Putin dürfte trotz Haftbefehl nach Davos: Wird das «Trump-WEF» zum Friedensgipfel?
Donald Trump plant, am Weltwirtschaftsforum (WEF) in Davos im Januar 2026 teilzunehmen, wie CH Media diese Woche publik gemacht hat. Gemäss gut unterrichteten Quellen wird auch der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski nach Davos reisen – wie bereits 2024 und 2025. Im WEF-Stiftungsrat gibt es nach Informationen der «Schweiz am Wochenende» Stimmen, die das kommende Jahrestreffen als Chance sehen für eine Premiere: eine Zusammenkunft von Trump, Selenski und Russlands Präsidenten Wladimir Putin auf Schweizer Boden.
Co-Präsident des Stiftungsrats ist nach dem Rücktritt von Klaus Schwab der Amerikaner Larry Fink. Er kennt Trump seit Jahrzehnten und steht mit ihm bezüglich Davos-Besuch in Kontakt. Fink wird es auch sein, der Trump auf der WEF-Bühne begrüssen wird. Der andere Co-Präsident, Roche-Erbe André Hoffmann, wird sich wegen Trump-kritischer Äusserungen in der Vergangenheit im Hintergrund halten. Das hat die «Schweiz am Wochenende» aus den obersten WEF-Zirkeln erfahren.
Nur schon ein gemeinsames Foto der drei Männer – Trump, Putin und Selenski – wäre ein Coup: Für Trump, der den Friedensnobelpreis anstrebt und im Ukraine-Krieg bislang nichts erreicht hat. Und auch für das Weltwirtschaftsforum als Dialogplattform.
Trump hat mehrfach erklärt, dass er ein Treffen mit Putin und Selenski wünscht, an dem auch er selbst teilnehmen würde. Bislang ist das gescheitert. Zuletzt schlug gar sein Plan für ein Zweiertreffen mit Putin in Budapest fehl. Stattdessen haben die USA die Sanktionen gegen Russland verschärft.
Für Putin liessen sich Lösungen finden
Doch für ein Dreiertreffen gibt es ein dreifaches Problem: Erstens boykottiert das WEF Russland und russische Teilnehmer. Zweitens beinhalten die Schweizer Sanktionen gegen Russland ein Einreiseverbot für russische Personen. Drittens gilt ein internationaler Haftbefehl gegen Putin.
Sollte Trump aber Putins Teilnahme wünschen und dieser bereit sein, nach Davos zu kommen – wie zur Zeit, als er noch nicht geächtet war –, liessen sich Lösungen finden. Das heisst es aus dem WEF-Sitz in Cologny und aus Bern. Der Russland-Boykott wurde auf Anweisung von Klaus Schwab erlassen, der jetzt weg ist; man könnte ihn aufheben oder abschwächen.
Der Bund hat seine Flexibilität bereits bewiesen: Im Juli erhielt die sanktionierte russische Politikerin Walentina Matwijenko eine Ausnahmebewilligung für einen internationalen Parlamentskongress in Genf.
Mitte August brachten europäische Staatschefs ein Treffen zwischen Selenski und Putin in Genf ins Spiel. Aussenminister Ignazio Cassis stellte klar: Der Haftbefehl gegen Putin würde einer Einreise des russischen Präsidenten zu Friedensgesprächen nicht im Wege stehen. Der Bundesrat hat bereits Verfahren definiert, um Putin vorübergehend Immunität zu gewähren. Er würde dann nicht am WEF verhaftet werden.
In Cologny und in Bern bereitet man sich auf alle Eventualitäten vor. Denn dass der Krieg in der Ukraine bis Mitte Januar, wenn das WEF stattfindet, beendet sein wird: Dafür gibt es kaum Anzeichen. Dem Davoser Kongress könnte darum eine besondere Rolle zukommen, nachdem jetzt der Westen wieder auf verstärkte Sanktionen setzt, um Putin an den Verhandlungstisch zu zwingen.
Das Robin-Hood-Prinzip der EU
Den Anfang machte diese Woche US-Präsident Donald Trump. Erstmals seit seinem Amtsantritt verhängte er neue Strafmassnahmen gegen Russland. Und die haben es in sich: Wer künftig mit den russischen Öl-Giganten Rosneft und Lukoil Geschäfte macht, riskiert in den Bannstrahl der Amerikaner zu geraten. In China und Indien, den beiden grössten Kunden von Putins Öl, gehen die grossen Importeure bereits auf Distanz.
Am Donnerstag gaben die EU-Staats- und Regierungschefs grünes Licht für neue Sanktionen, etwa ein vollständiges Importverbot von russischem Flüssiggas.
Vor allem aber will die EU nun einen Weg finden, eingefrorene russische Zentralbankgelder anzuzapfen. Es wäre die Robin-Hood-Geschichte par excellence: Man nimmt 140 Milliarden Euro von Russland und gibt sie der Ukraine. Putin bezahlt den Krieg, den er seinem Nachbarland aufgezwungen hat.
Nur gibt es einen Haken: Auch der noble Robin Hood ist ein Dieb. Die Konfiszierung von Staatsgeldern ist völkerrechtliches Neuland. Staaten sind immun und so sind es auch ihre Vermögenswerte. Belgien, wo der Grossteil der russischen Gelder liegt, steht deshalb auf der Bremse. Und auch die Präsidentin der Europäischen Zentralbank (EZB), Christine Lagarde, sagte in Brüssel, es dürfe erstens keinen Zweifel geben, dass man das Geld im Notfall sofort zurückzahlen könne. Und zweitens wäre es gut fürs Vertrauen in Europas Finanzsystem, wenn auch Länder von ausserhalb der Euro-Zone mit an Bord wären.
Und da kommt die Schweiz wieder ins Spiel, wo auf diversen Geschäftsbanken rund 7,5 Milliarden Franken von Putins Staats-Reserven liegen. In Brüssel steigt der Erwartungsdruck, dass auch Bern Hand bietet, die Ukraine mit russischem Geld zu versorgen.
Cassis' Distanz zum «lieben Wolodimir»
Der Druck aus der EU macht einmal mehr das Dilemma deutlich, in dem sich die Schweiz seit Beginn des russischen Angriffskriegs im Februar 2022 befindet. Sie muss einerseits die Erwartungen der europäischen Partner erfüllen, sich solidarisch mit der Ukraine zu zeigen und die Sanktionen mitzutragen. Der Spielraum für Sololäufe ist umso kleiner, als die Schweiz aus neutralitätspolitischen Gründen keine militärische Hilfe leistet.
Andererseits will der Bundesrat, die Schweiz als Vermittlerin oder zumindest als Gastgeberin zu positionieren. Und das funktioniert nur, wenn neben der Ukraine auch Russland einverstanden ist.
Diese Gratwanderung lässt sich an Aussenminister Ignazio Cassis illustrieren. Einen Monat nach Kriegsausbruch begrüsste er im März 2022 den ukrainischen Staatschef Selenski als «lieber Wolodimir» zu einer Live-Videoansprache vor Tausenden Demonstranten auf dem Bundesplatz.
Zuletzt gab Cassis jedoch wieder stärker den neutralen Vermittler – und intensivierte die Kontakte zu Moskau. Im September sprach er in New York mit seinem russischen Amtskollegen Sergei Lawrow über den Vorsitz der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), den die Schweiz 2026 übernimmt.
In Bern betont man, dass auch Russland dem Schweizer Vorsitz zugestimmt hat. Dies zeige, dass Moskau die Schweiz – trotz der Rhetorik, sie sei «ein feindlich gesinnter Staat» – als Vermittlerin ernst nehme.
Zeitspiel bei den Sanktionen
In der unvorhersehbaren Ukraine-Politik von Donald Trump kann sich innert Tagen die Möglichkeit eines Spitzentreffens unter Beteiligung Putins ergeben, etwa am WEF. Die Schweiz stünde als Gastgeberin bereit.
Doch deshalb wird sie in absehbarer Zeit keine Abkehr von den EU-Sanktionen vornehmen, um sich Russland als Austragungsort von Friedensgesprächen anzubieten.
Diese sind im Bundesrat im Grundsatz unbestritten. Auch der für das Sanktionswesen zuständige SVP-Wirtschaftsminister Guy Parmelin trägt deren Umsetzung loyal mit.
Spielraum hat die Landesregierung allerdings beim Tempo der Umsetzung. Das von der EU Mitte Juli beschlossene 18. Sanktionspaket hat der Bundesrat im August erst teilweise in Kraft gesetzt. Die restlichen Massnahmen werden laut Bund noch geprüft. Bei dem am Donnerstag beschlossenen 19. EU-Sanktionspaket sind diese Prüfungsarbeiten erst am Anlaufen.
Beim Hochseilakt zwischen Ukraine-Solidarität und Vermittlerrolle unter Einbezug Russlands bleibt dem Bundesrat als Balancierstange nicht viel mehr als ein taktisches Spiel auf Zeit. Er darf dabei einfach die Geduld der EU und des «lieben Wolodimir» nicht überstrapazieren. (aargauerzeitung.ch)
