Als Kremlkritiker kann man Ruslan Puchow wohl nicht bezeichnen. Den Überfall auf die Ukraine nennt er in Einklang mit der offiziellen Sprachregelung nur die «militärische Spezialoperation», die Russland obendrein «als eine Art ritterliches Duell eröffnet» habe. Puchows Wortwahl dürfte nicht nur der Furcht vor 15 Jahren Straflager geschuldet sein, die jenen drohen, die den Krieg als Krieg bezeichnen.
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Der 49-Jährige gilt als Fachmann für die russische Armee, hat mehrere Bücher zu militärgeschichtlichen Themen geschrieben und berät seit vielen Jahren das russische Verteidigungsministerium. Umso erstaunlicher klingt Puchows schonungslose Analyse des Ukraine-Feldzugs in einem Interview mit der russischen Beratungsfirma Prisp, das in deutscher Übersetzung auch im Fachblog «Konflikte&Sicherheit» erschien. In dem Interview zeichnet Puchow ein düsteres Bild für Kriegsherr Wladimir Putin – und warnt vor einer «dramatischen Zuspitzung der Situation» für die russische Armee bis zum Ende des Sommers.
Zunächst beklagt Puchow den Zustand der russischen Luftwaffe, die über keinen einzigen Kampfjet der neuesten Generation und «nicht über genügend Präzisionswaffen und moderne Zielgeräte» verfüge. So müssten die russischen Bomber entweder so tief fliegen, dass sie in die Reichweite feindlicher Kämpfer gerieten oder so hoch, dass ihre Bomben nutzlos würden. Auch die russischen Panzer haben laut Puchow wenig Chancen gegen moderne Panzerfäuste wie NLAW, Javelin oder Matador: «Selbst unser modernster Panzer, der T-90, ist eine Modifikation des veralteten T-72», gibt Puchow zu bedenken.
Auch bei der Infanterie sieht Puchow die Ukraine im Vorteil: «Wir haben einen erheblichen Mangel an Infanterie. Die Front ist gross und es gibt nicht genug Einsatzkräfte für die militärische Spezialoperation.» Die Ukrainer hätten dagegen schon die vierte Mobilisierungswelle hinter sich und keinen Mangel an Personal. «Im Donbass versucht die russische Seite, dieses Problem durch den Einsatz von Artillerie zu lösen, aber wie Sie sehen können, geht das sehr langsam», sagt Puchow.
Der seit 2014 tobende Kampf um den Donbass – Puchow spricht in Kreml-Manier von der «Anti-Terror-Operation» – habe die ukrainische Armee ausserdem stärker gemacht: «Man darf nicht vergessen, dass die Ukrainer ihre Armee seit acht Jahren aktiv ausbilden. Sie haben praktisch ihre gesamte Infanterie durch den Donbass geschickt und ihre Artillerie aktiv eingesetzt.» Russische Artilleristen hätten im Gegensatz dazu nur wenig Erfahrung. «Im Falle eines Artillerieduells ist es wahrscheinlicher, dass sie uns besiegen», so Puchow.
Das liege auch daran, dass die Ukrainer gelernt hätten, das Feuer ihrer Geschütze mit handelsüblichen Drohnen zu steuern: «Wir haben diese Revolution verpasst und müssen sie nun nachholen», sagt Puchow selbstkritisch.
Ein weiteres Problem für Russland sieht er in der relativ geringen Reichweite sowjetischer Artilleriegeschütze und Raketenwerfer, die maximal 25 Kilometer weit feuern könnten – westliche Geschütze kämen hingegen auf 41 Kilometer Reichweite. «Zwar werden westliche Waffen an die Streitkräfte der Ukraine bisher nur in homöopathischen Mengen geliefert, aber die Lieferungen nehmen zu.» Künftig könnten die Ukrainer in einem Artillerieduell «unsere Batterien zerstören, und das russische Gegenfeuer erreicht das Ziel einfach nicht».
Bislang sei der Westen aber nicht bereit, der Ukraine grosser Mengen schwerer Waffen zu liefern, so Puchow. Das würde bedeuten, die eigenen Streitkräfte zu entblössen und eine grosse Zahl von Ausbildern und anderem Militärpersonal in die Ukraine zu schicken: «Zu einem solchen Engagement und einer solchen Eskalation ist der Westen noch nicht bereit, abgesehen von vereinzelten Russenhassern wie den Polen», glaubt Puchow.
Die Ukrainer würden schnell lernen, mit westlichen Waffen wie den US-Raketenwerfern vom Typ Himars umzugehen: «Bis zum Ende des Sommers könnte sich die Situation an den Fronten dramatisch zuspitzen. Ausserdem sind wir nicht mobilisiert, sondern kämpfen mit einer Friedensarmee», so Puchow. Er glaubt, dass es in der Ukraine zu einer Pattsituation kommen könnte wie im Koreakrieg 1951: «Unsere Armee wird einfach stehen bleiben und nicht weiter vorrücken können. Es ist ja nicht so, dass wir sie mit Atomwaffen angreifen würden.»
Mit einer baldigen Gegenoffensive der Ukrainer rechnet Puchow allerdings auch nicht: «Im Grunde haben sie bei der Offensive die gleichen taktischen Probleme wie die russische Seite – die vorrückenden Kräfte sind in der Regel zahlenmässig gering, sie geraten unter Artilleriebeschuss und ziehen sich schnell zurück oder sind nicht in der Lage, die gerade eingenommenen Positionen zu halten. Mal sehen, ob sich die Ukrainer in dieser Hinsicht als besser erweisen.»
Zutrauen würde Puchow den Ukrainern einen Sieg: «Die Einheiten, die an der Front kämpfen, sind recht gut ausgerüstet. Sie verfügen über ein Reservekorps, und die Streitkräfte der Ukraine können bei Bedarf einen Gegenangriff starten. Die Unterschätzung des Feindes hat uns in der Tat einen grausamen Streich gespielt.»
Geht der nach diesem Interview wieder in den Kreml?
Sie wollen aber nicht hören und sehen, denn ein realistisches Bild der Lage lassen ihre Allmachtsfantasien nicht zu.
Es ist so ähnlich, wie mit diesem alten, kranken Mann im Berliner Bunker 1945: Weiter von einem Sieg träumen, obwohl der Krieg längst verloren ist.
Natürlich wird Putin von seinem korrupten Verteidigungsminister Schoigu auch nicht rechtzeitig gestoppt, denn dann wäre er ja sogleich weg.
Russland hat lediglich eine potemkinsche Armee – und noch ein paar alte UdSSR-A-Raketen.
„ Die Unterschätzung des Feindes hat uns in der Tat einen grausamen Streich gespielt.“
NEIN! Den grausamen Streich haben sie, die Russen, selbst gespielt (und spielen ihn noch!).
Geht nach Hause und das Grausame hat ein Ende!