Nach «Köppel in Kiew» jetzt also «Köppel aus dem Kreml»: Zusammen mit Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban reiste der Chef des Schweizer Wochenmagazins «Weltwoche» am Freitag nach Moskau, um auf einer geheimen «Friedensmission», wie er es selbst nannte, den russischen Präsidenten Wladimir Putin zu treffen. Am Tag zuvor war Orban bereits mit Köppel im Schlepptau in der ukrainischen Hauptstadt Kiew, wo er den ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenski vergeblich zu einem Waffenstillstand zu überreden versuchte.
Was genau Köppel die Ehre verschafft, als eingebetteter Journalist mit Orbans Delegation mitzureisen, ist unklar. Bekannt ist aber, dass die «Weltwoche» beste Kontakt zum rechtsnationalen Regierungschef unterhält und im vergangenen Jahr eine grosse Veranstaltung im Zürcher Luxushotel Dolder mit Orban als Stargast organisiert hat.
Das Ziel Orbans sei es, mit Putin über dessen «rote Linien» zu sprechen und Möglichkeiten für die Umsetzung der Friedenspläne von China und Brasilien auszuloten, so Köppel aus einem Wartesaal im Kreml. Der Vorteil Orbans sei es, dass er als einziger noch mit Putin «auf Augenhöhe» sprechen könne, während die restlichen Politiker im Westen Russland «aufs Allerschlimmste verunglimpft und dämonisiert» hätten. Orban sei insofern «ein Glücksfall für Europa» und zeige der Schweiz, die eigentlich zu dieser Vermittlerrolle bestimmt wäre, wie man es machen müsste.
In seinem Videobericht teilte Köppel auch einige persönliche Eindrücke aus der russischen Hauptstadt. Diese sei im Gegensatz zu Kiew, das er als rückständig beschrieb, «blitzblank». Der Eindruck, dass die russische Wirtschaft aus dem letzten Loch pfeifen würde, habe er überhaupt nicht.
Köppels Schilderungen erinnerten etwas an die absurde Szene mit dem US-Moderator Tucker Carlson, als dieser nach seinem Putin-Interview in einem Moskauer Supermarkt einkaufen ging und sich über das reichhaltige Angebot freute. Dass in Russland abseits der Hauptstadt mitunter aber bittere Armut herrscht, sparten sowohl Carlson als auch Köppel aus.
Auch von seinem «Smalltalk» mit dem russischen Aussenminister Sergej Lawrow und anderen hohen Kreml-Politikern wusste Köppel zu berichten. Ihnen habe er versichert, dass in der Schweiz die «anti-neutrale» Haltung keineswegs dominiere und es mit der SVP-Initiative noch Hoffnung auf eine Rückkehr zur absoluten Neutralität gebe. Ausserdem sei ja kein Land fehlerfrei und Russland habe «auch schon den einen oder anderen aussenpolitischen Fehler gemacht» - ein kleiner Witz am Rande, der bei den Kreml-Gesprächspartnern dann laut Köppel offenbar doch nicht so gut ankam.
Europaweit sorgte Orbans im Sololauf organisierte Kreml-Reise derweil für wütende Reaktionen. Seit dem Beginn der Invasion vor zwei Jahren hatte mit Ausnahme eines verzweifelten Versuchs des österreichischen Bundeskanzlers Karl Nehammer kein EU-Staats- und Regierungschef mehr direkt mit Putin gesprochen. Immerhin liegt gegen Putin ein Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag vor und die EU hat ein noch nie gesehenes Sanktionsregime gegen Russland aufgezogen.
Viktor #Orbán reist als ungarischer Ministerpräsident zu Putin. Der Europäische Rat wird außenpolitisch von Charles Michel vertreten.
— Bundeskanzler Olaf Scholz (@Bundeskanzler) July 5, 2024
Die Haltung der EU ist sehr klar: Wir verurteilen den russischen Angriffskrieg. Die Ukraine kann sich auf unsere Unterstützung verlassen.
Zahlreiche Regierungschefs machten klar, dass Orban, dessen Land zurzeit den rotierenden EU-Ratsvorsitz innehat, nicht im Auftrag der Staatengemeinschaft handle. «Viktor Orban reist als ungarischer Ministerpräsident zu Putin», stellte der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz auf X (vormals Twitter) klar.
Der polnische Premierminister Donald Tusk unterstellte Orban, sich als Putins «Werkzeug» instrumentalisieren zu lassen. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Lesen sprach davon, dass kein «Appeasement» Putin je stoppen werde.
Die Distanzierungsversuche gegenüber Orban, der selbst einräumte, ohne offizielles Mandat nach Moskau gereist zu sein, hinderten Wladimir Putin freilich nicht daran, den Ungarn explizit als Vertreter der EU in seiner Rolle als Ratsvorsitzenden zu begrüssen. PR-mässig darf sich der Russe freuen.
Die Erfolgsaussichten von «Friedensengel» Orban dürften sich hingegen in Grenzen halten. Erst kurz vor dem Ukraine-Gipfel auf dem Bürgenstock vor rund drei Wochen enthüllte Putin bekanntlich seine Bedingungen für einen Waffenstillstand: Konkret müsste sich die Ukraine komplett aus den von Russland teilweise kontrollierten Regionen Donezk, Lugansk, Cherson und Saporischschja zurückziehen und diese endgültig an Moskau abtreten. Zudem verlangt Russland, dass Kiew seine Nato-Pläne beerdigt.
Offen zeigte sich Putin am Donnerstag für den «Friedensplan» von US-Präsidentschaftsanwärter Donald Trump, obwohl er nicht wisse, was genau Trumps Ideen wären. Zur Erinnerung: Trump hatte mehrmals in Aussicht gestellt, dass er die US-Waffenlieferungen an die Ukraine umgehend einstellen würde. Der Rest, so mutmasslich Trumps Plan, würde sich dann von alleine erledigen.
Die Ukraine lehnt Friedensverhandlungen zu den Bedingungen Putins entschieden ab. Präsident Selenski ist gegen das Einfrieren des Kriegs. Putin würde die Gelegenheit bloss nutzen, um nach einer Phase der Wiederaufrüstung erneut anzugreifen. Als erste Bedingung für Waffenstillstandsgespräche nannte die Ukraine stets, dass sich Russland aus den besetzten Gebieten zurückziehe. (aargauerzeitung.ch)