Als Staatssekretärin von Bundesrat Guy Parmelin laufen bei Helene Budliger Artieda die Fäden mehrerer brisanter Dossiers zusammen: der von Donald Trump losgetretene Zollkrieg, Freihandelsverträge mit Staaten in aller Welt – und Verhandlungen über den Lohnschutz mit den Gewerkschaften und Arbeitgebern in der Schweiz.
Wer nun eine Chefbeamtin am Rande des Nervenzusammenbruchs erwartet, der irrt sich: Budliger zeigt sich wenig beeindruckt von Trumps Androhungen. Sorgen bereiten ihr vielmehr Entwicklungen im Inland.
Ich stelle mir vor, wie Sie am Morgen früh in aller Ruhe einen Kaffee trinken – bis in den Nachrichten die neusten Meldungen kommen, was Donald Trump über Nacht alles angekündigt und beschlossen hat. Und schon stecken Sie mitten in der Arbeit. Ist es so?
Nicht ganz. Zuerst lese ich einen Newsletter mit Nachrichten aus Washington. Auf dem Weg zum Bahnhof höre ich dann Radio, nämlich Radio Pilatus.
Wegen der Musik?
Vor allem. Aber meist höre ich auch die News um sieben.
Auf einer Skala von eins bis zehn: Wie stark beunruhigen Sie die Neuigkeiten aus Washington, die Sie da fast täglich hören?
Uns beim Seco beschäftigen derzeit vor allem zwei Themen: hochwertige Computerchips für künstliche Intelligenz. Da hat uns noch die Regierung von Joe Biden nicht in die erste, sondern zweite Kategorie eingeteilt – darum werden wir vielleicht nicht vollen Zugang zu AI-Chiplieferungen aus den USA haben.
Warum ist das ein Problem?
Das ist vor allem für Forschung und Entwicklung in der Schweiz ein Problem, etwa in den Bereichen Quantencomputing und künstliche Intelligenz, wo wir in Europa führend sind. Uns ist nicht klar, warum wir so eingeteilt wurden, da wir bei den Exportkontrollen eng mit den USA zusammenarbeiten. Im Moment sind wir daran, das mit Washington zu klären.
Und das zweite Problem?
Die angekündigten Strafzölle der Trump-Administration für Stahl und Aluminium. Dazu muss ich fairerweise sagen, dass sich die USA mit diesen Zöllen vor einer massiven globalen Überproduktion zu schützen versuchen. Dies in einem unfairen, teilweise durch staatliche Subventionen verzerrten Wettbewerb.
Sie haben also Verständnis für Trumps Metall-Zölle?
Was heisst Verständnis? Es ist unschön, dass Washington so undifferenziert vorgeht. Uns gegenüber sind die Zölle unfair, weil wir mit hohen Produktionskosten, Innovation und hoher Qualität in den Wettbewerb gehen.
Zusätzlich zu diesen konkreten Problemen besteht grosse Ungewissheit: Wie geht es weiter?
Es gibt eine neue, dritte Herausforderung. Der von Präsident Trump ernannte Handelsdelegierte, Jamieson Greer, hat US-Unternehmen aufgefordert, ihm unfaire Handelsmethoden von Partnerländern zu melden. Insbesondere von Staaten der G20 und Ländern mit einer stark positiven Warenhandelsbilanz gegenüber den USA.
Wie betrifft das die Schweiz?
Wir sind nicht Mitglied bei den G20, haben aber eine positive Handelsbilanz bei Gütern. Darum erscheinen wir auf der Liste des Handelsdelegierten.
Die Schweiz sitzt auf der Anklagebank?
Ich sehe das nicht so. Denn der Titel der Liste heisst «unfair trade practice». Man kann uns aber sicher nicht vorwerfen, unfair zu sein: Die Schweiz hat einseitig ihre Industriezölle abgeschafft, wir haben keine Pharma-Zölle. US-Unternehmen können ihre Produkte zollfrei in die Schweiz exportieren.
Macht Sie Trumps aggressive Handelspolitik nicht nervös?
Wir haben gute Argumente. Und wir machen schon lange genau das, was sich Präsident Trump wünscht.
Inwiefern?
Bei ausländischen Investitionen in den USA steht die Schweiz auf Platz 6. Und Schweizer Unternehmen schaffen in den USA fast eine halbe Million Jobs mit einem sehr hohen Einkommen von durchschnittlich 131'000 Dollar pro Stelle.
Fragt sich nur, ob die Administration Trump diesen Argumenten gegenüber empfänglich ist.
Das können wir noch nicht sagen. In den ersten Wochen wurden so viele Dekrete erlassen, dass selbst in den USA niemand den ganzen Überblick hat. Im Moment ist es unberechenbar.
Haben Sie schon Kontakt zu Ihren Amtskolleginnen und -kollegen in Washington?
Nein, denn diese sind noch gar nicht ernannt. Auch auf unteren Ebenen sind die Leute eher mit sich selbst beschäftigt, weil der Staatsapparat massiv reduziert werden soll. Wir müssen uns ein bisschen gedulden. Ich plane meinen ersten Besuch in Washington unter der neuen Regierung in ein paar Wochen, dann werden wir sehen.
Folgt man den Nachrichten, ist oft von einer geopolitischen Zeitenwende die Rede, einem drohenden Wirtschaftskrieg. Sie aber wirken überraschend gelassen. Ist das gespielt oder echt?
Wir spüren schon eine gewisse Nervosität. Falls die USA im April wie angekündigt auch gegenüber der EU Strafzölle erheben, will die EU zurückschlagen. Und da haben wir schon in der ersten Amtszeit von Donald Trump schlechte Erfahrungen gemacht. Weil uns die EU als Drittstaat behandelte und wir von ihren Gegenzöllen auch getroffen wurden.
In der Zwischenzeit hat der Bund aber die neuen bilateralen Verträge mit Brüssel fertig verhandelt, die Stimmung ist viel besser. Ändert das nichts an der Ausgangslage?
Das ist exakt, was wir der EU sagen. Wir weisen Brüssel auch darauf hin, dass Strafzölle, die auch die Schweiz treffen, im Hinblick auf die neuen bilateralen Verträge kontraproduktiv wären.
Und falls die USA Strafzölle von 25 Prozent erheben, etwa auf Schweizer Medikamente: Plant der Bund auch Gegenmassnahmen, zum Beispiel Zölle auf typische US-Produkte wie Bourbon-Whiskey oder Harley-Davidson-Motorräder, wie das die EU tut?
Die Schweiz wird sich nicht an einem Handelskrieg beteiligen. Was wäre die Drohkulisse, wenn die Schweiz mit ihren bloss 9 Millionen Einwohnern sagte, wir bestrafen nun Harley-Davidson? Das beeindruckt niemanden. Wir sagen schon lange allen unseren Handelspartnern, der EU und den USA, dass Strafzölle am Ende nur Verlierer hinterlassen. Wir glauben an offene Märkte.
Politisch wird darüber gestritten, ob sich die Schweiz stärker Europa annähern oder die Nähe zur US-Regierung suchen soll. Welches ist der richtige Weg?
Die EU ist unser wichtigster Markt, die USA sind der zweitwichtigste Markt, und China ist unser Markt Nummer drei. Es ist nicht gut, wenn unsere drei wichtigsten Partner im Streit liegen. Die Strategie der Schweiz muss es sein, zur EU, zu den USA und zu China offene Türen zu haben.
Wie wichtig sind vor diesem Hintergrund die neuen EU-Verträge?
Der EU-Binnenmarkt ist unser Heimmarkt, zu dem wir bestmöglichen Zugang haben müssen. Das ist die Politik des Bundesrats. Ich glaube nicht, dass die Welt bald geordneter und friedfertiger wird, es drohen eher noch instabilere Zeiten. Das ist ein Grund mehr, der für diese Verträge spricht.
Haben das auch die Gewerkschaften und die Arbeitgeber gemerkt, mit denen Sie derzeit über den Lohnschutz im Inland verhandeln?
Geopolitik ist bei diesen Gesprächen kein Thema. Was ich aber sagen kann: Alle Beteiligten wollen einen guten Lohnschutz. Diskutiert wird über die Methoden. Bis Ende März soll eine Lösung vorliegen. Das ist, was ich im Moment sagen kann.
Mit der EU hat die Schweiz die bilateralen Verträge, mit China ein Freihandelsabkommen. Wie steht es um die Bemühungen für ein Freihandelsabkommen mit den USA?
Das ist schon seit Jahren bei allen Treffen immer ein Thema. Biden wollte das nicht, weil es im Kongress keine Mehrheiten gegeben hätte.
SVP-Nationalrätin und Unternehmerin Magdalena Martullo-Blocher glaubt nun, mit der Trump-Administration wäre ein Freihandelsabkommen möglich. Zählen Sie auf Martullos Hilfe?
Ich bin froh, wenn uns der Privatsektor sagt, was er sich wünscht. Zudem bin ich bekannt dafür, dass ich sowohl mit den Mitgliedern des Parlaments als auch mit Wirtschaftsvertretern gerne und gut zusammenarbeite. Kann jemand wie Frau Martullo mit guten Kontakten und Ideen dazu beitragen, dass wir weiterkommen, schätze ich das sehr.
Viele Leute sind besorgt, wie es weitergeht. Befindet sich die Schweiz in einer Krisensituation?
Ich glaube nicht. Wichtig ist, dass wir einen kühlen Kopf bewahren und uns an unsere Stärken erinnern. Die Schweiz war wohl eines der Länder, die am stärksten von der Friedensdividende profitiert haben. Jetzt ist wieder harte Arbeit gefragt.
Glauben Sie, wir haben es uns zu bequem eingerichtet?
Manches ist in Vergessenheit geraten. So kennen viele Leute die Bedeutung des Privatsektors nicht mehr, woher unser Wohlstand kommt. Den Unternehmen ist es jedoch auch nicht gelungen, den Leuten das zu erklären. Wir sollten zurückfinden zum typischen Schweizer Pragmatismus und in den nächsten Jahren nicht falsch abbiegen.
Was meinen Sie damit?
Wir haben zu mehreren grundsätzlichen Fragen eine gespaltene Gesellschaft: zu den Beziehungen zur EU, zur Neutralität, zu Kriegsmaterial und der Solidarität mit jenen, denen es weniger gut geht zum Beispiel. Da frage ich mich manchmal: Wird es dieses Land so durch die schwierigen Zeiten schaffen? Ich denke, es wäre gut, wenn wir in diesen Fragen trotz aller Differenzen, die es geben darf, aufeinander zugehen und miteinander Lösungen finden. (aargauerzeitung.ch)
Die Realität sieht für mich anders aus.
Das scheint mir auch so. Und dann erstaunt sein, wenn Trump, obwohl wir doch so lieb waren, uns verrät und/oder Abmachungen nicht einhält. Oder unsere direkten Nachbarn mit unserer Politik aus verständlichen Gründen nicht einverstanden sind.
Die offizielle Schweiz (BR und oberste Behördenmitglieder) widern mich an.