Sirenen heulen, der Wind peitscht – und dann leuchtet eine schwarze Wand wie ein gigantisches Monster am von mit Blitzen erhellten Sturmhimmel. «Das ist der totale Horror, schlimmer als jeder Hollywood-Katastrophenfilm», schreibt ein Augenzeuge auf YouTube.
Es sind furchteinflössende Videos, die unter Lebensgefahr gedreht wurden: Zahlreiche «Stormchaser» jagten in der Nacht auf Samstag die über 30 verheerenden Tornados, die im Mittleren Osten der USA womöglich über 100 Personen das Leben kosteten. Windspitzen erreichten über 330 km/h.
Dominic Blaser ist der bekannteste Sturmjäger der Schweiz. Dreimal reiste er schon in die USA, um Tornados zu filmen. SRF drehte gar eine Doku über den Wetter-Freak. Die aktuellen Ereignisse haben ihn erschüttert. «Die Bilder der Zerstörung gehen einem durch Mark und Bein», so der Freiburger.
Sturmjäger seien aber nicht einfach lebensmüde Adrenalinjunkies. «Mein Ziel ist es, die Leute vor Tornados zu warnen», sagt Blaser. Denn mit ihren Tornado-Meldungen helfen die Stormchaser mit, rechtzeitig die Alarmsirenen in den Dörfern und Städten auszulösen. «Wenn ein Tornado am Boden aufsetzt, geben wir eine Meldung ab. Eine visuelle Bestätigung kann kein Radar und kein Satellit abgeben.»
Die Tornado-Front von Kentucky hätte er selber nie verfolgt. «Leute, die in der Nacht Tornados hinterherhetzen, sind crazy. Denn im Dunkeln sieht man die Twister fast nicht und ist dem Radar und GPS ausgeliefert. Und gerät so womöglich mitten in eine Windhose.» Er selbst verfolge Tornados nur bei Tageslicht und in dünn besiedelten Gebieten. «Denn eine solche Zerstörung wie in Kentucky möchte ich nie mit eigenen Augen sehen müssen. Ich bin kein Voyeur.»
A historical #radar image: this is actually a three-body scatter-spike (#TBSS) from a #debrisball - a debris spike! I have not seen anything like this before. It is an artifact caused by extremely large and high reaching debris. #tornado #Mayfield @weatherdotUS pic.twitter.com/4QrEudpR59
— Adrian Leyser (@TheNimbus) December 11, 2021
In Kentucky hat der Tornado eine über 100 Kilometer lange Schneise der Zerstörung hinterlassen und ganze Siedlungen dem Erdboden gleichgemacht. Trümmer sind sogar auf Radarbildern zu erkennen (siehe oben). Die Retter suchen noch immer nach Überlebenden.
«Wir hoffen immer noch auf ein Wunder, dass wir mehr Menschen finden und die Zahl der Todesfälle hoffentlich geringer ist als erwartet», sagte Kentuckys Gouverneur Andy Beshear bei einem Besuch in dem von Zerstörung gezeichneten Ort Mayfield. Beshear ging weiterhin von Dutzenden Toten alleine in Kentucky aus. Die genaue Zahl der Todesopfer, Verletzten und Vermissten sei aber unklar, sagte er. «Das Ausmass der Verwüstung macht es einfach schwierig, konkrete Zahlen zu haben.»
Eigentlich wollte Dominic Blaser nächsten Frühling wieder in die USA reisen, um Tornados vor die Linse zu kriegen. Wegen Corona hat er die Pläne sistiert. Der Mathematik- und Physiklehrer hat inzwischen eine neue Faszination entdeckt. Zuletzt reiste er zweimal nach La Palma, um den Vulkanausbruch zu dokumentieren. «Das ist noch eindrücklicher, als Tornados zu verfolgen. Mehr Naturgewalt geht nicht.»