Selbst im Tod scheint Kremlchef Putin seinen früheren Weggefährten Jewgeni Prigoschin noch demütigen zu wollen. Nach dem gescheiterten Aufstand der Wagner-Gruppe Ende Juni hat Putin die Privatarmee Prigoschins systematisch entmachtet. Ende August starb die gesamte Führung inklusive Prigoschin unter dubiosen Umständen bei einem Flugzeugabsturz. Und jetzt fällt das Erbe des Wagner-Gründers ausgerechnet an einen Mann, den Prigoschin für einen Verräter hielt.
Andrej Troschew war der erste hochrangige Wagner-Kommandeur, der beim «Marsch der Gerechtigkeit» Ende Juni ausscherte. Mehrere Hundert Wagnerkämpfer rückten damals auf Moskau vor, Troschew soll den Kreml frühzeitig vor der Gefahr gewarnt haben. Kurz vor Moskau sagte Prigoschin den Aufstand schliesslich ab, aber Troschew hatte Prigoschins Vertrauen verloren. Zwei Tage später warf Prigoschin seinen langjährigen Vertrauten bei Wagner raus. Jetzt soll Troschew im Auftrag des russischen Verteidigungsministeriums «die Bildung von Freiwilligeneinheiten» für den Krieg gegen die Ukraine beaufsichtigen, sprich: neue Söldnereinheiten aufbauen.
Schon bei einem Treffen kurz nach der Rebellion soll Putin Troschew als neuen Chef der Wagner-Gruppe ins Spiel gebracht haben – doch der Kompromissvorschlag scheiterte am Widerstand Prigoschins. Nach dem Tod der Wagnerführung, inklusive Prigoschins «rechter Hand» Dmitri Utkin, steht Troschew nun niemand im Weg. Viel ist von der Truppe ohnehin nicht übrig: Der Kreml hat ihre Finanzierung eingestellt, viele Söldner wurden entlassen oder in der regulären Armee verteilt. Auch die Wagner-Aktivitäten in afrikanischen Ländern scheint Moskau zu sabotieren. Die Berufung Troschews ist wohl der nächste Angriff auf die Eigenständigkeit der einst berüchtigten Privatarmee.
Der Armeeveteran sei kriegserprobt und wisse, was zu tun sei, «damit die Kampfeinsätze am besten und erfolgreichsten erledigt werden», lobte Putin in einem am Freitag veröffentlichten Video. Details zu Treschows Mission nannte Putin nicht. Unter dem Markennamen Wagner werden die neuen Söldnereinheiten wohl nicht auftreten, doch unter den Kämpfern dürften viele frühere Mitglieder der Truppe sein. Nach Angaben der ukrainischen Armee beteiligen sich inzwischen wieder mehrere Hundert frühere Wagner-Söldner an den Kämpfen um die Stadt Bachmut im Osten des Landes, jetzt aber unter dem Befehl des russischen Verteidigungsministeriums.
Als kriegserprobt lässt sich der pensionierte Oberst der russischen Armee wohl mit Recht bezeichnen. Troschew kämpfte schon in den 80er-Jahren im Krieg gegen Afghanistan, damals noch in der Roten Armee. Für seinen Einsatz erhielt er zweimal den «Orden des Roten Sterns» und wurde ausserdem als «Held Russlands» ausgezeichnet. In den 2000er-Jahren beteiligte sich Troschew am zweiten Krieg gegen Tschetschenien, der dem damals noch neuen Präsidenten Putin zu Ansehen in Russland verhalf.
Nach seinem Ruhestand 2012 stellte sich Troschew weiter in den Dienst des Kreml – als Leiter der Logistikeinheit der Wagner-Truppe in Syrien. Seit 2013 beteiligen sich die russischen Söldner an dem Bürgerkrieg in dem Land, ohne Unterstützung aus Moskau wäre Diktator Baschar al-Assad wohl nicht mehr an der Macht. Wie in jedem ihrer Einsatzgebiete haben die Wagner-Söldner auch in Syrien schlimmste Verbrechen gegen die Menschlichkeit angerichtet. Während Kremlchef Putin Treschow und andere für ihre Taten mit dem Titel eines «Helden der Russischen Föderation» ehrte, setzte ihn die Europäische Union Ende 2021 auf eine Sanktionsliste
Als Stabschef der Wagner-Gruppe habe Troschew «einen entscheidenden Beitrag zur Kriegsführung Baschar al-Assads geleistet» und im Gegenzug direkt von dessen Regime profitiert, hiess es zur Begründung. Troschew soll in Syrien eng mit Wagner-Mitgründer Dimitri Utkin zusammengearbeitet haben. Grossbritannien begründete seine Sanktionen gegen Troschew 2022 sogar mit dem Hinweis, dass dieser der «Vorstandsvorsitzende der Gruppe Wagner» sei und sich in dieser Funktion direkt an den «Verbrechen gegen die syrische Bevölkerung» beteiligt habe.
Kriegsherr Putin dürfte Troschew vor allem für seine unbedingte Loyalität schätzen, die er mit dem Verrat an Prigoschin einmal mehr unter Beweis gestellt hat. Mit Putin verbindet Troschew zudem die Herkunft: Beide stammen aus Sankt Petersburg. Widersprüchliche Angaben gibt es zum Alter des «Grauhaarigen» (Sedoj), wie Treschow in der Armee genannt wird. In manchen Quellen heisst es, er sei 61 Jahre alt, in anderen, er sei 70. Ob Troschews Kriegserfahrung ausreicht, um in der Ukraine das Blatt im Sinne Russlands zu wenden, ist allerdings fraglich. In seinem neuen Einsatzgebiet bei Bachmut sind die ukrainischen Truppen zuletzt auf dem Vormarsch gewesen: Für die russischen Truppen droht die Stadt zur Todesfalle zu werden.
Henry Enveloppe
Schlaf
Und ein Mensch mit der Loyalität von Troschew, dürfte auf Putin scheissen, wenn er irgendwo anders mehr profitieren kann.
Ein typisch russischer Elite-Mensch eben..
MartinZH
Klar, Putin und sein Lakaie Schoigu greifen nach jedem Strohhalm, der ihnen noch übrig bleibt, um das verbliebene Potenzial der Wagnerianer noch irgendwie zu nutzen.
Aber alle wissen natürlich ganz genau, dass Andrei Troschew nur ein Mittel zum Zweck ist: Einer, der sich bereits derart illoyal ggü. von Prigoschin verhalten hat, wird sich auch in Zukunft nicht loyal verhalten, wenn es wirklich darauf ankommt.
Übrigens: Wagnerianer sind KEINE "Söldner": RuZZen, die für RU in den Krieg ziehen, sind – per Definition – nunmal KEINE Söldner.