Oleg sass in einer Strafkolonie in Russland, als die Leute von Wagner kamen und ihn rekrutierten. Ihr Angebot klang gut: Amnestie. Nur darum sei es ihm letztlich gegangen, als er zusagte, gegen die Ukraine in den Krieg zu ziehen.
Er hat die Gefängniskluft gegen eine Uniform getauscht – und wieder zurück. Denn jetzt sitzt Oleg in einem Kriegsgefangenenlager irgendwo in der Westukraine. Ein karger Bau: Schlafsäle, ein Fernsehzimmer, Werkstätten in denen Papiersäcke zusammengeklebt werden. Ein gross gewachsener hagerer Mann Mitte 30 ist er, mit müden Augen.
Oleg kennt den Trott, die Kommandos der Wärter – so, als habe er nie etwas anderes getan, als mit gesenktem Kopf in Reih und Glied zu stehen. Den Raum betritt er nur auf Hinweis des Wärters. Er bleibt stehen. Dann setzt er sich hastig auf Anweisung, faltet die Hände zwischen den zusammengepressten Knien, hebt den Kopf und sagt mit stechendem Blick: Wegen Suchtmittelvergehen habe er gesessen. Er habe nie auf Menschen geschossen, er sei ja auch kein Gewaltverbrecher.
Lauscht man den Geschichten vom Krieg, die die Gefangenen in dem Lager erzählen, so könnte man meinen: die russischen Streitkräfte bestünden aus Köchen, Sanitätern, Fahrern. Alles waren sie angeblich, nur keine Soldaten, die gekämpft und geschossen haben. Die Realität bestätigt das Gegenteil. Aber freilich: Im Einzelfall lässt sich das kaum belegen - oder widerlegen. So auch bei Oleg nicht. Einen Monat sei er nach dem Training in Luhansk im tatsächlichen Einsatz gewesen, aber gerade einmal zwei Tage habe er in den Gräben in der ersten Linie gelegen, ehe er kurz vor Weihnachten gefangen genommen wurde.
Oleg hat für die russische Söldnergruppe Wagner gekämpft. Rechtlich ist das Niemandsland: Denn die Genfer Konvention gilt nur für Soldaten regulärer Armeen, nicht für Söldner. Aber das wusste er nicht, ehe er hier her kam in die Westukraine, um zusammen mit einigen Hundert anderen gefangenen Russen – dir allermeisten reguläre Soldaten – auf einen Austausch zu warten.
Die ukrainischen Stellen behandeln Wagner-Leute als Kriegsgefangene. Ein Unterschied werde nicht gemacht, so ein ukrainischer Sprecher. Das Internationale Komitee des Roten Kreuzes (ICRC) habe Zugang zu dem Lager. Seitens des ICRC wollte man das mit dem Hinweis auf den Umstand, dass das ICRC solche heiklen Details nicht öffentlich kommentiere, demnach weder bestätigen noch dementieren.
Wagner ist eine Privatarmee. Schon vor Russlands Frontalangriff auf die Ukraine hatte sie militärische Auslandsmissionen in russischem Interesse ausgeführt: In Syrien, dem Sudan, der Zentralafrikanischen Republik, Madagaskar, Libyen, Venezuela, Mozambique und Mali – als eine Art private Sondereinsatztruppe, deren Verluste nicht in offizielle Statistiken fallen. Wagner ist eine Miliz mit exklusivem Zugang zu schwerem Gerät. Eine private Armee, die auf staatliche Ressourcen Zugriff hat. Und all das gegen existierendes russisches Recht: Denn bewaffnete private Sicherheitsfirmen wie Wagner sind verboten in Russland.
«Wagner gibt es, weil jemand Wagner braucht», sagt Oleg. Aber auf die Frage, wer dieser Jemand sei, sagt er nichts, hebt die Schultern, schweigt.
So exklusiv der Spielraum für Wagner, so mächtig der Besitzer der Gruppe: Der Oligarch Jewgeni Prigozhin. Ein Kleinkrimineller in den 1980er-Jahren, der wegen bewaffnetem Raub neun Jahre einsass, sich in den 1990er-Jahren als Gastro-Unternehmer in St.Petersburg Bekanntheit verschaffte und sich später den Spitznamen «Putins Koch» erwarb.
Vor Beginn des offenen Krieges Russlands gegen die Ukraine hatte Wagner den Ruf einer nahezu sektenhaften und unantastbaren Elitetruppe. Seit dem 24. Februar 2022 füttert die Firma Russlands Krieg in der Ukraine aber ganz einfach mit billigen Kämpfern. Als es eng wurde für die russische Armee in der Ukraine erhielt Prigozhin die Lizenz zum Rekrutieren in russischen Gefängnissen: Mörder, Diebe, Betrüger, Schläger, Drogenhändler wie Oleg. Alles darf für Wagner in die Schlacht ziehen, ausser Vergewaltiger. Der Deal: Wer sechs Monate überlebt, wird amnestiert.
Er selbst habe nichts als Wagner gesehen in der Ukraine, sagt Oleg. Von der Ausbildung im russisch besetzten Luhansk in der Ostukraine bis zum Einsatz. Keine Armee. Von der Logistik im Hinterland bis in die erste Linie, so Oleg: Alles Wagner. Weil, und das sagt er auch ganz offen: Wagner sei dazu da, der regulären russischen Armee den Weg zu ebnen.
Und dann nach einer Pause, den Blickt wieder starr nach vorne: «Wir haben gewusst, dass wir Fleisch sind, und dem zugestimmt.» Ideologie, so sagt er, habe dabei keine Rolle gespielt. Nur die Amnestie. Er habe aber auch geglaubt, was das russische TV ihm vorbetete: Dass die Ukraine von westlichen Mächten besetzt sei, die dort Zivilisten töteten.
Kanonenfutter aus Haftanstalten für das, was Russland die Entnazifizierung nennt. «Unser Leben hat keinen Preis, uns kann man opfern», sagt Oleg.
Rund 30'000 Männer sollen aus russischen Gefängnissen heraus rekrutiert worden sein. Laut ukrainischen Schätzungen sind bereits 80 Prozent davon in der Ukraine gefallen, verwundet oder gefangen genommen worden. Oleg sagt: Von seiner aus 50 Mann bestehenden Gruppe sei vermutlich keiner mehr am Leben.
Aber worauf er sich da einlässt, das habe er gewusst. Ein Tauschgeschäft: Tod oder Freiheit. Davonrennen, sich ergeben, sich zurückziehen – all das sind keine Optionen. Es gibt zahlreiche Berichte, wonach Wagner-Kämpfer von eigenen Leuten beschossen werden, wenn sie sich weigern, in den sicheren Tod zu rennen. Aber was, wenn man auf einem Botengang durch eine Kraterwüste zwischen Einschlägen die Orientierung verliert und in eine ukrainische Stellung rennt? Das sei ihm passiert, erzählt Oleg.
Mit Deserteuren verfährt Wagner so: Einem Wagner-Mann, der in ukrainische Gefangenschaft geriet, sich dabei allzu kooperativ gab und meinte, er sei von Anfang an nur in die Ukraine gegangen, um die Seiten zu wechseln und gegen Russland zu kämpfen, dem wurde nach dem Gefangenenaustausch mit einem Vorschlaghammer der Kopf eingeschlagen – vor laufender Kamera. Wagner-Chef Prigozhin persönlich kommentierte das Video so: Ein Hund sei den Tod eines Hundes gestorben. Der Mord soll kein Einzelfall sein.
«Sie können mich beseitigen», sagt Oleg leise und hebt die Schultern. Nach Hause will er dennoch. Immerhin ende in zwei Monaten sein Vertrag – und damit, so sagt er mit einem fragenden Unterton, sei er ja wohl aus dem Schneider. (bzbasel.ch)
Er sollte sich lieber den Russen anschliessen, die für die Ukraine kämpfen. Dann kämpft er wenigstens für etwas Sinnvolles.
In einem Gefangenenlager so schlimm, wie wir es uns nicht vorstellen können, ohne richtige Verurteilung, kein Ende absehbar.
Da kommt einer: Wenn Du zu Wagner kommst musst Du Dich 6 Monate verpflichten. Der Mann sieht nichts anderes, als ein Ende seiner Qual mit vorübergehendem Kriegsdienst.
Das sind Zustände, die Jenseits unserer wirklichen Vorstellungen sind.