Finnland will in die Nato und macht Nägel mit Köpfen: Ein offizielles Statement haben die Ministerpräsidentin und der Präsident des nordeuropäischen Staates am Donnerstagmorgen publiziert.
Joint statement by the President of the Republic and Prime Minister of Finland on Finland's NATO membershiphttps://t.co/IWJQg6Hj69 pic.twitter.com/0LV3FVyNdw
— TPKanslia (@TPKanslia) May 12, 2022
Der Präsident Sauli Niinistö und Ministerpräsidentin Sanna Marin haben sich unter dem Eindruck des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine für einen «unverzüglichen» Nato-Beitritt ihres Landes ausgesprochen.
Eigentlich war Magdalena Andersson keine grosse Unterstützerin der Nato. Das hatte die sozialdemokratische Ministerpräsidentin Schwedens erst im vergangenen November auf einem Parteitag noch mal betont. Doch Anfang Mai deutete sie eine Kursänderung an.
Der Angriff Russlands auf die Ukraine sei eine «tiefe, einschneidende Wende», sagte Andersson. An die werde sich Schweden anpassen. Deutlicher formulierte es Finnlands Regierungschefin Sanna Marin, die ebenfalls anwesend war: «In einer Zeit, in der Russland ohne jede Berechtigung anderen seine Entscheidungen diktieren will, ist die Politik der offenen Tür der Nato wichtiger als je zuvor.»
Gut möglich, dass beide Länder demnächst durch diese Tür gehen werden: Seit dem russischen Angriffskrieg haben sowohl Finnland als auch Schweden ein immer stärkeres Interesse an einer Nato-Mitgliedschaft bekundet. Doch wie könnten die nächsten Schritte aussehen? Ein Überblick:
Seit Putin der Ukraine den Krieg erklärt hat, steigt die Zustimmung in beiden Ländern für einen Nato-Beitritt immer weiter an. In Finnland sind laut einer Umfrage des Rundfunksenders Yle vom Montag 76 Prozent dafür, Ende April lag sie in Schweden laut der Zeitung «Aftonbladet» bei 57 Prozent.
In Helsinki hat der Verteidigungsausschuss bereits den Beitritt empfohlen. Heute nun erfolgte das mit Spannung erwartete Statement der Staatsspitze: Man will so schnell wie möglich in die Nato.
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Am Sonntag sollen dann die in Schweden regierenden Sozialdemokraten folgen. Anfang kommender Woche könnten dann beide Länder gemeinsam offiziell ihr Interesse an einer Mitgliedschaft verkünden. Passen würde dazu ein Termin am kommenden Dienstag: Dann trifft Präsident Niinistö die schwedische Königsfamilie.
«Für Finnland ist ein Beitritt sicher. Schweden würde sich alleine vielleicht etwas mehr Zeit nehmen, aber der Druck ist gerade zu gross,» sagt Minna Ålander von der Stiftung Wissenschaft und Politik im Gespräch mit t-online. Da Schweden ohnehin über das kleinere Militär verfüge und bereits jetzt dort eng mit Finnland kooperiere, sei ein Alleingang von einem der Länder unwahrscheinlich. Zudem herrsche zwischen allen nordischen Ländern eine starke Verbundenheit, die es kaum zulassen würden, dass Schweden als einziges Land Skandinaviens kein Nato-Mitglied bleibt.
Beide Länder hatten sich lange Zeit der Neutralität verpflichtet, in Schweden geht diese Tradition mehr als 200 Jahre zurück. Damals war das Land in einem Krieg mit Russland und musste daraufhin das noch nicht unabhängige Finnland abgeben. Seinen letzten Krieg führte das Land dann 1814 mit Norwegen. Seitdem verfolgte das Land eine neutrale Politik.
Die finnische Neutralität entstand nach dem Zweiten Weltkrieg. Damals kämpfte das Land noch mit der Sowjetunion und musste später Gebiete abtreten. Daraufhin kam Finnland gewissermassen zwangsweise zu seiner Neutralität: Mit der Sowjetunion wurde 1948 ein Freundschaftsabkommen geschlossen, das Finnland verpflichtete, dem grossen Nachbarn im Falle eines deutschen Angriffs beizustehen. Gleichzeitig baute man wieder Beziehungen zum Westen auf. Diese Phase prägte den Begriff der «Finnlandisierung».
Nach dem Zerfall der Sowjetunion suchten beide Länder die Nähe zur Nato, traten ihr aber nicht bei. Seit 1994 nehmen sie unter anderem an dem «Partnership for Peace»-Programm des Bündnisses teil, das grundsätzlich Kooperationen ermöglicht. Zuletzt etwa waren finnische und schwedische Truppen Teil der Nato-Übung «Cold Response», die in Norwegen stattfindet. 1995 traten Finnland und Schweden zusätzlich der Europäischen Union bei. Dadurch sind beide Staaten auch ohne Nato-Beitritt in westliche Strukturen so eingegliedert, dass sie nicht mehr als neutral, sondern als «bündnisfrei» eingestuft werden.
In jedem Fall so, dass sie der Nato strategische Vorteile brächten. Vor allem Finnland – flächenmässig ähnlich gross wie Deutschland, aber mit nur 5.5 Millionen Einwohnern – verfügt über ausgesprochen hochgerüstete Streitkräfte: Dort gilt immer noch die Wehrpflicht. In einer Kriegssituation wären in dem Land 280'000 Soldaten einsatzbereit. Dazu kommen weitere 900'000 Reservisten. Zum Vergleich: Die Bundeswehr verfügt aktuell über rund 180'000 Soldaten. Laut offiziellen Zahlen kommt Deutschland ebenfalls auf 900'000 Reservisten, davon sollen mittelfristig laut Reservistenverband aber gerade einmal 40'000 einsatzfähig sein.
Hinzu kommen hohe Militärausgaben: Das Land hatte zuletzt etwa den Kauf von 64 F-35 Kampfjets verkündet. Den hat Deutschland ebenfalls bestellt, allerdings will die Bundeswehr nur 35.
Die schwedische Armee verfügt über deutlich weniger Personal: Aktuell sollen nur 16'000 Soldaten einsatzbereit sein. Minna Ålander sieht dagegen andere Stärken: Das Militär habe etwa gute Kenntnisse im Bereich Cybersicherheit. Zudem hat das Land seinen Wehretat in den vergangenen Jahren stetig erhöht. «Es gibt Länder, die in die Nato wollen, aber dem Bündnis eher zur Last fallen würden. Finnland und Schweden gehören nicht dazu», ist sich Ålander sicher.
Zudem verfügen beide Länder durch ihre langen Küstenregionen über eine starke Marine: Mit Finnland und Schweden wären auch abgesehen von Russland alle Staaten mit Zugang zur Ostsee in das Verteidigungsbündnis integriert.
Sehr wohlwollend. Das hatte Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg bereits Ende April angekündigt. Man werde beide Länder nicht nur herzlich willkommen heissen, sondern vermutlich auch schnell zu Mitgliedern machen können.
Das ist bemerkenswert, denn grundsätzlich kann der Aufnahmeprozess langwierig sein. Das zeigte sich in der Vergangenheit nicht zuletzt an den stockenden Verfahren im Fall von Georgien oder auch der Ukraine. Das Verfahren läuft dabei in mehreren Stufen und setzt voraus, dass alle Nato-Staaten einem Beitritt zustimmen. In Deutschland entscheidet etwa der Bundestag über die Anträge für das Verteidigungsbündnis. Mehr zu den konkreten Etappen lesen Sie hier .
Schweden und Finnland kommt allerdings zugute, dass beide Länder bereits weitreichende Verbindungen in Strukturen des Bündnisses besitzen. Dementsprechend gilt es als wahrscheinlich, dass beide Länder im Eiltempo das Verfahren durchlaufen. Wie schnell das gehen könnte, machte zuletzt ein namentlich nicht genannter Mitarbeiter der Nato deutlich: Die Beitrittsverhandlungen würden vermutlich einen Tag dauern, bis zur Unterzeichnung der Protokolle könnten lediglich zwei Wochen vergehen. Dann fehle nur noch die Zustimmung aus den 30 Nato-Ländern. Zum Vergleich: Bosnien-Herzegowina, das ebenfalls die Mitgliedschaft anstrebt, bemüht sich seit mehr als zehn Jahren um eine Mitgliedschaft.
Grundsätzlich wird die Nato aus Sicht des Kremls als Bedrohung wahrgenommen. Wladimir Putin argumentierte immer wieder vor Beginn des Ukraine-Krieges mit einem möglichen Beitritt der Ukraine, der als Provokation wahrgenommen werde. Nun könne mit Finnland ein hochgerüsteter Nachbarstaat Mitglied werden, der eine 1'340 Kilometer lange Grenze mit Russland teilt.
Der ehemalige russische Präsident Dmitri Medwedew warnte etwa im April, dass Russland dann seine militärische Präsenz in der Ostsee stärken würde. Auch die Sprecherin des russischen Aussenministers, Maria Sacharowa, drohte im Falle eines Beitritts mit «schwerwiegenden militärischen Konsequenzen» .
Das Risiko für eine militärische Eskalation schätzt Minna Ålander dagegen eher als gering ein. Russland habe aktuell überhaupt nicht die Möglichkeit, militärisch im Norden eine grössere Präsenz aufzufahren. Zudem sei schon jetzt die deutliche Westbindung beider Länder erkennbar: «Für Putin ist schon längst klar, dass beide Länder zum Westen gehören.» Möglich sei es stattdessen, dass es vermehrt zu Cyberattacken kommen könnte. Darauf sei aber Finnland schon länger vorbereitet. «Ein Nato-Beitritt wird keine rote Linie sein.»
Sollte Russland allerdings doch einen Militärschlag planen, wäre vor allem die Übergangsphase bis zum offiziellen Beitritt kritisch. Laut Ålander haben die Regierungen beider Länder aber bereits von vielen Nato-Staaten die Zusage, dass der Prozess nicht in die Länge gezogen werden soll. Auch Militärhilfen wurden bereits zugesichert: Am Dienstag erklärte etwa der britische Premier Boris Johnson , Grossbritannien würde beide Länder bei einem Angriff militärisch unterstützen. Mit dem finnischen Präsidenten unterzeichnete Johnson noch am Mittwoch eine gegenseitige militärische Beistandserklärung.
Verwendete Quellen: