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Scheindiskussion um Kopftuch in der Türkei

Scheindiskussion um Kopftuch in der Türkei – Erdogan schlägt Volksabstimmung vor

23.10.2022, 17:29
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Rund acht Monate vor wichtigen Wahlen in der Türkei hat Präsident Recep Tayyip Erdogan eine jahrealte Debatte über das Tragen des islamischen Kopftuchs wiederbelebt. Bei einer Rede in der Provinz Malatya schlug Erdogan am Samstag ein Referendum über eine Verfassungsänderung vor, die das Recht von Frauen auf Kopftuchtragen in öffentlichen Einrichtungen garantieren soll – aufgebracht hatte das Thema zuvor die Opposition.

Experten halten die Debatte für eine Scheindiskussion, weil Erdogan mit seiner islamisch-konservativen Regierungspartei AKP ein jahrzehntealtes Kopftuchverbot in öffentlichen Einrichtungen bereits seit 2013 schrittweise aufgehoben hatte. In der öffentlichen Wahrnehmung spielte das Thema seitdem kaum mehr eine Rolle.

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Recep Tayyip Erdogan und seine Frau Emine Erdogan. Sie trägt in der Öffentlichkeit Kopftuch.Bild: EPA/AP POOL

Die nächsten Parlaments- und Präsidentschaftswahlen sind im Juni 2023 geplant. Erdogan hat zuletzt angesichts der schwierigen Wirtschaftslage an Zustimmung verloren. Die Türkei kämpft zurzeit mit einer Inflation von mehr als 80 Prozent.

«Die Kopftuchdebatte ist unzeitgemäss und unnötig», sagte der Istanbuler Rechtsprofessor Ersan Sen der Deutschen Presse-Agentur am Sonntag. Das wichtigste Thema in den kommenden Monaten sei die Wirtschaft. Es sei ein Fehler gewesen, dass die Opposition das Thema angesprochen habe. «Erdogan muss sich darüber freuen, jetzt kann er die Agenda von der Wirtschaft ablenken», sagte der Experte.

Oppositionsführer Kemal Kilicdaroglu hatte Anfang Oktober einen Gesetzesentwurf zur Garantie des Kopftuchtragens eingebracht. Eine Verfassungsänderung lehnt er jedoch ab, wie er am Samstag betonte. Kilicdaroglus Partei CHP hält die säkulare Tradition in der Türkei hoch. Beobachter gehen davon aus, dass der Oppositionsführer mit seinem Vorstoss auch religiös-konservative Wähler gewinnen will.

Um ein Referendum durchzusetzen, ist Erdogan auf die Unterstützung der Opposition angewiesen. Die AKP hat mit dem ultranationalistischen Partner MHP zwar die Mehrheit im Parlament, aber nicht die erforderlichen Stimmen für eine Verfassungsänderung oder eine Volksabstimmung.

Die mehrheitlich von Muslimen bewohnte Türkei ist säkular – die Trennung von Religion und Staat ist in der Verfassung verankert. (yam/sda/dpa)

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10 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Micro
23.10.2022 18:45registriert November 2020
Lasst die Frauen doch einfach tragen, was sie wollen und hört auf, den Körper der Frau zu einem Politikum zu machen!
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Hösch
23.10.2022 18:38registriert März 2022
Das ist ja fast wie der Herrliche vom Berg mit seinen Puurezmorge.
Wenn sich die Leute emotional an die gute Zeit erinnern in der unter Anderem auch was mit Kopftuch war geht das Rationale schnell vergessen.

Populismus funktioniert.
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