluftkino und einen Massagesalon hat sie auch. Goldene Klopapier-Halter sind nicht bekannt.
Wenn die Grösse der Jachten allerdings herhalten soll als Metapher für die politischen Machtverhältnisse in Russland - dann dürfte Vekselberg bloss ein aufblasbares Schlauchboot sein Eigen nennen, wie man es für 40 Franken in Migros oder Coop kaufen kann. Der Russland-Historiker Stephen Kotkin sagte es dem «New Yorker» so:
Putins Machtsystem lässt sich laut Russland-Kenner Aslund in vier Kreise aufteilen. Direkt unter ihm stehen ehemalige KGB-Agenten wie es Putin selbst ist, die er aus seiner Zeit im St. Petersburger KGB kennt. Sie kontrollieren den KGB-Nachfolger «Föderaler Sicherheitsdienst (FSB)», andere Sicherheitsbehörden, den Staatsapparat sowie die Justiz. So üben sie für Putin aus, was Aslund eine «Diktatur des Gesetzes» nennt: Wer nicht tut, wie Putin will, bekommt es mit Staat und Justiz zu tun.
Im zweiten Kreis sind die grossen staatlichen Konzerne. Allesamt werden sie von engen Vertrauten geleitet, die ihm absolut loyal sind. Als Konzernchefs kontrollieren sie gewaltige Vermögenswerte, die an sich der Allgemeinheit gehören sollten, die sie aber mehr oder weniger nach Belieben an Privatpersonen übertragen können.
Der dritte Kreis umfasst private Geschäftsleute, die Putin ebenfalls schon seit seiner St. Petersburg-Zeit zu seinen Freunden zählt. Heute sind sie Milliardäre, weil sie für den Energiekonzern Gazprom grosse Aufträge durchführen durften zu überzogenen Preisen. Der vierte Kreis besteht laut Aslund aus Briefkastenfirmen in Steueroasen in den USA und im Vereinigten Königreich, wo die grossen Vermögen versteckt werden, teils wiederum von Putin-Freunden.
Andere gehören zwar nicht zu diesen engsten Kreisen, haben aber dennoch an Putins Vetternwirtschaft teil. Ein Beispiel führt Regierungssprecher Dmitri Peskow ein Luxus-Leben, das nicht zum Salär eines Staatsdieners passt. Peskow und seine Familie wurden darum von den USA sanktioniert. Seine Frau, eine ehemalige Olympiasiegerin im Eiskunstlauf, leitet ein millionenschweres Immobilien-Imperium. Sein Sohn habe Zugang zu Luxus-Vehikeln und reist in privaten Jets und Jachten. Seine Tochter habe Zehntausende von Followern auf den Sozialen Medien, wo sie ihren Lebensstil zur Schau stelle.
Es ist eine gewaltige Bereicherungsmaschinerie. Die verstorbenen Russland-Gelehrte Karen Dawisha schrieb schon 2014 über Putin und seine Gefolgsleute: «Die Gruppe, die heute an der Macht ist, hat sich einem Leben der Plünderung verpflichtet, wie es ohnegleichen ist.» Putins Kleptokratie, also eine Herrschaft der Plünderer, sei verabscheuenswert.
Diese Herrschaft kann sich aufrechterhalten, weil in Russland der Reichtum aus dem Boden kommt: Öl, Gas oder Palladium. Putin muss davon nur etwas abgeben an seine Eliten, um sich ihre Loyalität zu sichern, also an Gefolgsleute, Sicherheitsdienste und die oberen Ebenen des Militärs. Auf alle anderen ist er nicht angewiesen, auch nicht auf Wirtschaftswachstum, wie Russland-Historiker Kotkin erklärt: «Die Unterdrücker können den Unterdrückten sagen: Wir brauchen euch nicht. Wir brauchen eure Steuern nicht. Wir können null Wirtschaftswachstum haben und dennoch in Saus und Braus leben.»
Zu ihrem Pech ist Putin auch auf die Oligarchen nicht angewiesen. Sie sind ersetzbar. Putin hat darum alle politische Macht; die Oligarchen keine. Wie es der frühere Moskau-Korrespondent der «Financial Times», Henry Foy, sagt:
Die Megareichen haben viel mehr als die Superreichen, die wiederum viel mehr als die Reichen, die viel mehr als der Mittelstand und so geht das weiter in Russland bis zu den Armen. Das Gefälle ist in Russland besonders gross.
So kommen die obersten 1 Prozent in der World Inequality Database auf den sechsthöchsten Anteil an den gesamten Vermögen des Landes. Noch höher ist die Ungleichheit gemäss diesem Kriterium also nur noch in fünf Ländern. In Russland entfallen 48 Prozent aller Vermögen auf dieses oberste 1 Prozent. Zum Vergleich: In der Schweiz wie in Deutschland sind es gut 30 Prozent. Am geringsten ist der Anteil in Belgien, am höchsten in Südafrika.
«Statistiken legen nahe, dass Wohlstand und Einkommen in Russland weniger gleichmässig verteilt sind als in den meisten entwickelten Ländern, mit Ausnahme der USA», heisst in einem Kurzbericht des Europäischen Parlaments von 2018. Russland habe gemessen an der Grösse seiner Wirtschaft mehr Milliardäre als jedes andere grosse Land. Doch die offiziellen Statistiken dürfen die Ungleichheit noch unterzeichnen.
Aus Russland werden Unmengen an Vermögen ins Ausland geschafft und dort verborgen. Gemäss einer Studie von 2018 waren es rund 800 Milliarden oder ungefähr 75 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Das ist mehr als von jedem anderen Land. Russland-Experte Aslund erklärte dies in seinem Buch so: «Geld ist nicht sicher in Russland. Alles kann vom Staat jederzeit beschlagnahmt werden.» (aargauerzeitung.ch)