Russlands Militärpräsenz in Syrien befindet sich in der Auflösung. Die einstige Schutzmacht des Ex-Diktators Baschar al-Assad steht vor den Trümmern ihres jahrzehntelangen Engagements. Die neuen Machthaber in Syrien wollen Russland nicht mehr von der eigenen Küste aus operieren lassen. Nun muss Wladimir Putin seine Streitkräfte verlegen. Als neuen Standort hat er sich wohl Libyen ausgesucht. Das könnte für Europa zum Problem werden – ist jedoch auch für Russland nicht ohne Hürden.
Nach dem Sturz von Assad war länger unklar, wie es für die russischen Truppen in Syrien weitergehen würde. Doch nun hat Syrien einseitig einen Vertrag aufgekündigt, der Moskau die Nutzung des Hafens von Tartus übertragen hatte. Das Abkommen von 2019 war auf 49 Jahre ausgelegt und verschaffte Russland einen direkten Zugang zum Mittelmeer.
Nach Informationen der «Bild»-Zeitung hat auch der diplomatische und wirtschaftliche Druck der EU auf die neuen Machthaber in Damaskus dazu geführt, dass Syrien den Hafen jetzt wieder unter eigene Kontrolle bekommen will. Aussenministerin Annalena Baerbock habe sich auf ihren Reisen nach Damaskus und Riad klar für einen Abzug der russischen Truppen aus Syrien eingesetzt, heisst es. Sie habe dabei immer wieder unterstrichen, dass dies für Deutschland auch eine Frage der Sicherheit Europas sei.
Russland operierte seit Jahrzehnten von Tartus aus, dort lagen Kriegsschiffe und Atom-U-Boote vor Anker. Der Hafen ermöglichte militärische Präsenz im Mittelmeer, diente als Basis für Marineübungen und als Drehkreuz für russische Aktivitäten in Afrika. Dabei spielte auch der Luftwaffenstützpunkt Hmeimim nahe der Hafenstadt Latakia eine zentrale Rolle. Von Hmeimim aus wurden russische Söldneroperationen zunächst in der Zentralafrikanischen Republik und später im Sudan, in Libyen, Mali und Burkina Faso durchgeführt.
Dort war erst die Wagner-Gruppe eingesetzt. Nach dem Sturz des ehemaligen Chefs Jewgeni Prigoschin operiert dort nun das russische Afrika-Korps, das dem russischen Verteidigungsministerium untersteht. In Ostlibyen sind nach Angaben des US-amerikanischen Institute for the Study of War 1'800 russische Kämpfer stationiert. Dazu kommen noch mehrere Tausend Männer in weiteren afrikanischen Ländern, deren Militärregierungen Russland freundlich gesinnt sind.
Schon seit Anfang Dezember mehrten sich die Hinweise, dass Russland grosse Mengen an militärischer Ausrüstung und Truppen aus Syrien abzieht. So wurden etwa Handelsschiffe gesichtet, die, mit grossen Frachtkränen ausgestattet, den Hafen von Tartus ansteuerten. Am vergangenen Heiligabend sank einer dieser Frachter, die mit Sanktionen belegte «Ursa Major», vor der spanischen Küste.
Zudem zeigen Flugdaten, die der Sender CNN ausgewertet hat, dass seit Mitte Dezember täglich mindestens ein russisches Transportflugzeug der Typen Antonow AN-124 oder Iljuschin IL-76, die grosse Fassungsvermögen besitzen, ab Hmeimim startete. Das Ziel: al-Khadim, ein Militärstützpunkt in der Nähe von Bengasi in Libyen.
Das nordafrikanische Land befindet sich seit 2014 in einem Bürgerkrieg. Der Konflikt wurde im Jahr 2020 durch einen Waffenstillstand eingefroren, seitdem ist das Land geteilt. Der Westen mit der Hauptstadt Tripolis wird von einer international anerkannten Regierung kontrolliert. Im Osten herrscht Khalifa Haftar, der Befehlshaber über die Libysche Nationalarmee (LNA), eine der wichtigsten Machtgruppen aus dem Bürgerkrieg.
Mit Haftar verhandelt Russland nach Angaben französischer Militärexperten bereits seit über einem Jahr über eine Marinebasis an Libyens östlicher Mittelmeerküste. Dabei kommen wohl Bengasi oder Tobruk infrage, berichtet die «taz».
Auf der Suche nach einem alternativen Zwischenstopp für den Flughafen Hmeimim ist Russland aber bereits fündig geworden. So haben die Russen schon seit Längerem in al-Khadim Fuss gefasst und liefern von dort Söldner und Waffen zur Unterstützung von General Haftar. In der Nähe wurde auch ein Sicherheitskomplex für russische Truppen gebaut, die in Afrika eingesetzt werden, berichtete das Investigativprojekt «All Eyes on Wagner» im vergangenen Jahr.
Die Aussicht auf eine verstärkte russische Militärpräsenz in Libyen hat bei Vertretern der Nato Unruhe hervorgerufen. Der italienische Verteidigungsminister Guido Crosetto sagte der italienischen Tageszeitung «La Repubblica»:
Zudem könnten russische Truppen die ohnehin fragile politische Situation im Land weiter destabilisieren. Das könnte zu erhöhten Migrationsströmen in Richtung Europa führen. Auch Europas Energiesicherheit steht auf dem Spiel, wenn Libyens Öl- und Gasressourcen unter russischen Einfluss geraten. Im Jahr 2023 machten Erdgasimporte aus Libyen knapp ein Prozent der gesamten europäischen Erdgasimporte aus.
Nach Angaben von Jalel Harchaoui, Forscher der britischen Denkfabrik Royal United Services Institute for Defence and Security Studies (RUSI), hat Russland noch keine Kriegsschiffe oder Atom-U-Boote in Libyen geparkt. «Das ist auch klug, denn ein solch dreister Schritt hätte die Mobilisierung der Nato provozieren können», sagt Harchaoui CNN.
Für Russland ist Libyen in mancher Hinsicht ein schlechter Ersatz für Syrien. Denn Transportflugzeuge können Libyen von Russland aus praktisch nur erreichen, wenn sie die Türkei überfliegen dürfen, was dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan ein Druckmittel in die Hand gibt.
Nach Einschätzung von Ulf Laessing, Leiter des Sahel-Programms der Konrad-Adenauer-Stiftung in Mali, könnte Wladimir Putin zudem Probleme mit seinem Partner Khalifa Haftar bekommen. «Haftar wechselt häufig seine Loyalitäten, kontrolliert nur die Hälfte des Landes und ist mit 81 Jahren nicht gerade eine jugendliche Erscheinung», sagt Laessing CNN.
Wladimir Putin hat sich zwar bemüht, den Sturz von Assad als unbedeutend abzutun, doch der Abzug aus Syrien ist ein Rückschlag für Russlands Ambitionen in Afrika. Denn afrikanische Regierungen denken wohl nun zweimal darüber nach, ob Moskau ihre Sicherheit garantieren kann. «Es ist in Mali oder Niger nicht unbemerkt geblieben, dass Russland Assad nicht zu Hilfe gekommen ist», sagt Laessing.
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