Der russische Uno-Diplomat Boris Bondarew fürchtet nach seinem Rücktritt wegen des Ukraine-Kriegs und Kritik an Russlands Präsident Wladimir Putin um sein Leben. Schweizer Behörden versuchten ihn zu beschützen, sagte der 41-Jährige dem «Tages-Anzeiger» vom Mittwoch.
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«Wenn man ganz allein ist und zu Recht oder Unrecht damit rechnen muss, Opfer einer Gewalttat zu werden, ist es unglaublich wichtig, zu wissen, dass es jemanden gibt, der einen unterstützt und zu beschützen versucht», sagte Bondarew. Dafür wolle es sich bei der Schweizer Uno-Mission in Genf und der Schweizer Regierung «aufrichtig» bedanken.
Bondarew will nach seinem Protestrücktritt gegen den Ukraine-Krieg als weltweit erster Vertreter des offiziellen Russland vorerst in der Schweiz bleiben und versuchen, eine neue Stelle zu finden. Er prüfe alle Optionen, auch jene, in der Schweiz oder einem anderen Land um Asyl zu bitten.
Seine Äusserungen und die offene Kritik am russischen Präsidenten Wladimir Putin und am Aussenminister Sergej Lawrow würden in Russland als Verbrechen angesehen, sagte Bondarew weiter. «Ich gelte nicht nur als Oppositioneller, als Diplomat bin ich auch ein Beamter. Ein Strafverfahren ist mir also so gut wie sicher.» Er habe Angst um seine Familie, Verwandten und enge Freunde.
Den Rücktritt habe er für sein eigenes Gewissen getan, sagte Bondarew. «Ich wollte etwas bewirken, eine Inspiration sein für meine Kollegen, für Diplomaten und andere russische Bürger, die in Russland leben und denken, dass sie selbst nichts tun können.» Er sei da aber anderer Meinung. «Man kann immer aufstehen und die Wahrheit sagen über Dinge, die man wahrnimmt.»
Im Interview bekräftige er seine Kritik an Russlands Führung. «Die heutige russische Aussenpolitik ist sehr laut, sehr grob, aber nicht effektiv.» Zu seiner persönlichen Motivation für den Rücktritt sagte er: «Ich begann plötzlich zu verstehen, dass ich als Diplomat Dinge tat, die dem widersprachen, was ich tun wollte.» Zu schweigen war keine Option für ihn, wie er sagte.
Der Botschaftsrat bei den Vereinten Nationen in Genf hatte am Montag aus Protest gegen den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine nach 20 Jahren seinen Dienst quittiert. Präsident Wladimir Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine sei ein Verbrechen am ukrainischen und am russischen Volk, schrieb er auf der Plattform Linkedin.
Der Kreml hat sich nach der Kündigung von dem Mann distanziert. «Man kann hier wahrscheinlich nur sagen, dass Herr Bondarew nicht mehr zu uns gehört - vielmehr, dass er gegen uns ist», sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow am Dienstag in Moskau. An der Ständigen Vertretung Russlands bei den Vereinten Nationen und den internationalen Organisationen in Genf waren bislang 66 Diplomatinnen und Diplomaten akkreditiert. (sda)