Das Weisse Haus hat gelogen: Die Tötung des Terrorfürsten Osama bin Laden spielte sich ganz anders ab als in der Version der US-Regierung. Diesen Vorwurf erhebt der Starjournalist Seymour M. Hersh in einem neuen Bericht. Nun werden daran ernstzunehmende Zweifel laut.
Der Terrorexperte Peter Bergen bezeichnet Hershs Bericht in einem Meinungsstück auf cnn.com als einen «Haufen Unsinn». Das Urteil kommt nicht von irgendjemandem: Bergen war 1997 der erste westliche Journalist, der Osama bin Laden interviewte. Für sein 2001 erschienenes Buch «Die Jagd auf Osama bin Laden» befasste er sich intensiv mit der lange vergeblichen Suche nach dem Al-Kaida-Anführer.
Ausserdem war Bergen nach eigenen Angaben der einzige Aussenstehende, der Osamas Anwesen in Abbottabad besichtigen konnte, bevor es vom pakistanischen Militär zerstört wurde.
Im Einzelnen stellt Bergen folgende vier Punkte von Hershs Bericht in Frage:
Peter Bergen beruft sich auf Matt Bissonnette und Robert O'Neill, zwei US-Elitesoldaten, die bei der Mission dabei waren. Beide gaben öffentlich zu, dass in dieser Nacht mehrere Menschen getötet wurden, darunter beide Leibwächter bin Ladens, einer seiner Söhne sowie die Ehefrau eines Leibwächters. Protokoll
Bei seinem Besuch in Abbottabad habe Bergen mit eigenen Augen Beweise für mehrere Feuergefechte gesehen: beschädigte Gebäude, Einschusslöcher in den Wänden, überall Glassplitter.
Bin Laden wollte die saudische Königsfamilie stürzen und verlor deshalb 1994 seine Staatsbürgerschaft. Dass Saudi-Arabien danach finanziell für seinen schlimmsten Feind aufgekommen sein soll, bezeichnet Bergen als «lachhaft».
Falls Pakistan den Terrorfürsten wirklich in Gefangenschaft hielt und die USA davon Wind bekommen haben, hätte es für beide Länder einen einfacheren Weg gegeben als eine Militäraktion, schreibt Bergen: eine Auslieferung bin Ladens an die USA.
Das habe Pakistan schon bei anderen Al-Kaida-Führungsfiguren getan: Chalid Scheich Mohammed, der Chefplaner der 9/11-Anschläge, und Abu Faradsch al-Libi, eines der ranghöchsten Mitglieder der Terrororganisation, wurden beide an die USA ausgehändigt.
Die pakistanische Regierung sei genauso überrascht über bin Ladens Aufenthaltsort gewesen wie der Rest der Welt – dies belegt die abgefangene Kommunikation hochrangiger pakistanischer Militär-Offiziere in der Nacht der Tötung, so Bergen.
Pakistan soll bei der Tötungsmission kooperiert haben – als Gegenleistung würden die USA der Welt nicht verraten, dass Pakistan Osama bin Laden jahrelang beherbergt hat, schreibt Hersh.
«Es gab für die USA keinen Grund, so etwas zu vertuschen», findet Bergen. Sie hätten nichts zu verlieren gehabt. Zum Zeitpunkt der Mission seien die diplomatischen Beziehungen der beiden Länder auf einem Tiefpunkt gewesen, weil Pakistan einen CIA-Agenten wegen der Tötung zweier Menschen inhaftiert hatte.
Ärger droht Seymour Hersh auch von anderer Seite. Eine Bloggerin stützt zwar seine Version – beschuldigt den Journalisten aber, bei ihr abgeschrieben zu haben. R.J. Hillhouse, die in ihrem Blog «The Spy Who Billd Me» die nationale Sicherheit der USA thematisiert, habe über all die wichtigsten Punkte schon 2011 berichtet, schreibt sie.
Tatsächlich tauchen in dem Blogeintrag vom 7. August 2011, wenige Monate nach bin Ladens Tod, die wichtigsten Vorwürfe Hershs schon auf:
Hillhouse hält an ihrer Version fest: «Ich vertraue meinen Quellen, und es waren andere als Hershs», schreibt sie. «Ich bin jedoch tief enttäuscht, dass er derjenigen, die die Story als erstes publizierte, nicht Anerkennung zollt.» (rey)