Der amerikanische Präsident Donald Trump gerät zunehmend ausser Rand und Band. Die Macht als stärkster Mann der Welt berauscht ihn. Mit einer Flut von Dekreten krempelt er die USA in Rekordtempo um. Gleichzeitig stellt er die Weltordnung auf den Kopf.
Bei seiner Mission, Amerika angeblich wieder gross zu machen, missachtet er oft die Gesetze. Die Verfassung sieht er bestenfalls als ein lästiges Regelwerk, das seine politischen Ziele behindert.
Mit seinem Machtpoker massregelt er alle, die ihn kritisieren oder auf die Schranken der demokratischen Spielregeln hinweisen. Er droht nicht nur Politikern oder Meinungsträgern im eigenen Land, sondern nimmt auch unliebsame Regierungen anderer Länder an die Kandare. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj erfuhr es am eigenen Leib, wurde er doch wie ein geschlagener Hund aus dem Weissen Haus gejagt.
Höhepunkt seiner Selbstinszenierung war seine Rede vor dem US-Kongress diese Woche. Er demonstrierte in grenzenloser Verblendung seine Allmachtsphantasien. Sein Realitätsverlust führt dazu, dass er Lüge an Lüge reihen kann, ohne zu erkennen, dass er ein tragisches Bild seiner selbst abgibt.
Trump ist derart von sich eingenommen, dass er sich als unfehlbar wahrnimmt. Wenn er lügt, glaubt er, dass sich die Realität seinen «alternativen Fakten» anpassen muss.
Alle wissen, dass er lügt, von seinen Wählerinnen und Wählern bis zu den republikanischen Abgeordneten. Ein Halbgott darf das ungestraft. Er macht das Lügen zu seinem Markenzeichen. Seine Fans innerhalb und ausserhalb des Kapitols finden das niedlich, viele sogar sexy. Als könne er sich leisten, was sie auch gern tun würden.
Trump zimmert sich sein Weltbild nach seinen persönlichen Bedürfnissen und Launen, die sich oft stündlich ändern. Seine Wahrnehmungsverschiebungen sind beispielhaft. Er nennt Wolodymyr Selenskyj einen Diktator, erinnert sich aber kurz danach nicht mehr an seine dokumentierte Aussage.
Der US-Präsident droht mit Zöllen, zieht seinen Entscheid rasch wieder zurück, um sie ein paar Tage später erneut anzuordnen. Er pöbelt oft wie ein ungezogener Flegel in der Pubertät.
Die knapp 50 Prozent der Amerikanerinnen und Amerikaner, die ihre Stimme Kamala Harris gegeben haben, sind ebenso entsetzt wie Regierungen in vielen Ländern. Das müsste Trump, der krankhaft nach Anerkennung und Lobhudelei lechzt, zumindest nachdenklich stimmen.
Doch der US-Präsident überspielt in seinem überbordenden bis krankhaften Narzissmus die Ablehnung und lässt nicht die geringsten Selbstzweifel aufkommen. Er ist überzeugt, in der Rangliste der wichtigsten Figuren in der Menschheitsgeschichte weit oben zu stehen, wenn nicht gar an der Spitze.
Damit erfüllt er fast alle Attribute, die Sektenführer auszeichnen. Das Machtgebaren, die Allmachtphantasie, die heilige Mission, die Herrschsucht, die Selbstverliebtheit, der Wahrheitsanspruch, die Skrupellosigkeit, der Führerkult und vieles mehr passen ins Bild.
Wenn es noch einen Beweis für den Führerkult gebraucht hätte, so haben ihn die republikanischen Abgeordneten bei der Rede von Trump geliefert. Obwohl er sich als Alleinherrscher gebärdete, ungeheuerliche Pläne verkündete und die Wahrheit mit Füssen trat, schossen die Republikaner Mal für Mal hoch, johlten vor Begeisterung und klatschen vor Freude.
Spätestens in diesen eineinhalb Stunden wurde klar: Der Sektenführer hat im Kapitol eine eingeschworene und abhängige Gefolgschaft. Der Slogan «Wer nicht für mich ist, ist gegen mich» hat seine Wirkung entfaltet. Die kuschenden Abgeordneten haben gelernt, dass sie den Bannstrahl gnadenlos trifft, wenn sie Trump den Kadavergehorsam verweigern.
Seine Parteifreunde wissen, dass Trump sie heute einen grandiosen Politiker nennen kann, um sie morgen mit Schimpf und Schande zum Teufel zu jagen. Ein falsches Wort, und sie sind politisch erledigt. Dies sind Indoktrinationsmethoden, die wir von Sektenführern kennen.
Zurück zur Rede von Trump. Wenn erfahrene Politikerinnen und Politiker in Euphorie ausbrechen und Lügen beklatschen, kommt der Verdacht auf, dass sie gehirngewaschen sind. Man müsste von Abgeordneten, die die Geschicke des mächtigsten Staates lenken, erwarten, dass sie eigenständige und gefestigte Persönlichkeiten sind.
Schliesslich bilden sie das Kontrollorgan, das eingreifen muss, wenn der Präsident und seine Entourage umstrittene «Deals» anordnen oder menschenverachtende Dekrete erlassen. Aber nein, bei der Rede von Trump gaben sie sich einmal mehr unterwürfig und warfen sich in den Staub.
Noch etwas ist bei Trump auffällig. Wie Sektenführer, die treuergebene Günstlinge als Kaderpersonen auswählen, schart auch Trump Familienmitglieder, Oligarchen und rechtsradikale Günstlinge um sich, die ihn als Führer einer neuen Weltordnung verehren.
Ein Aspekt scheint bei Trump nicht zum Sektenimage zu passen: Religion und Glauben. Bei näherem Hinsehen erfüllt er aber auch diese Kriterien. Die christlichen Fundis der Freikirchen, die Trump grossmehrheitlich ihre Stimme gegeben haben, sind überzeugt, dass Gott ihn gesandt hat.
Doch wie passt sein egozentrischer, unehrenhafter Lebenswandel zur christlichen Ethik? Die frommen Christen glauben, Gott habe an Trump ein Wunder bewirkt und ihn vom Saulus zum Paulus mutieren lassen. Eine Erzählung, die der «neue Messias» noch so gern glaubt.
Auch dies sind die Allüren eines Sektenführers.