Sie werden mit Drohnen abgeworfen und sollen dazu dienen, ukrainische Soldaten «auszuräuchern»: Seit Ende 2023 wird an der ukrainischen Front vermehrt der mutmassliche Einsatz von neuartigen russischen Granaten des Typs RG-Vo registriert. Die Granaten sollen verschiedene Tränengase enthalten, die mitunter auch tödlich sein können.
Öffentlich hat der Kreml dementiert, dass die russische Armee Chemiewaffen nutzt. Schliesslich hat Russland offiziell die Chemiewaffenkonvention unterzeichnet, die einen solchen Einsatz verbietet. Allerdings offenbart eine neue Recherche von Radio Free Europe/Radio Liberty, dass das russische Militär nicht nur gezielt Chemiewaffen in der Ukraine einsetzen soll, sondern auch, wie das Land die Kampfstoffe trotz etlicher Sanktionen in grossen Mengen herstellen kann.
Laut der Recherche werden die verbotenen Waffen in einem Chemielabor ausserhalb von Moskau gefertigt. Es soll sich dabei um das Forschungsinstitut für angewandte Chemie in dem Ort Sergijew Possad handeln, der nordöstlich der russischen Hauptstadt liegt. Offiziell gibt das Labor an, nur zivile Produkte herzustellen. Der Bericht offenbart allerdings verschiedene Querverbindungen zu anderen Unternehmen, die diese Angabe infrage stellen.
Die Chemiewaffenkonvention verbietet seit 1997 Entwicklung, Herstellung, Lagerung, Besitz und Weitergabe von chemischen Kampfstoffen. Die Überwachung überliegt der unabhängigen Behörde OPCW (Organisation for the Prohibition of Chemical Weapons – Organisation für das Verbot von Chemiewaffen) in Den Haag. In Deutschland hatte die US-Armee C-Waffen im Depot Clausen in Rheinland-Pfalz gelagert, sie wurden 1990 in der Operation «Lindwurm» abgezogen und vernichtet. Erstmals eingesetzt wurden C-Waffen im Ersten Weltkrieg von Deutschland. Als «Vater des Gaskriegs» gilt der Chemiker Fritz Haber, der später für die Entwicklung der Ammoniaksynthese am BASF-Standort in Ludwigshafen den Chemie-Nobelpreis erhielt.
Das Labor soll dem staatlichen Konzern Rostec gehören, der unter anderem in der Rüstungsindustrie aktiv ist und seit 2022 auf der Sanktionsliste der Europäischen Union steht. Das Labor soll für die Herstellung der Granaten grösstenteils Produkte aus Russland beziehen, die bislang nicht auf Sanktionslisten stehen.
Die Granaten sollen laut ukrainischen Angaben an der gesamten Front zum Einsatz kommen. Auch wenn der Kreml offiziell den Einsatz chemischer Waffen weiter dementiert, scheint es selbst in Russland wenig Mühen zu geben, den Gebrauch der Waffen zu vertuschen: Der staatliche russische Fernsehsender Russia Today hatte etwa im Mai 2024 trotz der offiziellen Dementis über die Granaten berichtet.
«Russland verstösst gegen alle internationalen Abkommen, die UN-Konventionen zum Verbot chemischer Waffen. Das heisst, es hat sie nicht nur nicht vernichtet, sondern produziert sie weiterhin» heisst es vom Oberst der Unterstützungstruppen der Streitkräfte der Ukraine, Artem Vlasyuk.
Zu den Lieferanten, die das Labor ausstatten, soll etwa das staatliche Maschinenbauwerk Saransk gehören. Von dort soll man Vorrichtungen gekauft haben, die für das Auslösen der Explosionen der Granaten erforderlich sind. Auch das Maschinenbauwerk soll offiziell eher als Hersteller von zivilen Produkten wie Fahrradanhängern oder Grills in Erscheinung getreten sein.
Zusätzlich zu einheimischen Lieferanten soll Russland Materialien aus China beziehen. Dazu gehört etwa roter Phosphor, der auch in Streichhölzern oder für Pyrotechnik genutzt wird. Das Labor soll allein von 2022 bis 2023 fast 100 Tonnen davon für mehr als eine Million US-Dollar gekauft haben.
Offiziell sind solche Lieferungen an Russland verboten. Die chinesische Führung hat zudem stets bestritten, Russland im Krieg gegen die Ukraine mit Waffen oder anderen Gütern zu unterstützen.
An der Front soll der Einsatz der RG-Vo-Granaten eine gängige Praxis sein. Der Abwurf der Granaten soll die Soldaten aus ihren Verstecken treiben, um dadurch ins Visier der Angreifer zu geraten. Die ausgetretenen Gase können laut Angaben ukrainischer Soldaten nicht nur die Augen reizen. Zusätzlich kann der Kampfstoff die Atmung einschränken, was zu Husten, Würgen oder Erbrechen führen kann. Laut dem Bericht soll es auch schon zu Todesfällen gekommen sein.
«Es ist ein Kriegsverbrechen, im 21. Jahrhundert militärische Operationen mit im Wesentlichen barbarischen Methoden durchzuführen. Dies geschieht natürlich nach dem Willen und auf Befehl der höchsten [russischen] Führung», sagt der Leiter der Staatsanwaltschaft der Region Charkiw, Amil Omarow.
Der rote Phosphor aus China kann allerdings nicht nur für die Gasgranaten genutzt werden. Die Chemikalie kann auch in weissen Phosphor umgewandelt und zu Munition verarbeitet werden. Weisser Phosphor kann bei Kontakt mit Sauerstoff bis zu 800 Grad heiss werden und zu schweren Verbrennungen führen. Zudem lassen sich Brände mit dem Stoff nur schwer löschen. Russland hat auch den Einsatz von Phosphormunition dementiert. Die Ukraine warf der russischen Armee allerdings vor, die Munition etwa bei Angriffen auf die Städte Mariupol und Bachmut eingesetzt zu haben.
Ende 2022 hatte der ukrainische Geheimdienst SBU zudem ein angebliches Telefonat zwischen einem russischen Soldaten und dessen Frau abgefangen und veröffentlicht. In dem Gespräch soll der Mann den Einsatz von Phosphormunition zugegeben haben: «Eine Rakete fliegt, explodiert in der Luft in mehrere Stücke, wie eine Wunderkerze. Dieser Mist, wenn er auf die Haut, auf den Körper kommt, brennt bis auf die Knochen», hiess es in dem Telefonat. Zudem sprach der Soldat darüber, dass die russische Armee über die Munition verfüge, die Ukraine allerdings nicht.
Unabhängig überprüfen lassen sich die Angaben nicht. Tatsächlich hatte die ukrainische Regierung aber ihre westlichen Partner in der Vergangenheit um die Lieferung von Phosphormunition gebeten. Allerdings wurde eine solche Lieferung abgelehnt. «Die Nato hat diese Art von Waffen weder empfohlen noch geliefert. Wir liefern Artillerie und andere Arten von Waffen, aber keine Streubomben», sagte 2023 der damalige Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg RTL/ntv.
Überzeugt, dass Russland in der Ukraine Chemiewaffen einsetzt, sind auch mehrere westliche Geheimdienste: Anfang Juli teilte der Bundesnachrichtendienst (BND) gemeinsam mit den niederländischen Geheimdiensten MIVD und AIVD mit, dass Russland nach ihren Informationen «eine breite Palette» chemischer Waffen in der Ukraine einsetze. Das ukrainische Verteidigungsministerium hatte zuvor bereits mitgeteilt, dass es seit 2022 mehr als 9'000 russische Chemiewaffenangriffe registriert habe.
Quellen:
Als ob das schwer wäre für so ein Land. Chemiewaffen gibts seit über hundert jahren und russland war militärtechnologisch lange sogar recht vorne dabei.
Glaube die einfacheren chemiewaffen sind sogar recht einfach herzustellen.
Traurig traurig...