Brigitte Bardot: Ihr Zauber, ihre grössten Lieben, ihr Rechtsrutsch
Eine schreckliche Familie
Das Elternhaus der Brigitte Bardot möchte man nicht einmal komatös auf den Bauch gebunden kriegen: Es ist bürgerlich, es ist katholisch, die Eltern lieben sich schon bald nicht mehr, der Vater betrachtet eine Peitsche als valables Erziehungsinstrument für seine beiden Töchter. Brigitte schielt, trägt Brille und Zahnspange und die Mutter sagt, sie sehe so gewöhnlich aus wie ein Dienstmädchen. Ihre Rettung heisst Ballettunterricht. Schliesslich wird sie zum erfolgreichen Teenie-Model.
Mit 14 wird sie zu einem Casting eingeladen, sie erhält den Job nicht, dafür lernt sie den schönen 20-jährigen Drehbuchautor Roger Vadim kennen. Er ist ihre erste Amour fou von vielen, als Brigitte 1952 18 Jahre alt ist, heiraten sie sofort. Ihre Familie ist gegen alles, gegen den Mann, dessen Eltern aus der Ukraine kamen, und gegen den Film, denn natürlich will Vadim einen Filmstar aus Brigitte Bardot machen. Der Grossvater spricht schliesslich ein pragmatisches Machtwort: «Wenn dieses kleine Mädchen eines Tages eine Hure werden soll, wird sie es mit oder ohne Kino werden. Geben wir ihr eine Chance, wir haben kein Recht, über ihre Zukunft zu entscheiden.» So jedenfalls ist es in BBs Autobiografie überliefert.
Die teuflische Göttin
Vadim (der später Jane Fonda in «Barbarella» zum Sex-Alien macht) schreibt ein paar Rollen für seine Frau in kleinen Filmen, sie tragen Titel wie «Reif auf jungen Blüten» und «Das Gänseblümchen wird entblättert», doch erst 1956, BB ist 21, kommt es zur Explosion. Zum Film, der Frankreich, den französischen Film, die französische Frau in ein «Vorher» und «Nachher» spaltet: Vadim führt nun selbst Regie, der Film heisst «Et Dieu ... créa la femme», Bardot ist ein Star. Sie ist jetzt blond und spielt ein erotomanes 18-jähriges Waisenmädchen in einem verlausten südfranzösischen Fischerdorf namens Saint-Tropez, wo sie jedem Mann den Kopf verdreht, bis es um Leben und Tod geht.
Die Welt ist schockiert und verzaubert, denn da ist diese junge, sinnliche, völlig skrupellose Frau, die keinerlei Zurückhaltung kennt, nur eine unbändige Lebenslust, die keine edlen Designerkleider trägt wie die Hollywoodstars jener Zeit und die – besonders das amerikanische Publikum ist darob komplett skandalisiert – vor der Kamera schwitzt! Richtig schwitzt! Sowas hat man im Kino noch nicht gesehen. Es ist, als würde sie mitten in die Kinosäle hinein ejakulieren.
Beide, Bardot und Saint-Tropez, werden über Nacht zu Wahrzeichen eines entfesselten, sexy Lebensstils, bald kauft sich Bardot ein Haus am Strand, man sieht sie dort im Kreis ihrer Bohemiens und Bohemiennes oben ohne mit einer Gitarre im Sand sitzen und singen, manchmal sind Tiere dabei, das Haus namens La Madrague ist bis zuletzt ihr Daheim.
Die Männerverschlingerin
Für Charles de Gaulle ist Brigitte Bardot als französisches Exportprodukt «so wichtig wie Renault». Simone de Beauvoir schreibt, sie transzendiere jede Vorstellung von Moral und sei deshalb weder pervers noch unmoralisch, sondern eine ganz eigene Kraft: «Wenn sie sich auszieht, enthüllt sie kein Geheimnis, sondern sie zeigt ganz einfach ihren Körper. Ihre Erotik ist nicht magisch, sondern aggressiv, im Liebesspiel ist sie gleichzeitig Jäger und Beute, und der Mann ist für sie ebenso Objekt wie sie für ihn.» Damals war sowas revolutionär.
Und Marguerite Duras dokumentiert: «Wenn ihr ein Mann ins Auge fällt, geht die Bardot ohne Umschweife auf ihn zu. Nichts hält sie auf. Ob er sich in einem Café befindet, zu Hause oder bei Freunden, spielt keine Rolle. Sie verschwindet mit ihm auf der Stelle, ohne ihren Begleiter, den sie verlässt, auch nur noch eines Blickes zu würdigen.» Sie hat recht.
Während des Drehs zu «Et Dieu ... créa la femme» betrügt sie Vadim mit ihrem Filmpartner Jean-Louis Trintignant. Und so wird es immer weitergehen: Kaum hat sie sich zu einer Beziehung mit einem Mann entschlossen, wird ihre Aufmerksamkeit schon wieder vom nächsten gefesselt. 1957 kommt es zu ihrer ersten Scheidung, 1959 heiratet sie den Schauspieler Jacques Charrier, sie haben sich bei Dreharbeiten kennengelernt.
Gunter mit den schönen Händen
Ihre spektakulärste Liebe wird der Opel-Erbe, Playboy, Bobfahrer und Fotograf Gunter Sachs. Es ist der 2. Juni 1966, die Bardot ist 31 und hat ihre bedeutendsten Filme, darunter «La Vérité» von Henri-Georges Clouzot, das Nackte-Frau-in-moderner-Architektur-Epos «Le Mépris» von Jean-Luc Godard und die Westernkomödie «Viva Maria!» von Louis Malle, hinter sich. Da trifft sie in einem Restaurant in der Nähe von Saint-Tropez auf einen Mann mit aussergewöhnlich gepflegten Händen und Umgangsformen. Sie fragt den Kellner nach seinem Namen. Am 29. Juni lädt Sachs sie zu einem Dinner am Strand ein, 200 Kerzen hat er für sie aufstellen lassen, die beiden «löschen» diese mit Gewehrschüssen.
Am nächsten Tag gewinnen sie im Casino von Monaco eine Million Francs. Heiraten wollen sie in Las Vegas. Doch vor dem Abflug will Sachs noch eine ganz grosse Geste machen: Aus einem Helikopter wirft er 1000 Rosen auf La Madrague ab, Bardot flüchtet sich unter einen Sonnenschirm. Danach fliegen sie weiter nach Las Vegas. Im Winter tauschen sie den Rest der Welt gegen Gstaad oder St. Moritz, wo sie stets in einem Hotel mit dem Wort Palace im Namen logieren. «Du bist ein sehr schönes Segelschiff. Und du brauchst Wind in den Segeln», sagt Wortkünstler Sachs zu Bardot.
L'affaire Gainsbourg
Leider kann ein anderer das mit den Worten sehr viel besser als er. «Schreib mir das schönste Liebeslied der Welt», fordert Brigitte während eines erotisch aufgeladenen Abendessens im Oktober 1967 von ihrem neuen Verehrer Serge, einem Mann, der damit kokettiert, sich selbst sehr hässlich zu finden, und doch zuverlässig die schönsten Frauen erobert. Serge wie Serge Gainsbourg. In einer Nacht schreibt er für sie «Bonnie and Clyde» und «Je t’aime moi non plus». Und sie singt dazu. «Von diesem Tag, dieser Nacht, diesem Augenblick an zählte in meinem Leben niemand, kein anderer Mann mehr für mich als er. Er war meine Liebe, er gab mir das Leben zurück, er machte mich schön, ich war seine Muse», schreibt sie später.
Serge Gainsbourg: «Initials BB»
Gemeinsam arbeiten sie an einer TV-Show, der «Show Bardot», die im Januar 1968 ausgestrahlt werden soll, Gainsbourg ist dabei für alles verantwortlich, die Musik, Brigittes Kostüme – das legendärste besteht aus kniehohen Stiefeln und einer französischen Flagge, sonst nichts. Im Dezember kommt Gunter Sachs nach Paris und findet seine Frau in Gainsbourgs Armen. Sie beschwichtigt Sachs und ihr schlechtes Gewissen, indem sie Gainsbourg die Veröffentlichung von «Je t’aime moi non plus» verbietet. 18 Jahre lang liegt die gemeinsame Aufnahme im Giftschrank, 40'000 Singles werden sofort eingestampft – und Gainsbourg ersetzt die Bardot durch Jane Birkin.
Ein staatstragendes Gesicht
1968 ist auch das Jahr, in dem Brigitte Bardot zur Marianne wird, zu jener brustbetonten Symbolfigur der französischen Republik, die auch ein Symbol für die Freiheit an sich darstellt. Jetzt leiht Bardot der Marianne-Büste, die in jedem französischen Rathaus steht, ihr Gesicht, so sehr ist sie selbst zum Synonym für Freiheit (und Freizügigkeit) geworden. Sie ist damit die erste lebende Frau, die zur Marianne wird, ihr folgen u. a. Catherine Deneuve, Mireille Mathieu, Laetitia Casta und Sophie Marceau. Ihr Gesicht ist jetzt staatstragend.
Sie lebe und liebe, sagen die Männer, wie einer von ihnen, kompromisslos und hedonistisch – und sie lieben sie dafür. Mit den meisten ihrer Verflossenen bleibt sie ein Leben lang innig befreundet, Sachs unterstützt ihre Tierschutz-Stiftung regelmässig und mit Vadim dreht sie 1973, 52 Jahre vor ihrem Tod, ihren letzten Film: «Don Juan 73» erzählt von einem weiblichen Don Juan. Also von Brigitte Bardot. Dann nimmt sie nach gut 40 Filmen wie einst Greta Garbo und Marlene Dietrich Abschied von der Leinwand. Sie selbst hat nie Probleme mit dem Altern und unterzieht sich keinen Schönheitsoperationen, doch sie will ihr alterndes Gesicht nicht der Kritik der Öffentlichkeit aussetzen. Sie war ein Filmstar.
Die gute Familie Le Pen
Dann wird sie zum Sprachrohr der Rechten. Als Bürgerliche hatte sie immer schon ein entspanntes Verhältnis zu konservativer Politik und ihren Vertretern. Und als sie 1965 in Méribel Ski fährt, macht ausgerechnet ein Hund Valéry Giscard d’Estaing zu einem lebenslangen Freund. Der Hund heisst Charly, sie hütet ihn für Alain Delon, Charly beisst einen Mann ins Bein – es handelt sich um den künftigen französischen Präsidenten Valéry Giscard d’Estaing. Brigitte verarztet Valéry, der sich seinerseits in eine Art treuen Hund verwandelt, «er ist mir nachgelaufen», sagt sie über ihn.
In den 70er- und 80er-Jahren macht sie sich als zunehmend militante Tierschützerin einen Namen, ab den 90er-Jahren steht sie stramm an der Seite der Familie Le Pen und deren Partei Front National. 1992 heiratet sie den sieben Jahre jüngeren Bernard d’Ormale, den damaligen Berater von Jean-Marie Le Pen. Er zieht zu ihr nach La Madrague, dort leben sie mit Bardots 50 Tieren.
Einzig Jean-Marie und Marine Le Pen, so sagt und schreibt sie immer wieder, könnten Frankreich retten, ein Land, das «langweilig, traurig, unterwürfig, krank, ruiniert, verwüstet, gewöhnlich und vulgär» geworden sei. Die Schuld daran gibt sie dem Feminismus, den 68ern, den Homosexuellen, Arbeitslosen, dem Islam, der zeitgenössischen Literatur und Kunst, der Fast-Food-Kultur und überhaupt allen, die nach Frankreich eingewandert sind.
Die Volksverhetzerin
Ihr Zorn gilt den «illegalen Einwanderern, die Kirchen entweihen und besetzen, um sie in menschliche Schweineställe zu verwandeln, wenn sie hinter den Altar kacken und ihren widerlichen Geruch im Chorraum verbreiten». Sie hasst die MeToo-Bewegung, schliesslich sei männliches Genie immer über männliches Fehlverhalten zu stellen. Mehrfach wird sie wegen Volksverhetzung verurteilt. Bis Putin die Ukraine angreift, schwärmt sie für ihn und überlegt sich, wie Gérard Depardieu, nach Russland auszuwandern.
Auf der Leinwand spielte sie viel Freiheit – oder was die Regisseure von damals einer Frau an Freiheit zugestanden. Als junge Frau wurde sie zu einer Ikone, die ihr Begehren auf und ausserhalb der Leinwand auslebte. Damals war sie radikal modern. Nicht in einem intellektuellen, aber in einem lebenspraktischen Sinn. Ausgerechnet sie starb nun als verbitterte, immer enger denkende alte Frau, die jede gesellschaftliche Entwicklung ablehnte. Sie teilt dies mit ihrem Kollegen Alain Delon, der 2024 gestorben ist. Vielleicht treffen sich die beiden ja in einer konservativen Ecke des Jenseits und können sich darüber unterhalten, wie das damals war mit einem Hund namens Charly.
