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Weiter grosse Proteste in der Türkei – Polizei geht aggressiver vor

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Die Proteste in Istanbul halten trotz gewaltsamen Vorgehen der Polizei an.Bild: keystone

Weiter grosse Proteste in der Türkei – Polizei geht aggressiver vor

In der Türkei sind nach der Absetzung des Istanbuler Bürgermeisters Ekrem Imamoglu erneut Hunderttausende Menschen auf die Strasse gegangen. Die Polizei reagiert mit zunehmender Gewalt.
24.03.2025, 04:0524.03.2025, 06:36
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Nach der Inhaftierung und vorübergehenden Absetzung des Istanbuler Bürgermeisters Ekrem Imamoglu weiten sich die Proteste in der Türkei aus. In mehreren Städten des Landes zogen Hunderttausende durch die Strassen, unter anderem – trotz Demonstrationsverbots – auch in Istanbul und Ankara. Die Polizei setzte Berichten zufolge am späten Abend Wasserwerfer und Tränengas gegen die Demonstrierenden ein. Imamoglus Partei CHP wählte ihn kurz zuvor trotz Inhaftierung zum Präsidentschaftskandidaten.

A riot police officer kicks a protester as they clash during a protest after Istanbul's Mayor Ekrem Imamoglu was arrested and sent to prison, in Istanbul, Turkey, Sunday, March 23, 2025. (AP Phot ...
Demonstranten liefern sich Gefechte mit Sicherheitskräften.Bild: keystone

Der Istanbuler Bürgermeister gilt als aussichtsreichster Herausforderer von Präsident Recep Tayyip Erdogan bei der für 2028 angesetzten Wahl. Er war am Mittwoch im Zusammenhang mit Korruptions- und Terrorermittlungen festgenommen und schliesslich am Sonntag wegen Korruptionsvorwürfen in Untersuchungshaft überführt worden. Überdies werden Terrorermittlungen gegen ihn geführt. Seit der Festnahme gibt es landesweite Proteste dagegen – mittlerweile den fünften Tag in Folge.

Imamoglu selbst bestreitet alle Vorwürfe und wirft seinerseits der Regierung vor, ihn mit den Ermittlungen als politischen Rivalen kaltstellen zu wollen. Das Innenministerium erkannte ihm wegen der Untersuchungshaft das Bürgermeisteramt ab. Das Ministerium sprach dabei von einem «vorübergehenden» Schritt. Medienberichten zufolge wurde er in ein Gefängnis in Silivri gebracht.

Grosse Zustimmung für Imamoglu bei parteiinterner Abstimmung

Trotz der Untersuchungshaft votierten in einer parteiinternen Abstimmung 1,6 Millionen der 1,7 Millionen CHP-Mitglieder für Imamoglu als Präsidentschaftskandidaten, wie Parteichef Özgür Özel am Abend bei einer Kundgebung in Istanbul sagte. Özel sprach von einer «historischen Wahl». Doch wegen der gegen Imamoglu laufenden Ermittlungen, die das Land seit Tagen in Aufruhr versetzen, steht ein grosses Fragezeichen hinter der politischen Zukunft des 53-Jährigen.

Zusätzlich hatte die Partei sogenannte Solidaritätswahlboxen aufgestellt – dort konnten Menschen symbolisch ihre Stimme für Imamoglu abgeben. Özel zufolge käme man nach Auszählung von etwas mehr als der Hälfte der Solidaritäts-Urnen bereits auf mehr als 13 Millionen symbolische Stimmen für Imamoglu. Die Türkei hat 85,6 Millionen Einwohner.

Die Wahl, in der Imamoglu als einziger Kandidat antrat, war bereits vor seiner Festnahme angesetzt worden. Die Partei öffnete sie danach symbolisch für Nicht-Parteimitglieder. Offizieller Kandidat ist Imamoglu erst, wenn die als regierungsfreundlich geltende türkische Wahlbehörde YSK seine Kandidatur bestätigt. Sollten die Ermittlungen nicht eingestellt werden, ist die Annahme seiner Kandidatur unwahrscheinlich.

Darüber hinaus war Imamoglu einen Tag vor seiner Festnahme sein Universitätsabschluss aberkannt worden. Dieser ist Voraussetzung für eine Kandidatur für das Präsidentenamt. Umfragen sagen Imamoglu bisher gute Chancen gegen den seit 2003 abwechselnd als Regierungschef oder Präsident an der Staatsspitze stehenden Erdogan voraus.

CHP-Chef spricht von einer Million Demonstranten in Istanbul

Zu dem Protest am Sonntagabend in der Millionenmetropole Istanbul fanden sich vor der Stadtverwaltung auf dem Sarachane-Platz Hunderttausende ein. Der CHP-Chef sprach von einer Million Teilnehmern. Von lokalen Behörden gibt es keine Angaben zu der Grösse der Demonstrationen. Auch in Ankara setzten Tausende Menschen Berichten zufolge die Proteste fort. Laut Innenministerium wurden rund 700 Menschen festgenommen.

Imamoglu meldet sich zu Wort

«Ich grüsse die Millionen, die heute Abend auf dem Sarachane-Platz und auf den Plätzen überall in meinem Land ihre Stimme erhoben haben», hiess es in einer Mitteilung, die auf Imamoglus X-Account veröffentlicht wurde. «Sie haben Erdogan gesagt: »Jetzt reicht es!«.»

Auch die Bürgermeister der Istanbuler Gemeinden Beylikdüzü und Sisli wurden abgesetzt, in Sisli wurde ein Zwangsverwalter bestimmt. Ob für die politisch bedeutsame Metropole Istanbul nun ein regierungsnaher Treuhänder eingesetzt wird, ist noch unklar.

Derweil kritisierte Frankreich die Verhaftung Imamoglus als schwere Beschränkung der Demokratie. Die Einhaltung der Rechte von gewählten Oppositionellen, die Demonstrationsfreiheit und die Freiheit der freien Meinungsäusserung seien Grundpfeiler des Rechtsstaates. Die Türkei habe auch als EU-Beitrittskandidat in diesen Punkten Engagement zugesagt, mahnte das französische Aussenministerium. (sda/dpa/con)

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9 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Celtic Swiss
24.03.2025 05:48registriert Juni 2024
Offensichtlicher kann es Erdogan nicht machen.

Warum überhaupt die Mühe machen und Verhaftunsgründe suchen?

Erdogan ist doch schon lange diktatorischer Autokrat!
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Voraus denken!
24.03.2025 06:10registriert März 2022
Jetzt muss Erdogan die volle Härte zeigen und die Aufstände brutal niederschlagen.

So wie es China gemacht hat. Nur absolute Brutalität erstickt die Wünsche nach Demokratie im Keim.

Seine Kumpels schauen Erdi ganz genau zu.
Er muss sich als Diktator beweisen.

Das ist leider die traurige Realität in der Türkei.
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Sturmliechtli
24.03.2025 07:12registriert Februar 2025
wenigstens dürfte nun dem letzten klar sein, dass die türkei in der EU nichts verloren hat. spannend dürfte sein, was es für auswirkungen auf die erdogan freundlichen türken hier in westeuropa hat. ihr verhalten könnte zum problem werden.
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