Einer der reichsten Unternehmer der Ukraine, der einst als Förderer des heutigen Präsidenten Wolodymr Selenskyj galt, ist in Untersuchungshaft genommen worden. Selenskyj nahm den Fall des prominenten Oligarchen Ihor Kolomojskyj als Anlass für eine demonstrative Botschaft gegen Korruption und Wirtschaftskriminalität: Wer das Land ausraube und sich selbst über das Gesetz stelle, werde damit nicht mehr weitermachen können wie bislang, versprach der Staatschef in seiner am Samstagabend in Kiew verbreiteten täglichen Videobotschaft. Kurz zuvor war der 60 Jahre alte Milliardär Kolomojskyj unter anderem wegen Betrugsverdachts in Haft genommen.
«Rechtsstaatlichkeit muss obsiegen», betonte Selenskyj. Es sei wichtig, dass es auch in Verfahren Gerechtigkeit gebe, die seit Jahren nicht verfolgt worden seien. Mit diesen Aussagen reagierte der Staatschef vor allem auf Forderungen des Westens, Fälle von Korruption und anderen kriminellen Machenschaften strikter zu ahnden. Als wichtigste Unterstützer der Ukraine in ihrem Verteidigungskampf gegen den russischen Angriffskrieg erwarten die USA noch in diesem Monat einen weiteren Besuch Selenskyjs. Er will bei der Generalversammlung der Vereinten Nation in New York eine Rede halten.
Das zuständige Gericht in Kiew ordnete am Samstag eine zunächst bis 31. Oktober gültige Untersuchungshaft für Kolomojskyj an, wie die Internetzeitung «Ukrajinska Prawda» berichtete. Zugleich wurde eine Kaution von knapp 510 Millionen Hrywnja (rund 12.7 Millionen Euro) angesetzt, bei deren Zahlung der Geschäftsmann bis zur Gerichtsverhandlung wieder auf freien Fuss käme. Dem Bericht zufolge äusserten sich am Samstag weder Kolomojskyj noch die Staatsanwaltschaft zu den Vorwürfen. Zu sehen war der Oligarch in einem Video auf der Anklagebank.
Zuvor hatte der Geheimdienst SBU bei Telegram mitgeteilt, dass dem Eigentümer einer Unternehmensgruppe für Finanz- und Industriegeschäfte kriminelle Machenschaften vorgeworfen werden, darunter die Legalisierung von unrechtmässig erworbenem Eigentum. Kolomojskyj soll zwischen 2013 und 2020 mehr als eine halbe Milliarde Hrywnja ins Ausland geschafft haben. Die Ermittlungen unter Aufsicht der Generalstaatsanwaltschaft seien noch nicht abgeschlossen, hiess es.
Gegen Kolomojskyj wird bereits seit vorigem Jahr ermittelt, es gab auch mehrere Hausdurchsuchungen bei ihm. Im November wurden Kolomojskyjs Beteiligungen an halbstaatlichen Erdöl- und Erdgasunternehmen wegen des Krieges mit Russland beschlagnahmt. Im Februar war dann von einer «Unterschlagung von Erdölprodukten» im Wert von umgerechnet 930 Millionen Euro die Rede.
Selenskyj hatte sich zuletzt von Kolomojskyj distanziert und ihm Berichten zufolge auch die ukrainische Staatsbürgerschaft entzogen. Der Staatschef hatte ein entschlosseneres Vorgehen gegen die mächtigen ukrainischen Oligarchen angekündigt. Kolomojskyj galt als Förderer Selenskyjs vor dessen Wahl zum Präsidenten 2019.
Präsident Selenskyj verkündete auch einen neuen Erfolg beim Export von ukrainischen Gütern über das Schwarze Meer. Trotz der russischen Seeblockade hätten zwei weitere Frachtschiffe den von Kiew eingerichteten Getreidekorridor erfolgreich passiert. «Die Ukraine stellt die Freiheit der Seefahrt im Schwarzen Meer wieder her», schrieb Selenskyj auf der Plattform X, vormals Twitter. Um für noch mehr Schutz zur See zu sorgen, forderte er die westlichen Verbündeten auf, zusätzliche Flugabwehrsysteme zu liefern.
Nach dem Ausstieg Russlands aus dem Abkommen zur Verschiffung von ukrainischem Getreide über das Schwarze Meer versucht Kiew, den Export trotz des Risikos durch Moskauer Angriffe zu organisieren. Russland drohte damit, Schiffe, die ukrainische Häfen anlaufen, als Träger militärischer Fracht einzustufen. Ukrainische Häfen zu verlassen gilt als weniger riskant.
In den ukrainischen Schwarzmeerhäfen sitzen seit dem Beginn des russischen Einmarschs vor über 18 Monaten Dutzende Handelsschiffe fest. Zwischenzeitlich konnten durch das Abkommen zur Ausfuhr ukrainischen Getreides einige Frachter die Häfen verlassen, doch Mitte Juli hat Russland die Vereinbarung ausgesetzt und die Seeblockade wieder in Kraft gesetzt.
Die ukrainische Marine legte Anfang August eine küstennahe Route für die Ausfahrt ziviler Schiffe fest. Bisher nutzten zwei Frachter diese Möglichkeit, um den Hafen Odessa zu verlassen. Beide haben die Passage durch das Schwarze Meer unbeschadet überstanden.
An diesem Montag ist in der russischen Schwarzmeermetropole Sotschi ein Treffen des russischen Präsidenten Wladimir Putin mit dem türkischen Staatschef Recep Tayyip Erdogan geplant. Dabei soll es auch um eine mögliche Wiederaufnahme des Getreideabkommens gehen.
Die ukrainischen Streitkräfte setzen ihre Gegenoffensive zur Befreiung der von Russland besetzten Gebiete fort. Selenskyj lobte am Wochenende die 47. Artilleriebrigade für die wirksame Landesverteidigung in den Gebieten Saporischschja, Donezk und Sumy sowie für «ihre Stärke in unseren nördlichen Regionen». (sda/dpa)