Der Beitritt von Schweden und Finnland zur Nato schien eine Formsache zu sein.
Doch nun macht die Türkei ihre Drohungen wahr und blockiert vorerst das Verfahren für die Aufnahme von Schweden und Finnland in die Nato.
Ein Überblick:
Schweden und Finnland hatten am Mittwochmorgen kurz vor der Sitzung des Nato-Rats offiziell die Aufnahme in die Verteidigungsallianz beantragt. Botschafter der beiden Staaten übergaben Generalsekretär Jens Stoltenberg in der Brüsseler Bündniszentrale die entsprechenden Dokumente. Dieser sprach von einem «historischen Schritt».
Historisch darum, weil beide Staaten bisher jahrzehntelang eine Politik der militärischen Bündnisfreiheit verfolgten.
Doch der russische Einmarsch in die Ukraine weckte Sicherheitssorgen und ist der Grund für den Beitrittswunsch der beiden nordischen Länder.
Während Finnland eine 1340 Kilometer lange Grenze mit Russland teilt, über die bereits im Winterkrieg 1939 sowjetische Soldaten in Finnland einmarschierten, fürchtete sich Schweden eher vor einem Angriff von der russischen Marine in der Ostsee.
Eigentlich war vorgesehen gewesen, dass der Nato-Rat nach der Übergabe der Anträge sofort den Start der Beitrittsgespräche beschliesst. Doch dies konnte nicht umgesetzt werden, denn die Türkei machte Sicherheitsbedenken geltend, wie die Deutsche Presse-Agentur (DPA) aus Bündniskreisen erfuhr.
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan machte unterdessen deutlich, dass er eine Zustimmung zum Nato-Beitritt Schwedens und Finnlands an türkische Forderungen knüpfe – sowie an den Respekt, den man ihren Empfindsamkeiten entgegenbringe, wie er bei einer Rede vor seiner islamisch-konservativen Regierungspartei AKP in Ankara sagte.
Erdogan bemängelte in der Rede öffentlich, dass Schweden und Finnland zum einen die Zustimmung der Türkei für eine Nato-Mitgliedschaft forderten, aber gleichzeitig auch «Terrororganisationen» unterstützten. «Das ist milde ausgedrückt ein Widerspruch.»
Schweden warf Erdogan konkret vor, die Auslieferung von 30 «Terroristen» an die Türkei zu verweigern. Als «Terroristen» bezeichnet Erdogan Anhänger der Kurdenmiliz YPG in Syrien. Für die Türkei ist die YPG ein Ableger der verbotenen kurdischen PKK in Nordsyrien, für die USA ist sie ein Verbündeter im Kampf gegen die islamistische Terrormiliz IS in Syrien.
Dem Nato-Mitglied USA wirft Erdogan vor, in den letzten Jahren die Terrororganisation PKK und ihre Ableger in Nordsyrien finanziell unterstützt zu haben. Schweden und Finnland wirft Erdogan vor, «Gästehaus und Brutstätte für die PKK» zu sein. Er verlangt ausdrücklich, dass damit bald Schluss sein müsse. «Die Nato ist ein Sicherheitsbund, eine Sicherheitsorganisation. Insofern können wir nicht ja dazu sagen, dieses Sicherheitsorgan unsicher zu machen», sagte Erdogan.
Der Türkei-Experte Uluc Özülker sagt darum gegenüber der Tagesschau des deutschen Senders ARD:
Nach Angaben von Diplomaten könnten neben Erklärungen der beiden Nordländer zum Kampf gegen den Terrorismus auch Waffengeschäfte eine Rolle spielen: 2019 flog die Türkei aus einem gemeinsamen Entwicklungsprogramm für neue F-35-Kampfflugzeug, da sie ein russisches Raketenabwehrsystem gekauft hatte. Nun schwenkte die Türkei aber vor einigen Monaten auf den US-Kampfjet F-16 um. Doch Erdogan könne sich der Rüstungslieferung nicht sicher sein, wie die ARD-Tagesschau schreibt.
Mit der Weigerung, Finnland und Schweden den Beitritt zu gewähren, stellt die türkische Regierung wohl auch die amerikanische Regierung unter Druck, den USA F-16-Kampfjets kaufen zu können.
In der Nato gilt für alle Entscheide ein Einstimmigkeitsprinzip. Sollte Ankara allerdings also hart bleiben, wäre das Bündnis machtlos. Besonders unangenehm ist für die Nato, dass die Türkei das Aufnahmeverfahren auch noch an mehreren anderen Stellen im Aufnahmeprozess blockieren könnte, zum Beispiel, indem sie die Ratifizierung verweigert.
Ein Sprecher des Bündnisses wollte sich gegenüber der DPA nicht zu den Gesprächen im Nato-Rat äussern. Er betonte lediglich, dass Generalsekretär Jens Stoltenberg entschlossen sei, zu einer schnellen Lösung für Finnland und Schweden zu kommen. «Beide Länder sind unsere engsten Partner, und ihr Beitritt zur Nato würde die euroatlantische Sicherheit stärken», sagte er.
Generalsekretär Stoltenberg rief die Bündnisstaaten am Mittwoch dazu auf, die Sicherheitsinteressen aller zur berücksichtigen und zusammenzustehen:
Grundsätzlich seien sich die Verbündeten einig, dass man diesen historischen Augenblick für die Norderweiterung nutzen müsse.
Finnland und Schweden gaben sich zunächst zuversichtlich, eine Lösung mit der Türkei zu finden. «Eine Reihe von diplomatischen Anstrengungen wird auf den Weg gebracht», erklärte das schwedische Aussenministerium auf dpa-Anfrage.
Finnlands Präsident Sauli Niinistö und die schwedische Regierungschefin Magdalena Andersson werden am Donnerstag in Washington erwartet, wo sie mit US-Präsident Joe Biden über den geplanten Nato-Beitritt sprechen wollen.
Ein Hoffnungsschimmer waren am Mittwoch Gespräche des türkischen Aussenministers Mevlüt Cavusoglu mit seinem US-Kollegen Antony Blinken in New York. Dort sollte Bewegung in die Sache gebracht werden.
Dies sagte ein Diplomat am Mittwoch in Brüssel.
Sollte die Türkei ihre Vorbehalte gegen einen Nato-Beitritt aufgeben, dürfte alles ganz schnell gehen. Bereits im Juni könnten dann die sogenannten Beitrittsprotokolle unterzeichnet werden und in den Mitgliedstaaten die Ratifizierungsverfahren beginnen. Im Idealfall wären Finnland und Schweden dann bis Ende des Jahres Nato-Mitglied.
(yam, mit Material der sda/dpa)
Faustregel: in jedem Gremium sitzt mindestens ein Mitglied, dem es primär um eigene Interessen statt dem Wohl der Gesamtheit geht.