Bei der Abstimmung am Mittwoch in New York traten die 193 Mitglieder der Vereinten Nationen zusammen, die sogenannte UN-Vollversammlung. Thema war die Annexion der ukrainischen Gebiete Luhansk, Donezk, Saporischschja und Cherson durch Russland während des Kriegs. Abgestimmt wurde über eine Resolution gegen Russland, welche die Annexion verurteilen und für ungültig erklären würde.
Obwohl das Abstimmungsresultat völkerrechtlich nicht bindend ist, gilt der Anlass als globaler Stimmungstest.
Sehr eindeutig. Von den 193 stimmberechtigten Staaten haben 143 für die Resolution gestimmt und damit die russischen Annexionen verurteilt – darunter auch die Schweiz. 35 Staaten enthielten sich, nur fünf votierten dagegen. Zehn stimmten gar nicht ab.
Nebst Russland stimmten nur Belarus, Nordkorea, Nicaragua und Syrien gegen die Resolution. Unter den Enthaltungen sind viele afrikanische und asiatische Staaten – auch die beiden Schwergewichte China und Indien.
Eher unerwartet stimmten auch Brasilien, die Türkei und Saudi-Arabien für die Resolution. Von den früheren Sowjetrepubliken stimmte zudem keine einzige mit Moskau.
Das starke Ergebnis übertraf selbst Prognosen der grössten westlichen Optimisten. Beobachter waren vor der Abstimmung davon ausgegangen, dass bei vielen Ländern, vor allem in Afrika und Lateinamerika, eine gewisse Kriegsmüdigkeit sowie eine Abhängigkeit von Russland zu weniger Unterstützung für die Resolution führen könnten. Einige Staaten finden, dass der Ukraine-Krieg andere verheerende Konflikte an den Rand drängt und Fortschritte verhindert.
Diese westlichen Bedenken waren aber offensichtlich unbegründet. Das Ergebnis war nämlich besser als die 141 Stimmen in der Vollversammlung für eine Verurteilung des russischen Einmarsches in die Ukraine im März – und die 100 Stimmen für eine ähnliche Resolution nach der Annexion der Krim im Jahr 2014.
Die am Mittwoch verabschiedete Resolution verurteilt Russlands Annexion und erklärt sie für ungültig. Zudem wird der Kreml aufgefordert, die Einverleibung der teils besetzten Regionen Luhansk, Donezk, Saporischschja und Cherson rückgängig zu machen. Ende September hatte Kremlchef Wladimir Putin die Annexion nach mehreren Scheinreferenden verkündet.
Wie erwähnt, hat das Ergebnis keine völkerrechtlich bindende Wirkung. Es gilt aber als deutliches Zeichen der Weltgemeinschaft gegenüber Russland. Eine ähnliche Beschlussvorlage wie die nun verabschiedete war Ende September im UN-Sicherheitsrat am Widerspruch Russlands gescheitert. Dort haben Resolutionen völkerrechtlich bindende Wirkung. Die ständigen Mitglieder Russland, China, die USA, Frankreich und Grossbritannien können allerdings mit ihren Vetos dort jede Entscheidung blockieren.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj feierte den verabschiedeten Beschluss als historisch: «Die Welt hat das Wort ergriffen – der Annexionsversuch Russlands ist wertlos und wird niemals von freien Nationen anerkannt werden», schrieb er auf Twitter.
Der ukrainische Aussenminister Dmytro Kuleba dankte auf Twitter den 143 Ländern, die für die Resolution votiert haben.
Die deutsche UN-Vertretung schrieb: «Die internationale Gemeinschaft hat sich zusammengeschlossen, um die UN-Charta zu verteidigen. Anders als Russland steht die Ukraine nicht alleine da.» Und weiter: «Die souveräne Gleichheit und territoriale Integrität eines jeden von uns wäre der Gnade unserer Nachbarn ausgesetzt».
Die amerikanische UN-Botschafterin Linda Thomas-Greenfield sprach von einem «monumentalen Tag für die Vereinten Nationen».
Thomas Greenfield hat im Vorfeld an zahlreiche kleinere Staaten appelliert: «Heute ist es Russland, das in die Ukraine einmarschiert. Aber morgen könnte es eine andere Nation sein, deren Territorium verletzt wird. Sie könnten es sein. Sie könnten die Nächsten sein.»
Die russische Vertretung sprach von einer «gefährlichen Polarisierung» bei den UN in Bezug auf das Abstimmungsergebnis.
China warnte derweil am Donnerstag vor einer Blockbildung und einem neuen Kalten Krieg und mahnte Friedensverhandlungen an. (con)
Mit Material der Nachrichtenagenturen SDA und SPA.