Ukrainische Soldaten werden seit vielen Monaten nicht nur mit Material aus dem Westen unterstützt, sondern auch ausgebildet. Viele europäische Länder boten bald nach Kriegsausbruch Hilfe an, zeigten die Funktionsweisen von Panzern, Haubitzen, gaben aber auch Ratschläge zur Kriegsführung und Taktik. Doch das kommt nicht immer gut bei den Soldaten an.
Ein Bericht der französischen Tageszeitung «Le Monde» zeichnet jetzt ein düsteres Bild. Reporter der Zeitung hatten sich aufgemacht, um Soldaten an der Front über ihre Ausbildung zu befragen. Die Ergebnisse sind teilweise erschütternd.
Ein Rekrut berichtete von Übersetzungsproblemen. «An einem Tag sagten uns die Ausbilder, wir sollten an unsere eigene Sicherheit denken, bevor wir Verletzten helfen. Der ukrainische Übersetzer sagte aber: 'Wenn jemand verwundet ist, töte ihn zur eigenen Sicherheit'.»
Im Training seien Infanterie-Bewegungen gelehrt worden, ohne dass aber Angriffe simuliert worden seien – und schon gar keine Minenfelder. Auch habe die Tiefe der Schützengräben nicht den ukrainischen Bedingungen entsprochen. «Man sagte uns, wie wir russische Kampffahrzeuge unterscheiden können, aber nicht, was wir gegen sie tun können», berichtete ein Soldat mit dem Namen Jejhen, der an der Front in Bachmut jetzt eingesetzt ist. Er habe sich, wie viele andere, auf Youtube über neue Waffen und Taktiken informiert.
Ein anderer Soldat mit dem Kampfnamen «Nesquik» sei zur Ausbildung in Deutschland gewesen. Das Einzige, an das er sich erinnern könne: «Niemand geht einfach ins Waffenlager. Für jede Anfrage müssen wir einen Termin ausmachen, unsere Kontaktdaten austauschen und dann können wir ausliefern. Die Lieferadresse ändert sich jedes Mal», sagte er den Reportern.
Sein Vorschlag: Die Nato-Staaten sollten ihre Leute einmal einen Monat lang an die Front schicken und sehen, wie sich die Situation täglich verändere. Russland lerne schnell und passe sich neuen Situationen an. Sobald schweres Geschütz aufgefahren werde, reagierte russischen Truppen mit unmittelbaren Angriffen.
Vassil ist ein weiterer Soldat, der in Donezk die Ukraine verteidigt. Er sei 35 Tage lang in England gewesen, wo er das Training von 200 Soldaten gemeinsam mit dänischen und britischen Kollegen koordinierte. «Ich sagte ihnen mehrfach, dass die Nato-Handbücher in der Ukraine nicht funktionieren, zum Beispiel bei Grabenkämpfen. Die Antwort war: So ist es nunmal». Die Instruktoren seien selbst manchmal ratlos gewesen. «Mehrere Male mussten sie auf Youtube nach Lösungen suchen, besonders bei der Planung von Operationen oder wenn es darum ging, einen Streit zu schlichten», berichtet der Offizier.
Als er darum gebeten habe, auch an Drohnen ausgebildet zu werden, sei die Antwort gewesen, diese seien nicht Teil des Nato-Trainings. Die Aufklärung durch Drohnen und ihr Einsatz gegen russische Ziele ist mittlerweile ein wesentlicher Teil der ukrainischen Verteidigung worden.
Selbst die Ausbildung an westlichen Panzern hilft nicht immer an der Front. «Wir haben hier nur sowjetische Ausrüstung. Wir wissen, wie man Teile von einem Panzer für einen anderen verwendet, aber bei amerikanischen Bradleys wissen wir nicht, wie das geht. Es gibt zu viel Elektronik und wir haben noch nie einen deutschen Leoparden gesehen», sagte Dimitri, ein 45-jähriger Leutnant, der in Donezk kämpft. Sein Chef, Jewgeni, fordert, dass nur erfahrene Kämpfer zur Ausbildung ins Ausland geschickt werden sollen. Ein Rekrut habe zum Beispiel in Deutschland eine Panzerformation gelernt, die in der Praxis wegen hoher Verluste schnell wieder aufgegeben wurde.
Selbst bei der Minenräumung gebe es unterschiedliche Standards. Dmitri, der in Polen ausgebildet wurde, lernte dort dem Bericht nach, komplette Minenfelder zu räumen – um Menschen nicht zu gefährden. «Doch hier brauchen wir nur einen sicheren Pfad, damit die Truppen vorrücken können.» Gegenüber den «Le Monde»-Reportern bezweifelten Offiziere die Effektivität der Ausbildung im Westen an. Man erhalte nur ein Grundwissen. Rekruten, die zurückkehrten, seien noch nicht für den Fronteinsatz geeignet.
Seit dem Winter 2022 wurden bereits 5000 ukrainische Soldatinnen und Soldaten unter deutscher Führung ausgebildet. Die Bandbreite reicht vom Training von Leopard-Besatzungen über die Ausbildung an Flugabwehrsystemen bis zur Weiterbildung von Führungspersonal. Ein Schwerpunkt bildet nach Angaben der Bundeswehr der Infanterie-Kampf. Einer der Ausbildungsorte ist der Truppenübungsplatz Grafenwöhr in der Oberpfalz, deutsche Soldaten sind aber auch in Litauen als Ausbilder im Einsatz.
Die Ausbildung an westlichen Waffensystemen erfolgt zweigeteilt: Am Combined Arms Training Center (CAT-C) in Polen und in Deutschland. Deutschland und die Bundeswehr führen die Spezialausbildung ukrainischer Truppen durch – zum Beispiel von Panzerbesatzungen, Instandsetzungssoldaten oder Pionieren. Nach Angaben der Bundeswehr hätten die Soldaten einen unterschiedlichen Ausbildungsstand: Einige seien erstmals im Einsatz, andere hätten bereits seit dem russischen Überfall 2014 Erfahrungen gesammelt.
Ein von Grossbritannien geleitetes internationales Ausbildungsprogramm für das ukrainische Militär, das von zehn anderen Nationen unterstützt wird, hat bereits mehr als 26'500 Rekruten ausgebildet und hat zum Ziel, bis Ende 2023 mehr als 30'000 Soldaten auszubilden.