Ausgezehrte Inhaftierte strömen fassungslos aus der Haftanstalt Saidnaya bei Damaskus. Einige von ihnen wissen weder ihren Namen noch woher sie stammen. Jemand glaubt, er sei von Saddam Hussein befreit worden – so lange war er von der Aussenwelt abgeschottet.
Kaum ein Ort verkörpert die Schreckensherrschaft des Assad-Regimes so symbolisch wie das dreistrahlige Gefängnis, das in der Bevölkerung als «Schlachthaus für Menschen» bekannt ist.
Hunderttausende Syrerinnen und Syrer sind während des Bürgerkriegs hinter den Mauern verschwunden, darunter politische Gefangene, Oppositionelle, Menschenrechtsaktivisten. Folter, Missbrauch und Hunger waren genauso verbreitet wie Massenexekutionen.
Bislang gab es nur Berichte über die menschenrechtsverletzenden Zustände, die sich hinter den Mauern abspielten, nun haben die Milizionäre die Tore der Folteranstalt erstmals für die Welt geöffnet.
Noch immer fällt es den Milizionären schwer, sich im weitläufigen Gefängniskomplex zurechtzufinden. Gemeinsam mit den Weisshelmen (Syrischer Zivilschutz) durchkämmen sie das Gelände auf der Suche nach Inhaftierten. Die Wärter flohen, als die Anti-Assad-Offensive näher rückte.
Schätzungen zufolge konnten inzwischen bis zu 50'000 Menschen befreit werden, darunter auch Frauen und Kinder. Gebaut wurde das Gefängnis für zehn- bis zwanzigtausend Häftlinge. Einige der Inhaftierten wurden aus Zellen befreit, die mehrere Stockwerke unter der Erde liegen und mit Codes und Tarnmechanismen gesichert waren. Manche von ihnen befanden sich seit Beginn des Bürgerkriegs vor 13 Jahren in Gefangenschaft.
Das Gefängnis sei die Hölle gewesen, sagt der Direktor der Weisshelme Raed al-Saleh. Täglich sollen Hinrichtungen stattgefunden haben. Die Rettungskräfte entdeckten Leichen in Öfen. In Saidnaya soll es keine Verhöre gegeben haben. Folter sei nicht eingesetzt worden, um an Informationen zu gelangen, sondern zur Erniedrigung, Bestrafung und Demütigung.
Videos zeigen die prekären Bedingungen in den Gefängniszellen. Menschen kauerten in engen Zellen, es blieb kaum Platz, um sich auf den harten Betonboden zu legen. Kein Tageslicht drang in die Kerker. In jeder Zelle soll es nur eine einzelne Metallschüssel für Essen gegeben haben, einige Zellen befanden sich im Schlamm.
«Viele Menschen, die in Saidnaya und ähnlichen Einrichtungen starben, wurden nicht hingerichtet: Sie sind einfach langsam zugrunde gegangen – durch eine Kombination aus Folter, Krankheiten, Mangelernährung», schreibt Nahost-Experte Tobias Schneider des Global Public Policy Institute auf X.
Der Gesundheitszustand der Freigelassenen ist al-Saleh zufolge katastrophal – physisch und psychisch.
Überlebende berichteten, dass die Wärter absolutes Schweigen durchsetzten und ihre Zigaretten auf ihren Körpern ausgedrückt hätten. Die Wände der Zellen sind mit handgeschriebenen Nachrichten bedeckt. «Tab, Khadni» – «Jetzt reicht es, nimm mich einfach», lautete eine der Nachrichten.
«Viele Szenen, die ich im Gefängnis gesehen habe, kann ich nie wieder aus meinem Gedächtnis löschen», sagt ein Befreiter gegenüber dem arabischsprachigen Fernsehsender Al Jazeera. Er sei wegen der Teilnahme an einer Demonstration zu einer 31-jährigen Haftstrafe verurteilt worden. 14 Jahre lang sei er schwerer körperlicher und psychischer Folter ausgesetzt gewesen.
Eine weitere befreite Person berichtet: «Aufgrund der Schwere der Folter und der brutalen Methoden fühlte sich jede Minute wie ein Todesstoss an.» Sein schlimmster Moment sei jedoch gewesen, als er im Gefängnis einem Verwandten begegnete, dem die Beine amputiert worden waren. 2017 sei er wegen Terrorismusvorwürfen verhaftet und ohne Gerichtsverfahren ins Gefängnis gebracht worden.
Er dachte, die Behörden hätten ihn vergessen, weil er im Gefängnis kein Mensch, sondern nur noch eine Nummer war.
Die Verantwortlichen und die ‚Ausführer‘ dieser menschenverachtenden Taten werden wahrscheinlich nie für diese Grausamkeiten verurteilt und das ist unerträglich!
Sie war für deren Konzept von "Frieden" sehr wichtig. "Frieden" ist für solche Leute, wenn es keinen Widerstand mehr gibt, der sich irgendwie bemerkbar machen könnte.