Ihr Besuch in der Ukraine war schon länger geplant, am Dienstag ist die deutsche Aussenministerin Annalena Baerbock in die Ukraine gereist. Sie besuchte die Kiewer Vororte Butscha und Irpin, am Nachmittag waren Treffen mit hochrangigen ukrainischen Regierungsvertretern - darunter Aussenminister Dmytro Kuleba - geplant. Später am Nachmittag traf Baerbock auch den ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenski. Der ukrainische Präsident bedankte sich bei der deutschen Aussenministerin für die deutsche Unterstützung für sein Land.
Butscha war Schauplatz mutmasslich russischer Kriegsverbrechen. Die grüne Politikerin, die in Butscha auch eine Kirche besuchte, betonte die deutsche Hilfe bei der Aufklärung der mutmasslichen Kriegsverbrechen in der Ukraine. «Wir sind es diesen Opfern schuldig, dass wir hier nicht nur gedenken, sondern dass wir die Täter zur Verantwortung bringen und ziehen.» Die internationale Gemeinschaft werde die Verbrechen aufklären.
Der Besuch der Aussenministerin in der Ukraine war eigentlich früher geplant, doch diplomatische Verstimmungen zwischen Kiew und Berlin sorgten dafür, dass deutsche Regierungsvertreter bislang keine symbolträchtige Reise in das kriegsversehrte Land angetreten hatten - im Gegensatz etwa zum britischen Premier Boris Johnson, der kürzlich medienwirksam durch Kiew spaziert war. Mitte April wollte der deutsche Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zum ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenskji nach Kiew reisen, doch das deutsche Staatsoberhaupt war in der Ukraine nicht erwünscht.
Seine russlandfreundliche Politik der vergangenen Jahre holte Steinmeier wieder ein. Der frühere Aussenminister verfolgte - wie notabene viele seiner Parteifreundinnen und -Freunde - eine Politik der Besänftigung gegenüber Russland. Steinmeier zeigte unter anderem viel Verständnis für die russische Aversion gegen eine Nato-Osterweiterung, auch verteidigte er - gegen den Widerstand unter anderem der Ukraine - den Bau der Ostseepipeline Nord Stream 2. Die Ausladung des Bundespräsidenten kam einem diplomatischen Eklat gleich. Kanzler Olaf Scholz zeigte sich «irritiert.»
Die damaligen diplomatischen Turbulenzen zwischen Kiew und Berlin sind mit ein Grund, weshalb sich Kanzler Scholz bislang nicht in den Zug nach Kiew gesetzt hat. Die atmosphärischen Störungen wurden zuletzt allerdings aus dem Weg geräumt. Als Wegbereiter dafür gilt Oppositionschef Friedrich Merz. Der Fraktionschef der Unions-Fraktion reiste vorige Woche auf eigene Faust nach Kiew, wo er auch mit Selenski zusammentraf. Politische Gegner warfen Merz vor, den Kiew-Trip für parteipolitische Inszenierung und für reine Oppositionspolitik missbraucht zu haben. Allerdings ist es dem 66-jährigen gelungen, die Wogen zwischen deutscher und ukrainischer Regierung zu glätten. Kurz nach Merz Rückkehr nach Berlin sprachen sich Selenski und Steinmeier in einem längeren Telefongespräch aus. Der ukrainische Präsident lud daraufhin sowohl Steinmeier als auch Scholz nach Kiew ein. Anlässlich des Weltkriegs-Gedenkens am Sonntag reiste bereits Bärbel Bas in die Ukraine: Die Bundestagspräsidentin (SPD) gilt als zweithöchste Repräsentantin Deutschlands.
Freilich wünscht sich Selenski nach wie vor vor allem einen Besuch von Kanzler Scholz in Kiew - eine Aufwartung des Kanzlers des wichtigsten EU-Staates hätte hohen Symbolwert gegenüber Russland. Dies, obschon Vertreter der SPD in Kiew etwas weniger Sympathien als Repräsentanten von Grünen oder Union geniessen. Sowohl Grüne als auch CDU/CSU plädieren seit Kriegsbeginn - und teilweise schon davor - für schwere Waffen an die Ukraine, die Sozialdemokraten mit Olaf Scholz waren diesbezüglich bis vor wenigen Wochen unentschlossen. Erst nach aussen- und innenpolitischem Druck sagte der Kanzler der Lieferung auch schwerer Geschütze wie Panzer und Panzerhaubitzen zu. Ein Besuch von Scholz bei Selenski mitten im Gefahrengebiet würde von der ukrainischen Seite so ausgelegt werden, dass Deutschland die zögerliche Haltung definitiv abgelegt hat. Es wäre auch ein Zeichen gegenüber Moskau, dass das Land, das Putins Politik lange Zeit nicht energisch genug gegenüber getreten war, definitiv von ihm abgerückt ist.
Doch der Kanzler lässt sich noch etwas Zeit und schickt zunächst seine Aussenministerin vor. Diese kündigte am Nachmittag an, dass Deutschland dauerhaft aus der russischen Energie aussteigen möchte:
Scholz eigene Reise wird aus Sicherheitsgründen im Vorfeld nicht angekündigt. Diese dürfte aber bald schon anstehen. (bzbasel.ch)