Die Kriegs-Bilanz für Russland ist verheerend: Über 29'000 russische Soldaten sollen im Krieg bereits gefallen sein, berichten die Ukrainer. Die russische Wirtschaft schwächelt, Unternehmen verlassen das Land, die Reisefreiheit ist massiv eingeschränkt und die Nato ist gestärkt. Gleichzeitig kommt die Offensive im Osten der Ukraine nicht wirklich vom Fleck.
Offiziell ist der Rückhalt für Wladimir Putin in Russland immer noch gross – er bewegt sich bei rund 80 Prozent. Aber die Zahlen sind mit Vorsicht zu betrachten. Wer sich kritisch gegenüber dem Krieg äussert, muss in Russland mit Geld- oder Haftstrafen rechnen.
Es gibt in Russland jedenfalls Leute, die den Krieg in der Ukraine nicht unterstützen. Dies zeigte sich vergangene Woche an einem Konzert der Rock-Band «DDT» in der russischen Stadt Ufa. Frontmann Juri Schewtschuk nahm gegenüber den 8000 Zuschauerinnen und Zuschauern kein Blatt vor den Mund und kritisierte Putin aufs Schärfste.
Er sagte:
Dass sich Sewtschuk gegen den Krieg äussert, kommt nicht ganz überraschend. Der Musiker gilt schon länger als Kritiker der Putin-Regierung. Im April soll er sich geweigert haben, in der Stadt Tyumen aufzutreten, da der Veranstaltungsort mit einem grossen «Z» aufwartete, wie die in Amsterdam operierende Zeitung The Moscow Times berichtet. Der Buchstaben gilt als Symbol für die Unterstützung der russischen Streitkräfte in der Ukraine.
Durchaus überraschend war indes die Reaktion des Publikums. Denn die Zuschauerinnen und Zuschauer quittierten die Worte Sewtschuks mit tosendem Applaus.
Für den Musiker dürfte der Auftritt Konsequenzen haben: Radmir Usaew, ein Produzent, sagte auf Instagram, dass nach dem Konzert «Sicherheitskräfte» eine Stunde lang mit Sewtschuk sprachen und ihn ein «Protokoll» unterschreiben liessen, das an ein Gericht geschickt wurde. Er habe sich davon aber nicht einschüchtern lassen. «Einmal mehr bestätigte Schewtschuk, dass er ein echter Mann ist, da er nach dem Verhör keine Angst oder Depression verspürte, sondern nur eine leichte Müdigkeit nach einem dreistündigen Live-Konzert.»
Schewtschuk wird nun wegen «Diskreditierung» des russischen Militärs angeklagt. Wird der Musiker für schuldig befunden, droht ihm eine Geldstrafe von bis zu 50'000 Rubel (etwa 800 US-Dollar), schreibt The Moscow Times. Seit Beginn des Krieges erhoben die russischen Behörden bereits 2000 solcher Anklagen. Mindestens 133 weiteren Personen drohen bis zu 15 Jahre Gefängnis, weil sie «Fake News» über das Militär verbreitet haben.
Nicht nur in Ufa machten Konzertbesucherinnen und Konzertbesucher ihrem Unmut über den Krieg Luft. In einem Video, das von der Oppositionspolitikerin Ljubow Sobol auf Twitter gestellt wurde, ist zu sehen, wie eine Menschenmenge «F*** den Krieg» skandiert. Die Anti-Kriegs-Sprechchöre fanden am Freitag an einem Konzert der Band «Kiss-Kiss» in St.Petersburg statt.
Питер. Концерт. Весь зал скандирует «Х** войне!»
— Соболь Любовь (@SobolLubov) May 21, 2022
К слову о том, что все россияне поддерживают Путина. Это не так! pic.twitter.com/2VT2LNx4hX
Grössere Protestmärsche gegen den Krieg gibt es in Russland seit längerem nicht mehr. Viele Oppositionelle sind ausser Land geflüchtet und die Polizei nahm die Demonstrierenden gleich reihenweise fest. Doch immer wieder leisten Zivilistinnen und Zivilisten mit einzelnen Aktionen Widerstand. Etwa am 9. Mai, als am «Tag des Sieges» Gedenkmärsche satt fanden. Einige Personen mischten sich unter die Menge und liessen mit Plakaten ihre Ahnen für den Frieden sprechen.
Zuletzt wurde auch die russische Berichterstattung zum Krieg kritischer. Nachdem mutmasslich Hunderte Soldaten bei einer gescheiterten Flussüberquerung ihr Leben verloren hatten, platzte gleich mehreren Militär-Bloggern der Kragen. Sie bezeichneten die Generäle, die für das Desaster verantwortlich waren, als «Idioten» und forderten Personalveränderungen.
Der im Donbas agierende Militärführer Igor Girkin bezichtigte den eigenen Verteidigungsminister, Sergej Schoigu, der «kriminellen Fahrlässigkeit». Die Ost-Offensive bezeichnete er als «fehlgeschlagen». Derweil sorgte der ehemalige Oberst Michail Chodarjonok im Fernsehen für grosses Aufsehen, als er offen aussprach, dass die Situation für Russland «immer schlechter» werde.
Die Liste jener Russinnen und Russen, die mit dem Krieg oder dessen Verlauf nicht zufrieden sind, wurde am Montag noch einmal um ein prominentes Mitglied länger. Der russische Diplomat bei der Uno in Genf, Boris Bondarew, trat von seinem Posten zurück und hinterliess ein bissiges Rücktrittsschreiben. «Ich habe mich noch nie so für mein Land geschämt», liess Bondarew verlauten. «Der von Putin entfesselte Angriffskrieg gegen die Ukraine, ja gegen die gesamte westliche Welt, ist nicht nur ein Verbrechen gegen das ukrainische Volk, sondern vielleicht auch das schwerste Verbrechen gegen das russische Volk …» Die Konzertbesucherinnen in Ufa und St.Petersburg dürften ihm recht geben.
Das Vaterland ist die bettelnde Oma am Bahnhof, die versucht, Kartoffeln zu verkaufen. Das ist das Vaterland.»"
Er sollte Präsident sein!
Дружба!
Die traurige Realität! Was man alles mit den verschwendeten Ressourcen dieses riesigen Landes FÜR die Menschen dort machen könnte. Aber eben: *irgendwelche napoleonischen Pläne eines anderen Cäsars von uns* haben leider Priorität...