Diese Videos zeigen angebliches ukrainisches Kriegsverbrechen – Experten sind skeptisch
Was ist passiert?
Auf einer Drohnenaufnahme aus dem ukrainischen Dorf Makijiwka (Oblast Luhansk) sind elf tote russische Soldaten zu sehen. Sie liegen eng nebeneinander zwischen zwei Gebäuden, das Gesicht zum Boden; Blutlachen überall. Wir publizieren die Aufnahme aufgrund des grafischen Inhalts nicht, wer sich das Video trotzdem ansehen möchte, kann dies hier tun.
Wurden die russischen Soldaten hingerichtet? Wurden sie Opfer eines Kriegsverbrechens? Diese Frage beschäftigt nun Kriegsexperten und die Kriegsparteien.
Denn auf einem anderen Video sind anscheinend die Momente kurz vor dem Tod der Soldaten zu sehen. Zu Beginn sieht man den Kameramann – einen Ukrainer – während eines Scharmützels in einer Wiese. Schnitt. Nun befindet sich sein Trupp ukrainischer Soldaten auf dem Hof aus dem ersten Video (dies konnte anhand von Satellitenbildern nachgewiesen werden). Der Trupp hat eines der Häuser umstellt, einer der Soldaten zielt mit seinem Maschinengewehr auf den Eingang.
The last captured Russian soldier opens fire on Ukrainian soldiers
— ТРУХА⚡️English (@TpyxaNews) November 18, 2022
Makiivka, Luhansk region pic.twitter.com/dAOsqgvGtd
Nach und nach kommen die Russen mit erhobenen Händen heraus und legen sich auf den Boden. Schnitt. Der Elfte tritt mit gezückter Waffe aus dem Haus und eröffnet das Feuer, dann bricht die Aufnahme ab. Im letzten Schnitt sieht man einen verletzten ukrainischen Soldaten, sehr wahrscheinlich den Kameramann.
Was spricht für ein Kriegsverbrechen?
Ein Vergleich der beiden Aufnahmen zeigt klar, dass die russischen Soldaten dort gestorben sind, wo sie sich nach ihrem scheinbaren Ergeben hingelegt hatten. Die Frage drehe sich nun darum, ob sie in der Reaktion auf die Schüsse des elften Mannes erschossen wurden oder als «Rache» darauf, sagt Iva Vukusic gegenüber der NYT. Sie ist Expertin für Kriegsverbrechen an der Universität Utrecht.
Zu diesem Zwecke sind und bleiben in Bezug auf die oben erwähnten Personen jederzeit und jedenorts verboten:
a. Angriffe auf Leib und Leben, namentlich Mord jeglicher Art, Verstümmelung, grausame Behandlung und Folterung [...]
d. Verurteilungen und Hinrichtungen ohne vorhergehendes Urteil eines ordnungsmässig bestellten Gerichtes, das die von den zivilisierten Völkern als unerlässlich anerkannten Rechtsgarantien bietet.
Zumal sich die russischen Soldaten offenbar ergeben haben, gelten sie als «hors de combat», also als Personen, welche nicht (mehr) an den Kampfhandlungen teilnehmen. In dem Fall wäre es gemäss der Genfer Konvention verboten, sie zu erschiessen.
Was spricht dagegen?
Vukusic spricht aber auch davon, dass das Verhalten des elften Soldaten als «Heimtücke» gelten könnte. Diese ist gemäss einem Zusatz der Genfer Konvention ebenfalls verboten und ein Kriegsverbrechen. Hier stellt sich die Frage, ob die russischen Soldaten dies gemeinsam geplant hatten, oder ob der Elfte die Aktion allein durchgeführt hat. In ersterem Fall würden die Ukrainer wahrscheinlich freigesprochen.
a) das Vortäuschen der Absicht, unter einer Parlamentärflagge zu verhandeln oder sich zu ergeben
[...]
Diverse Twitter-Nutzer mit militärischem Hintergrund sind überzeugt, dass das Verhalten des ukrainischen Trupps korrekt gewesen sei. Die Russen seien noch nicht auf versteckte Waffen durchsucht gewesen, weshalb der Soldat mit dem Maschinengewehr den Auftrag hatte, bei der kleinsten Bewegung das Feuer zu eröffnen. Dies sei ein Standardverhalten, welches so in modernen Armeen trainiert werde.
All the people calling what happened in Makiivka a "war crime" know fuck shit about surrender procedures.
— Thomas C. Theiner (@noclador) November 18, 2022
Surrenders of enemy forces larger than one's own force are TRAINED and follow procedures. The Ukrainian troops followed the procedure and because of that they are alive.
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Was sind die Reaktionen?
In Russland schlagen die Videos erwartungsgemäss hohe Wellen. Wladlen Tatarskii, ein bekannter Aktivist und Blogger, schreibt auf seinem Telegram-Kanal, dass man sich die Videos mehrmals ansehen müsse, um zu verstehen, mit wem man hier im Krieg sei: «Kein Russe kann in Frieden leben und schlafen, solange der Abschaum nicht tot ist!»
Während einer News-Show am Freitagabend auf dem staatlichen Sender Perwy 1 (Kanal 1) wurde behauptet, die Videos seien der Beweis für ukrainische Kriegsverbrechen. Der russische Menschenrechtsrat schrieb in einem Statement, man würde die Aufnahmen internationalen Organisationen zusenden. Auch das Untersuchungskomitee der Russischen Föderation, das russische FBI-Pendant, hat eine Untersuchung eingeleitet.
Marta Hurtado, eine Sprecherin der UN-Menschenrechtsstelle, sagte am Freitag gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters: «Anschuldigungen über Hinrichtungen von nicht-kombattanten Personen müssen schnell und vollständig untersucht werden.» Eine konkrete Untersuchung wurde jedoch noch nicht angekündigt.