Yelena Polivtseva wusste nicht, dass ihr Bruder Leonid beim Einmarsch in die Ukraine eingesetzt worden war: «Ich erhielt ein Video von meinem gefangenen Bruder. Ich war schockiert! Ich hatte keine Ahnung, dass er dort kämpft», erklärte die Russin gegenüber dem Guardian.
Leonid Paktishev, geboren in einem kleinen sibirischen Dorf, kommandierte eine Gruppe von vier Scharfschützen, bevor er in die Hände ukrainischer Truppen fiel. Über das Schicksal seiner Kameraden ist nichts bekannt. Das Video seiner Vernehmung durch das ukrainische Militär macht nun im Internet die Runde. Dafür sorgt das Innenministerium.
Die Behörde hat eine Webseite aufgesetzt, die Bilder und Videos von gefangenen russischen Soldaten zeigt. Vordergründig soll «Ishchi Svoikh» (sinngemäss: «Such deine Jungs») dazu dienen, Angehörige in Russland zu informieren. Dafür wurde eigens eine Datenbank geschaffen und eine Hotline installiert.
Die Webseite und ihre Social-Media-Ableger sollen aber vor allem abschrecken und demoralisieren – und im Land des Aggressors Widerstand gegen den Krieg anregen. Moskau kommuniziert die Verluste der eigenen Truppen nur sehr verhalten. Seiten wie Ishchi Svoikh sind Putin ein Dorn im Auge. Die russische Medienaufsichts- und Zensurbehörde Roskomnadzor sperrte den Zugriff darauf denn auch nach nur einem Tag. Über Twitter und Telegram verbreiten sich die Videos aber weiterhin. Eine zentrale Rolle spielt dabei auch der in Russland beliebte Facebook-Klon Vk.ru (ehemals Vkontakte.ru).
Das Foto zweier russischer Fahrer in Handschellen, welche ausgerechnet bei einer ukrainischen Polizeistation um Benzin baten, ging dank Reddit viral. Ob die Geschichte stimmt, kann nicht verifiziert werden. Die beiden werden nun im Netz verhöhnt. Zumindest die Grauzone der Genfer Konventionen dürfte damit erreicht sein (Verletzung der Würde der Kriegsgefangenen).
Andere Videos zeigen russische Gefangene bei der Einvernahme. Abgekämpft und mit eingeschüchterten Minen erzählen sie in die Kamera, wie sie unter dem Vorwand einer Übung – und nicht eines Ernstfalles – über die Grenze geschickt worden seien. Sowohl den Wahrheitsgehalt der Aussagen, wie auch die Umstände ihrer Entstehung, lassen sich nicht überprüfen. Bekanntlich ist das erste Opfer im Krieg die Wahrheit.
Während sich die Webseite von Ishchi Svoikh auf Gefangenen-Filme beschränkt, zeigt der Telegram-Kanal mit über 300’000 Mitgliedern die Kriegsgräuel unzensiert – vor allem gefallene Soldaten und bis zur Unkenntlichkeit verstümmelte Leichen. Die Videos dazu verbreiten sich ungefiltert auf Social-Media. Zum Beispiel nach einem harmlosen Tanzvideo auf TikTok oder Instagram.
Zurück zu Paktishevs Angehörigen. Ein ungenannt sein wollender Verwandter liess gegenüber dem «Guardian» seiner Wut freien Lauf: «Wie kann man anders, als wütend sein? Junge Männer werden als Kanonenfutter verheizt. Und wofür? Für Paläste in Gelendschik?»
In Gelendschik steht eine opulente Villa, welche laut der russischen Oposition Wladimir Putin gehört. Er selber dementierte die Gerüchte stets.
Genau wie auch einen Angriff auf die Ukraine.
(tog)
Deshalb ist es sehr wichtig dass die Ukraine darauf wert legt, die Kriegsgefangenen gut zu behandeln.