Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat eine Stärkung insbesondere der eigenen Flugabwehr angekündigt. Schritte zur Sicherung des Landes würden in den nächsten Wochen folgen, sagte Selenskyj am Samstag in seiner täglichen Videobotschaft. Dabei dankte er auch Deutschland für die Zusage von weiteren Militärhilfen an die Ukraine.
Anfang der Woche hatte die Bundesregierung angekündigt, die Militärhilfe für die Ukraine im kommenden Jahr von vier auf acht Milliarden Euro aufstocken zu wollen. Neben Deutschland dankte Selenskyj auch Finnland und Litauen für neue Rüstungspakete.
Die Flugabwehr spielt in den Überlegungen Kiews dabei eine besondere Rolle, auch wegen des kommenden Winters. «Je näher der Winter rückt, desto grösser werden die russischen Anstrengungen sein, die Angriffe zu verstärken», sagte Selenskyj.
Tatsächlich gab es in der Nacht zum Sonntag wieder in zahlreichen ukrainischen Regionen Luftalarm. Am späten Abend trat auch die Luftabwehr rund um die Hauptstadt Kiew in Aktion, wie die Agentur Ukrinform berichtete.
Die Militärverwaltung Kiews berichtete am Sonntagmorgen von etlichen Drohnenangriffen aus verschiedenen Richtungen. Nach dem derzeitigen Kenntnisstand gebe es aber keine Verletzten oder kritische Schäden in der Hauptstadt. Die Angaben liessen sich nicht unabhängig prüfen.
Bereits in der Nacht zuvor hatte Russland einen der grössten Drohnenschwärme der vergangenen Wochen gegen sein Nachbarland geschickt. Immerhin sei es gelungen, fast 30 Drohnen abzufangen, lobte der ukrainische Staatschef am Samstagabend.
Allerdings wurden bei den russischen Drohnenangriffen in den südukrainischen Gebieten Saporischschja und Odessa nach Angaben Kiews Infrastrukturobjekte beschädigt. Laut der Kommandostelle Süd der ukrainischen Streitkräfte brach durch den Drohneneinschlag in Odessa ein Brand in einem Verwaltungsgebäude eines Energiekomplexes aus. Eine Person sei verletzt, das Feuer inzwischen unter Kontrolle gebracht worden, hiess es. Getroffen wurde aber auch die Stromversorgung. Nach Angaben des Betreibers DTEK waren am Samstag 2000 Menschen in der Region ohne Strom.
In Saporischschja seien vier von acht Drohnen abgefangen worden, teilte Militärgouverneur Jurij Malaschko auf Telegram mit. Es seien aber auch mehrere Infrastrukturobjekte getroffen worden, wodurch dort ein Feuer ausgebrochen sei. Verletzte habe es nicht gegeben.
Seit vergangenem Herbst attackiert Russland immer wieder systematisch Objekte der Energieversorgung des Nachbarlands. Auch in diesem Winter rechnet Kiew mit gezielten Angriffen Moskaus gegen die ukrainische Strom-, Wärme- und Wasserversorgung. Die Ukraine verteidigt sich seit Ende Februar 2022 gegen den russischen Angriffskrieg.
Moskau berichtete seinerseits in der Nacht zum Sonntag erneut von einem Drohnenangriff, der der russischen Hauptstadt gegolten habe. Die Luftabwehr habe den Angriff in Bogorodskoje, einem Stadtbezirk des östlichen Verwaltungsbezirks der Stadt Moskau, vereitelt, schrieb Moskaus Bürgermeister Sergej Sobjanin in seinem Telegram-Kanal. Das russische Verteidigungsministerium teilte ebenfalls bei Telegram mit, die Luftverteidigung habe gegen 1.00 Uhr morgens Moskauer Zeit eine ukrainische Drohne über Bogorodskoje zerstört. Die Angaben liessen sich nicht unabhängig überprüfen.
Ein vorzeitig aus der Haft entlassener Beteiligter an der Ermordung der kremlkritischen Journalistin Anna Politkowskaja ist nach Medienangaben nun in Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine ausgezeichnet worden. Dem Mann sei der Tapferkeitsorden verliehen worden, berichtete der russische Telegram-Nachrichtenkanal Baza am Samstag unter Berufung auf eine Bekannte des Täters. 2014 war er in dem Mordfall zu 20 Jahren Haft verurteilt worden. Erst vor wenigen Tagen waren seine Entlassung und Begnadigung bekannt geworden. Demnach kämpft er bereits seit Ende 2022 in der Ukraine.
Politkowskaja, Journalistin der kremlkritischen Zeitung «Nowaja Gaseta», war im Oktober 2006 vor ihrer Wohnung in Moskau erschossen worden. Politkowskajas Familie vermutet hinter dem Mord ein politisches Motiv und fordert bis heute eine vollständige Aufklärung.
Nach Einschätzung des britischen Verteidigungsministeriums erzielen weder Russland noch die Ukraine bei ihren Kämpfen erhebliche Fortschritte. «Mit Einsetzen des kälteren Winterwetters in der Ostukraine gibt es nur wenige unmittelbare Aussichten auf grössere Veränderungen an der Frontlinie», teilte das Ministerium in London am Samstag in seinem täglichen Update mit.
In der vergangenen Woche hätten die intensivsten Bodenkämpfe in drei Gebieten stattgefunden: im Raum Kupjansk an der Grenze zwischen den Gebieten Charkiw und Luhansk, rund um die Stadt Awdijiwka im Gebiet Donezk und am Fluss Dnipro im Gebiet Cherson, wo ukrainische Streitkräfte einen Brückenkopf auf dem eigentlich russisch besetzten Südufer errichtet haben. «Keine Seite hat in einem dieser Gebiete wesentliche Fortschritte erzielt», schrieben die Briten beim Kurznachrichtendienst X.
Die Einschätzung deckt sich mit dem Lagebericht des ukrainischen Generalstabs vom Samstagabend, der keine grösseren Frontveränderungen registriert, allerdings die Initiative inzwischen weitgehend bei den russischen Streitkräften verortet.
Angesichts des Patts an der Front werden Stimmen lauter, die eine diplomatische Lösung des Konflikts fordern. Auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) will die seit einem Jahr anhaltende Funkstille mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin irgendwann beenden. «Ich werde mit ihm reden», sagte er am Samstag bei einem Bürgergespräch in Nuthetal bei Potsdam. Einen Zeitpunkt für ein Gespräch nannte er aber nicht. Man könne da nicht nach dem Motto verfahren: «Ich geh mal mit jemandem Kaffee trinken, und wir werden uns schon am Ende einigen.» Derzeit lasse Putin nicht erkennen, «dass er irgendwie sich auf irgendetwas einlassen würde».
Scholz und Putin haben zuletzt am 2. Dezember vergangenen Jahres telefoniert. Der Kanzler hat immer wieder gesagt, dass er grundsätzlich zu weiteren Gesprächen bereit sei, aber dass dazu auch Bewegung bei Putin Bewegung erkennbar sein müsse.
In der Ukraine sind weiter schwere Kämpfe im Osten und Süden des Landes zu erwarten. (sda/dpa)