Bis 2100 verschwindet mindestens die Hälfte aller Gletscher
Bis zu 4000 Gletscher pro Jahr drohen wegen des Klimawandels zu verschwinden. Das zeigen Schweizer Forschende in einer neuen Studie. Mindestens die Hälfte aller Gletscher weltweit wird demnach bis Ende des Jahrhunderts nicht mehr existieren.
Mit der am Montag in der Fachzeitschrift «Nature Climate Change» erschienenen Studie, wollten die Forscher darauf aufmerksam machen, dass der Gletscherschwund mehr als nur ein naturwissenschaftliches Problem ist. «Jeder einzelne Gletscher kann lokal entscheidend sein. Er kann ein Kulturdenkmal sein, ein wichtiges Touristenziel oder Symbol einer regionalen Identität», sagte Studien Erstautor Lander Van Tricht von der ETH Zürich bei der Vorstellung seiner Studie vor den Medien.
So könne auch das Verschwinden eines eines kleinen Gletschers mit einem geringen Schmelzwasserbeitrag grosse Auswirkungen haben. Daher sei es wichtig, anders als bei bisherigen Untersuchungen nicht nur das Gletschervolumen und die Fläche, die Gletscher bedecken, zu analysieren, sondern den Fokus auch auf die Anzahl der Gletscher selbst zu legen.
In der neuen Studie stellten die Forschenden daher die Frage: «Wie viele der heute rund 200'000 Gletscher auf der Erde werden in Zukunft noch existieren?»
Vier von fünf Gletschern weg
Die Antwort auf diese Frage hängt davon ab, wie stark die Klimaerwärmung ausfallen wird. Bei einem Temperaturanstieg von 2,7 Grad – der Klimaerwärmung, auf die die Welt mit den aktuellen Klimamassnahmen zusteuert -, würden vier von fünf Gletschern weltweit verschwinden.
Würde die Erderwärmung – wie im Pariser Klimaabkommen angestrebt – auf 1,5 Grad begrenzt, würde die Hälfte der heutigen Gletscher erhalten bleiben. In einem Worst-Case-Szenario mit einer Klimaerwärmung von 4 Grad bliebe bis Ende Jahrhundert nur noch jeder zehnte Gletscher übrig. «Diese Gegensätze verdeutlichen, wie ambitionierte Klimapolitik einen wesentlichen Beitrag zum Erhalt der Gletscher leisten kann», schrieben die Forscher in der Studie.
Schon 1000 Gletscher weg in der Schweiz
In Regionen mit vielen kleinen Gletschern wie in den Alpen und in der Kaukasusregion, verschwinden die Gletscher laut der Studie zuerst. Grössere Gletscher in Regionen wie Grönland und der Antarktis verschwinden langsamer.
In den Jahren um die Mitte des Jahrhunderts werden je nach Temperaturanstieg jedes Jahr zwischen 2000 und 4000 Gletscher verschwinden. Aktuell verschwinden laut den Forschenden weltweit jährlich bereits etwa 750 bis 800 Gletscher.
«In der Schweiz haben wir bereits über 1000 Gletscher verloren in den letzten drei Jahrzehnten», erklärte der an der Studie beteiligte Gletscherforscher Matthias Huss. Vier von zehn Gletschern seien hierzulande bereits verschwunden. «Es waren hauptsächlich kleine Gletscher, die meisten von ihnen hatten nicht einmal einen Namen.»
Beerdigungen für Gletscher
«In den letzten Jahren wurden in allen Teilen der Welt Beerdigungen für Gletscher organisiert», fügte Huss an. Für ihn zeigt dies, welche tiefgreifende Bedeutung ein Gletscher haben kann.
Er selbst habe im Jahr 2019 an der Beerdigung des Pizolgletschers SG teilgenommen. Mehr als 250 Menschen hätten sich aufgemacht, um diesem Gletscher die letzte Ehre zu erweisen. «Für mich war es beeindruckend zu sehen, wie viele Menschen an diesem kleinen Gletscher interessiert waren, den ich so lange vermessen hatte», sagte Huss.
Ein Gletscher wird als verschwunden betrachtet, wenn seine Fläche unter 0,01 Quadratkilometer fällt oder seine verbleibende Masse unter einem Prozent der ursprünglichen Masse liegt. (sda)
