Während die Streiks in den französischen Raffinerien abflauen, blockiert die Gewerkschaft CGT immer mehr Atomkraftwerke im Land. Erste Arbeitsniederlegungen im grössten AKW-Park Europas gehen bis auf den Monat September zurück. Sie wurden aber lange nicht als solche wahrgenommen: Denn zugleich ist etwa die Hälfte der Reaktoren bereits wegen Wartungsarbeiten oder Pannen abgeschaltet. 27 der 56 französischen Meiler stehen derzeit still.
Auf Anfrage vermag die Betreiberin Electricité de France (EDF) selber nicht zu sagen, wie viele dieser Anlagen wegen des Streiks geschlossen sind. Laut der Gewerkschaft CGT sind 19 Reaktoren zumindest teilweise von den Personalblockaden betroffen; und ihre Zahl nimmt zu. Die Streikenden fahren jeweils die Produktion eines Reaktors herunter oder behindern Wartungsarbeiten. Sie wollen damit inflationsbedingte Lohnforderungen durchsetzen.
Für die angeschlagene, kürzlich erst verstaatlichte EDF bedeutet dies neues Ungemach. Vor allem kann sie den versprochenen Zeitplan für eine Rückkehr zu einer normalen Stromproduktion während des Winters nicht mehr einhalten.
Nachdem Präsident Emmanuel Macron den bisherigen EDF-Vorsteher Jean-Bernard Lévy ausgetauscht hatte, versprach das Unternehmen eine baldige Rückkehr zu normalen Verhältnissen: Die AKW-Leistung sollte eigentlich Anfang November wieder 29 Gigawatt erreichen und Anfang Januar 41 Gigawatt – bei einer Kapazität von 61.4 Gigawatt in ganz Frankreich. Daraus wird nun nichts.
Laut Thomas Veyrenc, dem Strategiedirektor des französischen Netzwerkbetreibers RTE, haben die Streiks bisher schon zu einer Verzögerung von «zwei bis drei Wochen» geführt. Sollte der Ausstand noch länger dauern, befürchtet die Netzbetreiberin «schwere Konsequenzen» für die Stromversorgung in den kältesten Wintermonaten. Frankreich muss schon heute Elektrizität aus Deutschland einführen. Im Gegenzug liefert eine französische Pipeline Erdgas über den Rhein ins Saarland.
RTE betont zwar, dass vorläufig keine Lieferengpässe zu erwarten seien. Die Temperaturen sind relativ mild, und die Regierung schätzt, dass ihre Sparappelle bereits zu einer Senkung des Stromverbrauchs von vier Prozent geführt haben. Die Wasserkraftwerke laufen zugleich rund. Allerdings hat die Streikbewegung nun auch den Betrieb zweier alpiner Rückhaltebecken erfasst.
Die Branche glaubt den Beteuerungen von RTE offenbar nur beschränkt: Die Spotpreise für Strom sind in Frankreich nach einem Rückgang in den vergangenen Wochen wieder auf 287 Euro für eine Megawattstunde gestiegen. Die Gasspeicher sind in Frankreich zwar zu 98 Prozent gefüllt, was sechs Prozent über dem europäischen Schnitt liegt.
Ein Stromausfall ist aber nicht auszuschliessen, falls die Temperaturen unter die Durchschnittswerte fallen. «Wir können nicht sicher sein, den Winter ohne Stromunterbrechungen zu überstehen», warnt Emmanuelle Wargon, die Vorsteherin der französischen Kommission für Energieregelung.
Die Schweiz verfolgt die AKW-Produktion in Frankreich mit Argusaugen. Wenn es in Frankreich eng wird, steigt für die Schweiz die Gefahr, dass EDF den vertraglich seit Jahren zugesicherten Lieferungen nicht mehr vollumfänglich nachkommen kann. 2021 importierte die Schweiz 20 Terawattstunden (TWh) aus Frankreich; im Sommer lieferte sie dank den Stauseen 5 TWh in die umgekehrte Richtung.
Zu einem möglichen Stopp französischer Stromlieferungen in die Schweiz oder Italien befragt, wollten weder die Sprecher von EDF noch von RTE Stellung nehmen. Sie verweisen auf den Schweizer Netzbetreiber Swissgrid, doch dieser verweist wiederum auf die französischen Produzenten. So richtig scheint niemand zu wissen, was passieren wird, wenn das Thermometer wirklich fällt. (aargauerzeitung.ch)
wirklich super ausgewählt.
Ein besseres Timing haben sie nicht wählen können.