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Elwira Nabiullina: Die Frau, die Russlands Wirtschaft am Leben hält

«Putin hört auf sie»: Das ist die Frau, die Russlands Wirtschaft am Leben hält

In Russland hat sie die Macht über die Zentralbank und geniesst das Vertrauen von Wladimir Putin – obwohl sie den Krieg wohl kritisch sieht. Wer ist Elwira Nabiullina?
04.06.2023, 04:1004.06.2023, 05:11
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t-online

Zu Beginn des Krieges war die Sorge vor leeren Supermarktregalen in Russland gross. Würden die importierten Waren noch verfügbar sein, wenn die vielen westlichen Unternehmen wie angekündigt das Land verlassen? Würden gar Läden schliessen?

epa09916979 A handout photo made available by the press service of the Central Bank of Russian Federation (Bank of Russia) shows the Governor of the Bank of Russia Elvira Nabiullina attending a press  ...
Elwira Nabiullina, Chefin der russischen Zentralbank. Bild: keystone

Nach mehr als einem Jahr Krieg zeigt sich: Einiges hat sich verändert in Russland, teils haben tatsächlich Läden westlicher Marken wie Zara oder McDonald's dichtgemacht. Zugleich hat Russland reagiert und internationale Marken mancherorts durch russische Kopien ersetzt. Die Supermarktregale sind voll. Und insgesamt steht Russland wirtschaftlich vergleichsweise gut da: Bislang kam es infolge des Angriffskrieges weder zu einer Hyperinflation, noch ist das Land in die Zahlungsunfähigkeit gerutscht.

Zu verdanken hat Diktator Wladimir Putin das vor allem einer Frau: Elwira Nabiullina, Chefin der russischen Zentralbank. Während viele Fachkräfte und Experten nach dem 24. Februar 2022 fluchtartig das Land verliessen, ist sie geblieben. Sie steuert die russische Wirtschaft durch die Krise. Und das mit Erfolg: Sie beruhigte die russische Finanzwelt und stabilisierte die Währung. Es ist die 59-Jährige, die so das System Putin am Leben hält – und damit auch den Krieg. Und das, obwohl sie anfangs als kriegskritisch galt und sogar Putin den Rücktritt angeboten haben soll.

Wie ist ihr das gelungen? Und wer ist Elwira Nabiullina, die mächtigste Frau Russlands?

Nabiullina wuchs in ärmlichen Verhältnissen auf, die Finanzkarriere wurde ihr nicht in die Wiege gelegt. Ihr Kindheit verbrachte sie in Ufa, einer westrussischen Erdölstadt, Eisenbahnverkehrsknotenpunkt, etwas mehr als eine Million Einwohner. Die Mutter war Fabrikarbeiterin, der Vater Fahrer. In den 1980ern schaffte sie dennoch den Sprung an die staatliche Moskauer Elite-Universität Lomonossow. Dort studierten einst auch Michail Gorbatschow und Boris Pasternak.

Nach ihrem Abschluss in Wirtschaftswissenschaften stieg sie schnell zur Beraterin für Wirtschafts- und Handelsfragen auf, arbeitete für Verbände, Aufsichtsräte, später das Wirtschaftsministerium. Dort gewann sie mit finanzpolitischen Entscheidungen Putins Vertrauen. Der machte sie 2013 zur Chefin der russischen Zentralbank. Als erste Frau eines G8-Staats. Für Nabiullina ein konsequenter Aufstieg, aber auch eine Auszeichnung.

Seitdem ist sie nicht nur in Russland einflussreich, sondern auch in der internationalen Wirtschaftswelt bestens vernetzt. Im Westen gilt sie als hochprofessionell. Sie hat die russische Wirtschaft modernisiert, in Teilen korrupte Banken geschlossen. Die frühere Chefin des Internationalen Währungsfonds, Christine Lagarde, verglich Nabiullinas Qualitäten 2018 mit denen eines grossen Dirigenten. Und: Nabiullina holte auch Fachleute zur Zentralbank, die zuvor an westlichen Eliteunis studiert und geforscht hatten.

All das sprach zu Kriegsbeginn dafür, dass sich Nabiullina vom System lossagt. Mit ihrem international guten Ruf hätte sie im Westen nach Kriegsbeginn einen hoch dotierten Posten antreten können.

Und tatsächlich zeigte sich Nabiullina bei öffentlichen Auftritten kurz nach Beginn des Überfalls auf die Gesamtukraine ganz in Schwarz, als trüge sie Trauer. Sie steckte sich auffällige, mehrdeutige Broschen an, darunter eine Art Stehaufmännchen, das als Symbol für die russische Wirtschaft interpretiert wurde. Ähnlich wie einst die frühere US-Aussenministerin Madeleine Albright wollte sie wohl ein Statement abgeben, ohne es offen auszusprechen. Doch wie kritisch ist Nabiullina wirklich?

Eine, die diese Frage beantworten kann, ist die frühere Moskauer Wirtschaftspublizistin Alexandra Prokopenko. Sie kennt Nabiullina, seit sie selbst einige Jahre als Beraterin bei der russischen Zentralbank gearbeitet hat. Für Nabiullina müsse es schmerzhaft gewesen sein zu sehen, wie der Krieg das zunichtegemacht hat, wofür sie all die Jahre gekämpft hatte, sagt Prokopenko.

Damals hatte die Notenbankchefin eingeräumt, dass die sogenannte Spezialoperation eine «strukturelle Transformation» für die heimische Wirtschaft bedeute. Dabei hatte sie immer gegen grosse Staatseingriffe in die Wirtschaft gekämpft. Nabiullina gilt als wirtschaftsliberal. Und nun musste sie selbst handeln.

Prokopenko ist Wissenschaftlerin bei den Berliner Instituten ZOiS und DGAP und schreibt für «The Bell». Als Beraterin der Russischen Zentralbank war sie für Kommunikationsfragen zur Inflation unter Vizechefin Ksenia Judajewa zuständig.

Dass sie trotzdem nicht wie viele andere das Land verlassen hat, erklärt sie sich vor allem mit dem Pflichtbewusstsein der Notenbankchefin. Nabiullina wisse, dass viele Menschen von ihr abhängig seien, sagt Prokopenko.

Zugleich gebe sie sich keinen Illusionen hin, dass sie diesen Krieg beenden könne. Aber sie könne in ihrem Gebiet direkten Einfluss auf den Kreml nehmen. «Putin hört auf sie», sagt Prokopenko. Natürlich nicht in politischen Fragen, in wirtschaftlichen aber sehr wohl. Der Kremlherrscher spricht sie in der Öffentlichkeit mit Vornamen an.

Prokopenko erlebte ihre frühere Vorgesetzte als kühl kalkulierende Ökonomin: «Nabiullina versucht jede Situation von verschiedenen Perspektiven zu sehen und beschafft sich vor Entscheidungen so viele Informationen wie möglich. Emotionen spielen dabei keine Rolle.»

Auch der Regensburger Russlandforscher Fabian Burkhardt beschreibt sie als rational: «Die Entscheidungen, die unter ihr getroffen werden, basieren auf der Wissenschaft, auf wissenschaftlichen Artikeln und wissenschaftlicher Forschung.» Regelmässige Berichte der Zentralbank sind dem Russlandexperten zufolge «kritisch und objektiv und geben eine realistische Einschätzung wieder.» Nabiullina gehört also zu den Leuten in Putins Umfeld, die sich trauen, Fakten auf den Tisch zu legen, während andere in der Vergangenheit geschönte Zahlen präsentierten.

Gerüchte, wonach Nabiullina Putin nach Kriegsbeginn ihren Rücktritt angeboten haben soll, hält die frühere Zentralbank-Mitarbeiterin Prokopenko dagegen für unwahrscheinlich. «So funktioniert das System Zentralbank nicht, und so funktioniert Nabiullina nicht», meint sie. «Selbst wenn sie Zweifel gehabt hätte, sie hätte sie um keinen Preis mit jemandem geteilt.» Das gehe gegen ihre Wertevorstellung. Ihrer Arbeit in der russischen Wirtschaft habe sie sich immer schon untergeordnet. «Sie arbeitet hart. Und damit meine ich: enorm hart», sagt Prokopenko.

Sie erstaunt es daher nicht, dass sich Nabiullina im Februar 2022 gegen die freie, globale Wirtschaft entschied – und für die Diktatur. Ein Rückzug wäre als Verrat an Putin aufgefasst worden. Sie blieb. Und Putin honorierte das, indem er ihre Amtszeit um weitere fünf Jahre verlängerte.

Ein weiterer möglicher Grund dafür: Ihrer Weitsicht verdankte er es, dass er überhaupt den Krieg führen konnte. Denn schon nach der russischen Krimannexion 2014 hatte Nabiullina damit begonnen, einen der weltweit grössten Devisenvorräte anzulegen. Russland besass dadurch im Februar 2022 riesige Mengen an Finanzmitteln, Erspartem, wenn man so will, in Höhe von 643 Milliarden Dollar. Manche Beobachter deuteten das als Vorbereitung auf einen grossangelegten Krieg gegen die Ukraine.

Trotzdem kam es unmittelbar nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine zu chaotischen Szenen. Der Rubel rauschte ab und verlor zeitweise die Hälfte seines Wertes. Der Westen blockierte Teile des Devisenschatzes und fror russische Vermögenswerte ein. Bezahlanbieter wie Visa und Mastercard sperrten ihre Dienste, Russinnen und Russen konnten im Ausland plötzlich ihre Kreditkarten nicht mehr nutzen. Westliche Unternehmen verliessen panikartig das Land. Die Gefahr eines Ansturms auf die Banken und dass Devisen ins Ausland abflossen, war gross. «Diese Panik hat Nabiullina abgekühlt», sagt Prokopenko.

Burkhardt ist Politikwissenschaftler am Leibniz-Institut für Ost- und Südosteuropaforschung in Regensburg. Er forscht zu politischen Institutionen in autoritären Regimen und ist Redakteur der «Russland-Analysen» und «Ukraine-Analysen».

Schon früh drosselte die Zentralbankchefin die Finanzströme im Land – zu einem Zeitpunkt, als sich noch kaum eine dramatische Inflation abzeichnete: Sie führte Kapitalkontrollen ein und verhinderte damit, dass Russen überstürzt ihr Vermögen von russischen Banken abziehen und ausser Landes bringen. Sie versetzte so die russische Wirtschaft in ein künstliches Koma. Gleichzeitig verdoppelte sie den Leitzins auf 20 Prozent.

Das zeigte Wirkung. Während im März Menschen und Unternehmen ihr Geld noch von den Banken abzogen, brachten sie es Ende April bereits zurück. Wegen des hohen Zinssatzes waren Kredite zwar unattraktiv, die Einlagenzinsen für die Menschen aber wieder interessant geworden.

Weiter zwang Nabiullina Exportriesen wie Gazprom oder Rosneft dazu, Einnahmen, die sie in Dollar oder Euro generieren, in Rubel zu tauschen, und schützte auch so die heimische Wirtschaft. Als sich das Chaos legte, senkte sie den Leitzins wieder.

Nabiullina machte noch einen entscheidenden Schritt: Sie liess Vermögenswerte ausländischer Investoren in Russland einfrieren. So musste das Land keine Prämien aus den verbleibenden Reserven mehr an ausländische Investoren zahlen.

Putin muss das klar gemacht haben: Niemand kann diesen Job besser als Nabiullina. Davon dürfte auch sie selbst überzeugt sein. Aufzugeben bedeute, die Wirtschaft einem grossen Risiko, einem Missmanagement auszuliefern, und das sei für sie keine Option, sagt Russlandforscher Burkhardt. «Deswegen ist sie den Kompromiss mit dem Teufel eingegangen.» Sie ähnele darin den typischen russischen Technokraten: «Nabiullina ist höchst kompetent und angepasst.»

«Sie ist eine Ökonomin, die Tacheles reden kann. Auch vor Putin», sagt Burkhardt. Das spielt wiederum, paradoxerweise, dem Regime in die Hände. Die Zentralbank sei im russischen System eine Art Stabilisator, erklärt Burkhardt. Denn das Regime selbst ist hochgradig korrupt und ineffizient, wird aber von einer funktionierenden Zentralbank gestärkt.

Fraglich ist, was aus Nabiullina wird, sollte Putin abtreten oder sterben. Dass sie in die Politik strebt, halten Burkhardt und Prokopenko für ausgeschlossen. «Sie hatte nie politische Ambitionen», sagt Prokopenko. «Nabiullina ist völlig unpolitisch. Für sie zählt Fachkompetenz», sagt auch Burkhardt. Auch dafür schätzt Putin seine Technokratinnen und Technokraten: Sie halten sich aus seiner Politik heraus.

Eine internationale Karriere, besonders im Westen, ist für sie allerdings auch keine Option mehr. Viele der internationalen Kontakte seien inzwischen ohnehin abgebrochen, sagt Burkhardt. Für westliche Wirtschaftsinstitute und Unternehmen dürfte die Notenbankchefin, selbst mit Sanktionen belegt, längst eine Persona non grata sein.

Prokopenko sieht eher eine akademische Laufbahn in Russland als möglichen Karriereschritt, wenngleich der jetzige Job «die Kirsche auf der Torte» sei, höher könne Nabiullina kaum kommen. Ob sie nach Ende ihrer regulären Amtszeit in fünf Jahren überhaupt noch arbeiten wird, ist fraglich. Nach russischen Recht wäre sie dann schon im Rentenalter.

Verwendete Quellen:

  • Telefonisches Interview mit Fabian Burkhardt am 23. März 2023 und schriftlicher Kontakt am 2. Juni 2023.
  • Telefonisches Interview mit .Alexandra Prokopenko am 28. März 2023 und schriftlicher Kontakt am 2. Juni 2023.
  • Internetseite der russischen Zentralbank: "Набиуллина Эльвира Сахипзадовна" (russisch)
  • handelsblatt.de: "Elwira Nabiullina – Diese Frau soll Russland vor dem ökonomischen Kollaps bewahren"
  • nzz.ch: "Die Frau im Auge des Sanktionssturms"
  • spiegel.de: "Zum Tod von Madeleine Albright: Die knallharte Broschen-Diplomatin" (kostenpflichtig)
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34 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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rodolofo
04.06.2023 06:36registriert Februar 2016
Man muss wohl unterscheiden zwischen der Anfangs-Phase des Krieges (in Russland "militärische Spezialoperation" genannt) und der mittleren Phase, in der wir uns jetzt befinden.
Anfangs STIEGEN ja die russischen Erträge im Zuge der künstlichen Verknappung von Öl und Gas enorm.
Obwohl also der Gas-Hahn nach Europa zu war, füllte sich Putin's Kriegskasse!
Das hat sich mittlerweile völlig geändert. Wie nach einem kurzen Strohfeuer läuft die Russische Wirtschaft jetzt auf Sparflamme.
Öl- und Gaspreis-Deckel, Sanktionen, und massiver "Brain Drain" durch Flucht und Tod in einem verrückten KRIEG...
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Der Rückbauer
04.06.2023 08:25registriert September 2015
Sie macht es wesentlich besser als Yellen, aber sie muss sich nicht wie Yellen mit vielen demokratischen Instanzen und Institutionen herumschlagen. Sie kann einfach anordnen, verfügen. Demokratische Instanzen gibt es ja nicht. Etwa gleich wie in der Türkei, wo nicht die Nationalbank, sondern Erdogan den Leitzins festlegt. Dazu kommt, in Russland wie in der Türkei, ein fanatischer Nationalismus, der kein Leiden und keinen Widerspruch zulässt. - Für Russland verstehe ich das, für die Türkei kann ich darüber nur den Kopf schütteln. Hitler: Kanonenkugeln statt Butter.
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Lafayet johnson
04.06.2023 09:37registriert Juli 2020
Eine internationale Karriere, besonders im Westen, ist für sie allerdings auch keine Option mehr.

Wahrscheinlich wird sie auch, am letzten Abend des Krieges, aus Feigheit mit in den Bonker gehen. Keinem dieser Irren scheint zurzeit klar wie das endet!
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