International
Ukraine

Fotograf dokumentiert in Kiew den Krieg gegen die Ukraine

Kriegsfotograf in Kiew: «Ich will so lange dokumentieren und bezeugen, wie es geht»

Der ungarische Fotograf Kristóf Hölvényi befindet sich seit Kriegsbeginn in der Ukraine. Derzeit ist er noch in der belagerten Hauptstadt Kiew.
08.03.2022, 19:36
Mehr «International»

Hallo Kristóf, wo genau bist du gerade?
Ich bin in einem Hotel beim Maidan-Platz in Kiew. Hier übernachten die meisten Journalisten, die noch in der Stadt sind.

Bist du dort in Sicherheit?
Ja, momentan schon. Wir beurteilen die Lage jeden Tag neu. Das Hotel hat ausserdem einen grossen Bunker im Keller. Im Notfall können wir dort runter.

>>> Alle News zur Situation in der Ukraine hier

Seit wann bist du in Kiew?
Seit acht Tagen. Wir fuhren mit dem Auto von Budapest nach Lwiw und dann nach Ternopil. Von dort aus begleiteten wir einen Konvoi von freiwilligen Soldaten nach Kiew.

City Hall in Kiew, Ukraine
Gebäude des Stadtrats und der Staatsverwaltung in Kiew.Bild: Kristóf Hölvényi

Wie ist die aktuelle Lage in der Stadt?
Kiew gleicht einer Geisterstadt. Abgesehen von Soldaten hat es nur wenige Passanten auf der Strasse. Die Leute, die noch hier sind, kommen nur raus, um wichtige Besorgungen zu machen.

Sind die Läden überhaupt noch offen?
Es gibt noch offene Läden, aber es wird immer schwieriger. Der Nachschub fehlt. Und das Personal.

Was sind das für Menschen, die jetzt immer noch in Kiew ausharren?
Vor ein paar Tagen war ich im Bunker eines Kinderspitals. Diese Kinder können die Stadt nicht verlassen, weil sie auf konstante medizinische Versorgung angewiesen sind. Sie harren dort mit ihren Müttern aus. Andere wollen einfach nicht weg, weil sie ihr Leben hier nicht hinter sich lassen wollen. Oder sie wollen ihren Mann nicht verlassen, der hier bleiben muss.

Childrens Hospital in Kiew, the patiens had to go underground, Ukraine
Ein in den Untergrund verlegter Kinderspital in Kiew.Bild: Kristóf Hölvényi
Childrens Hospital in Kiew, the patiens had to go underground, Ukraine
Bild: Kristóf Hölvényi

Wie bewegt ihr euch in der Stadt?
Ich bin immer in einer kleinen Gruppe mit anderen Journalisten unterwegs. Noch können wir mit dem Auto rumfahren. Alle paar hundert Meter gibt es einen Checkpoint. Da müssen wir unsere Pässe und Presseausweise zeigen. Manchmal wollen sie auch in den Kofferraum schauen.

Wo steht momentan die russische Armee?
Sie nähern sich vom Osten, vom Norden und flankieren die Stadt nun auch vom Westen. Der Süden ist noch offen. Die nächste Frontlinie von Kiew ist Irpin, eine Stadt, 25 Kilometer vom Zentrum entfernt.

Was hast du in den vergangenen Tagen beobachtet?
Am Montag fuhr ich mit anderen Journalisten an die Frontlinie in Irpin. Ich wollte dokumentieren, wie die Zivilisten den Ort verlassen, weil dort die Russen immer mehr vorrücken. Zuerst hiess es, die Leute können die Stadt auf einem sicheren Durchgang verlassen. Doch dann wurden sie beschossen.

Irpin, Ukraine, Civilians leaving the city
Bewohnerinnen und Bewohner von Irpin flüchten nach Angriffen der russischen Streitkräfte aus der Stadt.Bild: Kristóf Hölvényi
Irpin, Ukraine
Irpin.Bild: Kristóf Hölvényi
Irpin, Ukraine, Civilians leaving the city
Irpin, Ukraine, Civilians leaving the city
Ukrainische Soldaten helfen der Zivilbevölkerung, Irpin zu verlassen.Bild: Kristóf Hölvényi

Und du warst vor Ort?
Ja, ich hatte Glück, dass mir nichts passiert ist. Ein ukrainischer Journalist wurde am Arm getroffen. Und noch schlimmer: Es gab tote Zivilisten. Dieses Erlebnis zeigte mir, dass die Russen auch nicht davor zurückschrecken, auf Zivile und Journalisten zu schiessen. Es ist ihnen völlig egal. Ich habe es mit eigenen Augen gesehen.

Gab es Begegnungen, die dich besonders beeindruckt haben?
Ich durfte eine Abdankung einer Sanitäterin fotografieren, die in den letzten Tagen 300 Mal mit dem Ambulanz-Auto zwischen der Frontlinie und Kiew hin und herfuhr. Ihr Name war Valentina. Sie wurde erschossen. Für die Leute ist sie eine Heldin.

Kiev, Kiew, Ukraine, Valentina drove a ambulance car and died after being shot by the russian military
Bild: Kristóf Hölvényi

Die russische Armee macht sich nun offenbar bereit, die Stadt zu stürmen. Von welchem Szenario geht ihr aus?
Das ist schwer einzuschätzen. Seit Tagen hören wir diese Drohung und doch kommen die Russen offenbar weniger schnell voran, als sie wollen. Die Stadt ist voll mit ukrainischen Soldaten und Freiwilligen.

Worauf bereiten sich die ukrainischen Soldaten vor?
Auf einen langen und erbitterten Kampf. Ihre Moral ist riesig. Sie sind bereit, bis zum Ende zu kämpfen. Sie denken nicht einmal darüber nach, aufzugeben.

Ukraine, Kiew, Kiev
Ein Freiwilliger bewacht den Hauseingang eines Gebäudes in Kiew. Bild: Kristóf Hölvényi

Sie denken, dass sie den Kampf gewinnen können?
Absolut. ​

Und wann kommt für dich der Moment, Kiew zu verlassen?
Ich versuche so lange zu arbeiten, wie möglich. Ich muss die Situation jeden Tag neu beurteilen und überlegen, ob ich weiterhin bleiben will oder nicht. Die russischen Streitkräfte greifen inzwischen auch Autos und Züge an. Dieses Risiko muss ich mit einkalkulieren. Aber ja, diese Frage beschäftigt hier alle Journalistinnen und Journalisten jeden Tag: Sollen wir bleiben? Sollen wir gehen? Es ist das Thema Nummer eins.

Gibt es überhaupt noch Möglichkeiten, die Stadt zu verlassen?
Ja, im Süden gibt es noch offene Strassen. Aber wie gesagt, es ist nicht ungefährlich.

Erlebst du auch Momente der Angst?
Natürlich. Seit ich hier ankam, stehe ich unter konstantem Stress. Das ist normal.

Was war überhaupt deine Motivation, in die Ukraine zu reisen?
Ich denke, aus demselben Grund, wie alle Journalisten, die noch hier sind: Wir wollen dokumentieren und bezeugen, was hier gerade passiert.

Dabei riskierst du viel.
Natürlich ist es in Risiko. Aber ich bin gut vorbereitet und mache meinen Job professionell. Ich bin nicht hier für einen Adrenalin-Kick und begebe mich nicht in unnötig riskante Situationen.

Hast du Ziele für die nächsten Tage?
Es ist schwierig, Pläne zu machen. Was ich gerne machen würde: einen Zoo besuchen. Ich würde gerne mit den Leuten sprechen, die noch immer dort arbeiten und sich um die Tiere kümmern. Das wäre eine friedliche Geschichte, inmitten dieses Irrsinns.

Kristóf Hölvényi
bild: facebook
zur Person
Kristóf Hölvényi ist ein ungarischer Fotograf. Er lebt in Budapest und reiste mehrfach in Krisengebiete. Hölvényi ist 30 Jahre alt.
DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
twint icon
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
TikTokerin zeigt ihr Leben im Krieg – Millionen schauen ihr dabei zu
Video: watson
Das könnte dich auch noch interessieren:
12 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
Liebu
08.03.2022 20:10registriert Oktober 2020
Ihre Arbeit ist unglaublich wichtig, auch für später, wenn es darum geht das alles aufzuarbeiten. Es ist sehr wichtig, sind neutrale Pressemitarbeiter vor Ort und halten die Gräuel fest.
Riesenrespekt vor ihnen, setzen sie doch dafür ihr eigenes Leben aufs Spiel.
1004
Melden
Zum Kommentar
avatar
Hyper80
08.03.2022 21:39registriert Juni 2020
Grösster Respekt vor diesem Job. Ich bin selbst Fotograf. Ärgere mich oft über mühsame Kunden. Aber das hier ist ein anderes Kaliber was meine Probleme im Job komplett unwichtig machen. Ich kenne persönlich eine Kriegsfotografin die ebenfalls in der Ukraine stationiert ist. Vermutlich im gleichen Hotel wie andere Journalisten. Die Nacht verbringt sie mit Helm und kugelsicherer Weste im Bad. Diese Menschen halten für uns Geschichten in Bildern für die Ewigkeit fest. Danke
522
Melden
Zum Kommentar
avatar
G. Laube
08.03.2022 22:17registriert April 2020
Danke, und pass auf Dich auf! Die Wahrheit wird siegen. Fuck you Putin… Du bist der Teufel in Person!!!
253
Melden
Zum Kommentar
12
Ukrainischer Kommandeur wettert über Panne an der Front
Ein verpatzter Wechsel an einem Frontabschnitt hat einen Armee-Kommandeur aufgebracht. Seine Brigade sollte eigentlich eine Pause bekommen.

Ein taktischer Fehler oder schlechte Kommunikation? Ukrainische Brigaden sollen am vergangenen Wochenende eine Lücke im Frontverlauf im Osten des Landes gelassen haben, die wohl selbst russische Aufklärer überrascht hat. Derzeit wird um das Dorf Otscheretyne nördlich der Stadt Awdijiwka in der Region Donezk gekämpft. Dort verläuft auch eine für den Materialtransport taktisch wichtige Eisenbahnlinie.

Zur Story