International
Ukraine

Bachmut wird zum Massengrab

Ukrainian soldiers fire an artillery at Russian positions near Bakhmut, Donetsk region, Ukraine, Sunday, Nov. 20, 2022. (AP Photo/LIBKOS)
Ukrainische Kräfte feuern mit Artillerie auf russische Stellungen in der Nähe von Bachmut.Bild: keystone

Bachmut wird zum russischen Massengrab

07.12.2022, 20:4008.12.2022, 13:05
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Es sind Bilder, die man nie mehr vergisst. Russische Soldaten versuchen, sich nach heftigem Beschuss ihres Schützengrabens in Sicherheit zu bringen. Ein Trupp aus drei Mann fällt zurück und bleibt für ein paar Sekunden auf offenem Feld stehen – ein Fehler, der sich als tödlich herausstellen soll. Das Himars-Geschoss trifft punktgenau, Körperteile fliegen durch die Luft. Die Wucht der Detonation wirft Soldaten um, die dutzende Meter vom Einschlag entfernt sind.

Gefilmt wurde die Szene von einer ukrainischen Überwachungsdrohne in der Nähe der ehemaligen Stadt Bachmut in der Oblast Donezk. Wo früher 70’000 Einwohner lebten, existieren heute nur noch eine 15 Kilometer lange Grabenfront und Häuserruinen. Experten vergleichen die Situation hier mit den Grabenkämpfen des Ersten Weltkriegs. Doch einen Unterschied gibt es: die vernichtende Präzision.

A Ukrainian soldier passes by houses ruined in the Russian shelling in Bakhmut, Donetsk region, Ukraine, Thursday, Nov. 10, 2022. (AP Photo/LIBKOS)
Bachmut im November 2022. Die russische Artillerie hat die Stadt komplett zerstört.Bild: keystone

Das Drohnenvideo ist eines von Dutzenden, die aktuell auf verschiedenen Social-Media-Kanälen die Runde machen. Ein anderes zeigt einen Angriff auf eine russische Stellung an einer Strassenkreuzung. Wieder treffen die ukrainischen Artilleriegeschosse präzise ins Ziel. Die Infanteristen haben keine Chance. Genauso wie ein Zug russischer Einheiten. Dieser wird von einem ukrainischen Drohnenpiloten dabei beobachtet, wie er sich zwischen zerbombten Wohnhäusern in Stellung bringt. Die Koordinaten werden weitergeleitet, den Rest übernimmt ein automatischer Granatwerfer, made in USA. Die Russen fliehen in Panik. Doch gegen den unsichtbaren Spion im Himmel sind sie machtlos. Einer nach dem anderen wird aufgerieben. Zurück bleibt ein Feld mit einem halben Dutzend Leichen.

BAKHMUT, UKRAINE - DECEMBER 05: (EDITORS NOTE: Image contains graphic content) Military medics work on a member of the Ukrainian military with shrapnel wounds and burns to his entire body at a frontli ...
5. Dezember 2022: Ein ukrainischer Soldat mit Schrapnell- und Brandwunden wird in einem Feldlazarett ausserhalb von Bachmut behandelt.Bild: Getty Images Europe

Russland soll in den letzten beiden Novemberwochen über 6000 Soldaten verloren haben. Das berichtet der ukrainische Generalstab. Laut Schätzungen des ehemaligen ukrainischen Obersts Sergei Grabsky kommen aktuell rund um Bachmut jeden Tag zwischen 120 und 250 russische Todesopfer dazu. Dabei soll es sich vor allem um Wagner-Söldner handeln, aber auch um frisch eingezogene Soldaten, die sich nicht vor der Mobilmachung drücken konnten.

Die täglichen ukrainischen Opfer beziffert Grabsky mit «30 bis 50 Soldaten». Die Zahlen können unabhängig nicht geprüft werden. Russland dementiert und berichtet selbst von massiven ukrainischen Verlusten. «Wir müssen akzeptieren, dass in diesem Konflikt die Verluste auf beiden Seiten enorm sind», sagt Grabsky weiter: «Die Russen entsenden eine Welle nach der anderen.» Am Tag die schlecht ausgerüsteten Wehrpflichtigen, in der Nacht die Elitetruppen der Wagner. In dieser Art von Grabenkampf sind in der Regel die verteidigenden Kräfte im Vorteil. Auf Social Media hat sich längst der Begriff «Meatgrinder» etabliert – «Fleischwolf».

BAKHMUT, UKRAINE - DECEMBER 04: Military medics work on a member of the Ukrainian military suffering from head and leg injuries caused by a mine, in a frontline field hospital on December 04, 2022 out ...
4. Dezember: Ukrainische Militärärzte kümmern sich um einen verletzten Kameraden.Bild: Getty Images Europe

Trotzdem ist die Region um Bachmut die einzige, in der Russland gelegentlich Territorialgewinne verzeichnen kann. Doch der Blutzoll ist enorm. Weshalb die Invasoren derart verbissen versuchen, die zerstörte Stadt unter ihre Kontrolle zu bringen, ist umstritten. Es handle sich dabei um einen wichtigen Verkehrsknotenpunkt, sagen die einen. Bachmut sei das letzte Puzzleteil bei der kompletten Eroberung der Oblast Donezk. Andere wie Grabsky spielen die strategische Wichtigkeit hinunter. Er glaubt, der unmenschliche Abnützungskampf sei eine Frage des Geldes. Die Söldnertruppe Wagner habe vom Kreml den Auftrag erhalten, die Stadt einzunehmen. Im Erfolgsfall winke eine hohe Prämie. Auch politisch ist ein Erfolg für Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin kapital: Sein Status als ruchloser, aber erfolgreicher Feldherr würde damit zementiert. Und in Putins Gnaden würde er weiter aufsteigen.

Derweil zeigen auch russische Propagandakanäle ihre Erfolge bei Bachmut per Drohnenbilder. Das leuchtend gelbe Gebäude mitten in der Stadt liegt in Schutt und Asche. Es war einmal ein Kindergarten. Bereits sei der Bahnhof unter Kontrolle, berichtet ein russischer Staatssender und zeigt tschetschenische Truppen vor dem Bahnhofsgebäude. Doch die Sache hat einen Haken. Die bärtigen Herren sollen zum Bataillon «Scheich Mansur» gehören. Dieses kämpft auf der Seite der Ukraine.

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75 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Daniel Pünter
07.12.2022 20:57registriert April 2021
Und der Westen schaut weiterhin zu....
- FR will Putler Sicherheits-Garantien geben....
- DE unterstützt homöopatisch, wo bleiben die Leo's?
- CH blockiert Munitionslieferungen...
- Serbien, Ungarn und Türkei unterstützen Putler offen!
- Ohne USA würden wir alt ausschauen.

Europa inkl. CH muss sich endlich einig werden und die Kreml--Mafia in die Schranken weisen.
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Sitzplätzler
07.12.2022 20:54registriert April 2017
Kann irgendjemand einen guten Punkt AUS DER OPTIK PUTINS nennen, wieso er reihenweise untrainierte und schlecht ausgerüstete Wehrsoldaten in den Tod schickt?? Was hat er davon, dass er einen grossen Teil von jungen Russen auslöscht? Militärisch bringt ihm das ja keinen Vorteil, da diese wie oft beschrieben Kanonenfutter sind. Kann das irgendjemand erklären? Ich kapiers einfach nicht...
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Noturno
07.12.2022 21:28registriert August 2022
Der Kreml verschiesst sein letztes Pulver, während in Donezk die Reste der übrigen Truppen zusammengezogen werden. Ausser Terror fällt einem kein Beweggrund mehr für diese Angriffe ein.
Das sieht einfach nur noch nach Verzweiflung aus. Demnach müsste Anfang 2023 eigentlich für Russland Schluss sein.
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