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Ukraine-Krieg – Sergej Surowikin: Punktsieg für die Radikalen

FILE - Russian President Vladimir Putin, right, applauds Col. Gen. Sergei Surovikin during an awards ceremony for troops who fought in Syria, in the Kremlin, in Moscow, Russia, Thursday, Dec. 28, 2017 ...
Kremlchef Putin (rechts) zusammen mit Sergej Surowikin im Jahr 2017.Bild: keystone

Ukraine-Krieg – Sergej Surowikin: Punktsieg für die Radikalen

Russische Hardliner feiern den neuen Befehlshaber in der Ukraine. Aber wie lange wird die Begeisterung für Sergej Surowikin anhalten?
11.10.2022, 20:20
Martin Küper / t-online
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t-online

Wladimir Putin inszeniert sich gerne als starker Anführer, der die Zügel stets in Händen hält und nur seinem eigenen Willen folgt. Doch zuletzt wirkte der Kremlchef eher wie ein Getriebener, zum Handeln gezwungen von vorrückenden Ukrainern und immer lauter werdenden Rufen nach einer Eskalation des Krieges aus den eigenen Reihen. Auch mit der Ernennung von Sergej Surowikin zum neuen Oberbefehlshaber der russischen Truppen in de Ukraine scheint Putin dem Druck der nationalistischen Hardliner nachzugeben.

Das grösste Lob für die Beförderung von «General Armageddon», wie Surowikin wegen seiner Kriegsverbrechen in Syrien auch genannt wird, kam bezeichnenderweise von Ramsan Kadyrow und Jewgeni Prigoschin. Der Tschetschenenführer und der Chef der Söldnertruppe Wagner gelten mit ihren Privatarmeen als mächtigste Vertreter der radikalen Kriegsbefürworter und trieben die russische Armeeführung zuletzt mit harscher Kritik vor sich her. Ganz anders klingen die Reaktionen der beiden auf die Ernennung Surowikins.

Kadyrow und Prigoschin begeistert über Surowikin

«Ich kenne Sergej Surowikin seit fast 15 Jahren persönlich», schrieb Ramsan Kadyrow auf Telegram. «Ich kann mit absoluter Gewissheit sagen, dass er ein echter General und Krieger ist, ein erfahrener, willensstarker und weitsichtiger Befehlshaber, für den Begriffe wie Patriotismus, Ehre und Würde immer an erster Stelle stehen.» Überschwänglich liest sich auch die Reaktion Prigoschins: «Surowikin ist der kompetenteste Kommandeur der russischen Armee», schrieb Progoschin auf VK Kontakte, dem russischen Facebook. «Was seine persönlichen Qualitäten betrifft, kann ich nur sagen, dass Surowikin eine Legende ist, er wurde geboren, um dem Mutterland treu zu dienen.»

Ob Putin mit der Beförderung Surowikins dem Druck der Radikalen um Kadyrow und Prigoschin nachgegeben hat, lässt sich nicht belegen, es liegt aber nahe. Öffentlich wurde Surowikins Aufstieg in der Hierarchie am Samstag, dem Tag des Anschlags auf die Kertsch-Brücke, die das russische Festland mit der Halbinsel Krim verbindet. Unter russischen Kriegsbeobachtern und Militärbloggern löste der Angriff auf die Brücke eine beispiellose Empörung aus, die sich erstmals seit Kriegsbeginn auch in direkter Kritik am Kremlchef äusserte.

Erstmals direkte Kritik an Putin

«Manche Kriegsblogger kritisierten das Versäumnis Putins und des Kreml, auf Ereignisse wie den Brücken-Anschlag öffentlich zu reagieren, andere sagten, Putin müsse mit Stärke darauf reagieren, um nicht als schwach angesehen zu werden», fasst die US-Denkfabrik «Institute for the Study of War» (ISW) die Reaktionen zusammen. Tatsächlich hatte der Putin-Vertraute und Ex-Präsident Dimitri Medwedew einen Angriff auf die Brücke als rote Linie bezeichnet, auf den Russland mit einem Atomangriff reagieren würde. Nach dem Anschlag war von Medwedew allerdings nichts zu hören, auch das wurde von den russischen Kriegsbeobachtern kritisiert.

Die nervöse und unzufriedene Stimmung unter den Kriegsbloggern zeigte sich am Tag von Surowikins Ernennung noch bei anderer Gelegenheit. Am Samstagnachmittag kursierten plötzlich Gerüchte über eine laufende Militäraktion in Moskau, angeblich seien Teile der Innenstadt abgesperrt und es komme zu Verhaftungen von Armeeangehörigen. In die Welt kamen die Gerüchte mutmasslich vom ukrainischen Militärgeheimdienst GUR, wurden von manchen russischen Kriegsbloggern aber bereitwillig aufgegriffen.

Surowikin als Sündenbock?

Im Telegramkanal «Grey Zone», der mutmasslich von Wagner-Leuten betrieben wird, hiess es, der Kreml würde Verteidigungsminister Sergej Schoigu und den Chef des Generalstabs, Waleri Gerassimow, aus dem Verkehr ziehen – eben das fordern die Radikalen um Prigoschin und Kadyrow seit Wochen. Schoigu und Gerassimow, die über zwei der drei russischen Atomkoffer verfügen, gelten als enge Vertraute Putins. Aus Sicht der Radikalen stehen sie stellvertretend für den vermeintlich zu laschen Kriegskurs gegen die Ukraine. Ersetzt werden sollten die beiden durch Gouverneur Aleksey Dyumin und Heeresgeneral Aleksandr Matownikow, hiess es am Samstag im «Grey Zone»-Kanal.

Auch wenn sich die Verhaftung von Schoigu und Gerassimow schliesslich als Gerüchte herausstellten, scheint sich Kriegsherr Putin durch die Personalie Sergej Surowikin zumindest etwas Ruhe vor den Radikalen verschafft zu haben. Aber für wie lange? «Sündenböcke können die Unzufriedenheit mit Putin vielleicht für eine Weile auf sich nehmen, aber die jüngste Kritik von einigen seiner ergebensten Anhänger ist wohl nur ein Vorgeschmack auf das, was Putin aus diesem Lager noch zu erwarten hat», schreibt das ISW.

Die anfängliche Begeisterung der Radikalen für Surowikin könne sich schnell umkehren, schreibt das ISW weiter und erinnert an dessen Vorgänger als Oberbefehlshaber, General Alexander Dwornikow. Der hatte sich den Ruf als «Schlächter von Syrien» verdient, bevor Putin in im April zum Oberkommandeur in der Ukraine ernannte. «Auch diese Personalie hatten die Kriegsblogger bejubelt, aber daran scheinen sie sich jetzt nicht mehr zu erinnern», schreibt das ISW. «Jetzt feiern sie Surowikin, weil dieser angeblich brutaler sei als Dwornikow. Aber diese Vorstellung ist bizarr. In Syrien sind alle russischen Kommandeure mit extremer Brutalität vorgegangen.»

Verwendete Quellen

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68 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Alnitak
11.10.2022 20:35registriert Mai 2021
Interessant zu wissen wäre, welche Ziele die bisherigen und auch der neue Befehlshaber von Putin bekommen haben/hatten. Ich bin kein Militär- oder Kriegsstratege, aber die russische Armee mit all seinen Söldnern und sonstigen Freiwilligen kommt mir vor wie ein orientierungsloser Hühnerhaufen. Ich möchte klarstellen, dass mich dieser Umstand mit Freude erfüllt!
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HugiHans
11.10.2022 21:11registriert Juli 2018
Ein weiteres Zeichen, dass der Aggressor wirklich in der Defensive ist und auf Reserve läuft. Ernannt wird derjenige mit am wenigsten Skrupel um mit Terror gegen die Ukraine vor zu gehen und mit brutalen Methoden die eigenen Soldaten vor sich her zu treiben.
Hoffen wir das dieses System schnell kollabiert!
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Liebu
11.10.2022 21:32registriert Oktober 2020
Bleibt zu hoffen, dass allen die sich über ihn freuen, das Lachen im Hals stecken bleibt und es ihm ergeht wie seinen Vorgängern.
Am besten macht er sich ein Bild an vorderster Front und folgt dann den andern Generälen über den Jordan.
Ich hoffe sehr, auch er scheitert aber nimmt dabei nicht allzu viele Opfer mit.
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