International
USA

Gerrymandering: Sie kämpft gegen die erlaubte Wahlmanipulation

Teaserbild Gerrymandering
Kate Barr lässt sich trotz fragwürdiger politischer Strukturen nicht unterkriegen.Bild: watson / imago-images.de

Sie kämpft gegen reale Wahlmanipulation: «Jede Stimme für mich ist ein Mittelfinger»

Millionen von US-Amerikanern werden durch «Gerrymandering» ihrer demokratischen Teilhabe beraubt. Kate Barr wird auch deshalb ihren Wahlkampf verlieren – und macht das zur politischen Waffe.
03.11.2024, 17:1303.11.2024, 17:18
Julian Seiferth / t-online
Mehr «International»
Ein Artikel von
t-online

Das Rennen ums Weisse Haus zwischen Kamala Harris und Donald Trump könnte eines der engsten in der jüngeren US-Geschichte werden. Doch selbst in umkämpften Swing States wie North Carolina gibt es Wahlkämpfe, die bereits entschieden waren, bevor sie begonnen hatten – so wie der von Demokratin Kate Barr.

Barr tritt im Rennen um den Sitz des Wahlbezirks 37 im Bundesstaats-Senat North Carolina an – in vollem Bewusstsein darüber, dass sie in dem massgeschneiderten, konservativen Bezirk keine Chance hat. Barr hat daraus einen Kampagnenslogan gemacht, der inzwischen weit über North Carolina hinaus Beachtung findet: «Kate Barr kann nicht gewinnen.»

Was zunächst wie ein Eingeständnis der eigenen Schwäche aussieht, entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als beissende Kritik an einer politischen Praxis namens Gerrymandering.

«Gerrymandered as fuck»

Der Begriff Gerrymandering bezieht sich auf Elbridge Gerry, einen ehemaligen Gouverneur von Massachusetts, und einen zu seinen Gunsten neu gezogenen Wahlbezirk, der die Form eines Salamanders hatte.

Dabei werden Wahlkreise passgenau auf bestimmte Wählergruppen zugeschnitten – in diesem Fall, um den Republikanern einen Bezirk zu sichern, der ansonsten umkämpft wäre. Im Extremfall haben diese Wahlkreise nichts mit geografischen Gegebenheiten, Landkreisen oder Regierungsbezirken zu tun, sondern ziehen sich auf den ersten Blick willkürlich anmutend durch die Landkarte.

Bild

Ein solcher Wahlbezirk ist auch der 37. North Carolinas. Barr schreibt dazu auf ihrer Website:

«Das Gerrymandering in Bezirk 37 ist so heftig, dass ich keine Chance habe. Aber wenn ich schon verliere, kann ich genauso gut ein wenig Spass haben und dabei auf die Folgen des Gerrymandering hinweisen. Steigt ein, Loser. Wir ziehen (nicht) in den Senat ein.»

Barrs Lebenslauf auf ihrer Website ist überschrieben mit: «Ich habe mein Leben lang darauf hingearbeitet, diese Wahl zu verlieren. (...) Das sind die Dinge, die ich so tue, wenn ich nicht verliere.» Sie verkauft ausserdem Pullover mit der Aufschrift «Gerrymandered as fuck» (Verdammt viel Gerrymandering).

Experte: Politiker suchen sich Wähler – nicht andersherum

Doch warum wendet diese Frau so viel Zeit, Energie und Geld dafür auf, gegen ein System zu kämpfen, das beide Parteien seit Jahren einsetzen und wohl bis auf Weiteres einsetzen werden? Das schreibt die dreifache Mutter auf ihrer Website neben ihren politischen Zielen – Abtreibungsrechte für Frauen, ein gut finanziertes, staatliches Bildungssystem und vernünftige Waffengesetze:

«All das könnten wir erreichen in einem Swing State wie unserem, wenn wir eine repräsentative Demokratie hätten anstelle dieses politisch zugeschnittenen Unsinns.»

Die Auswirkungen des Gerrymandering sind besonders in North Carolina deutlich: In dem Staat sind fast genauso viele Demokraten wie Republikaner als Wähler registriert.

Diese Ausgeglichenheit wird im Senat North Carolinas allerdings nicht ersichtlich. Hier haben die Republikaner eine Supermehrheit, halten mehr als zwei Drittel der Sitze. Eine noch stärker zugeschnittene Version der Wahlbezirke wurde 2013 von einem Gericht gekippt. Die Begründung: «Dieses Gesetz schneidet schwarze Wähler mit chirurgischer Präzision aus dem demokratischen Prozess heraus.»

Der Politikwissenschaftler Sam Wang erklärt dem Sender CBS News, dass Republikaner in North Carolina und die Demokraten in Illinois aktuell ihre Wähler aussuchen würden – nicht andersherum.

A bobblehead of Republican presidential nominee former President Donald Trump sits on the desk as Speaker of the House Mike Johnson, R-La., speaks during an interview with The Associated Press at the  ...
Donald Trump und Mike Johnson: Der Wahlbezirk des Republikaners ist klar auf seine Bedürfnisse zugeschnitten.Bild: keystone

2013 hatte Wang analysiert, dass insgesamt 4,4 Millionen Wähler durch Gerrymandering effektiv ihrer Stimme beraubt werden: vier Millionen Demokraten und 400'000 Republikaner. Unter anderem Mike Johnson, Sprecher des Repräsentantenhauses und Verbündeter Donald Trumps, stammt aus einem heftig zugeschnittenen Distrikt in Louisiana.

Kate Barr: «Jede Stimme für mich ist ein Mittelfinger»

Es gebe auch andere, demokratischere Wege, Wahlbezirke festzulegen, erklärt Wang: In Kalifornien, Arizona und Colorado beispielsweise bestimmen Bürgerräte, wo die Grenzen verlaufen. Im republikanisch geprägten Ohio wird in diesem Herbst über die Einrichtung eines solchen Bürgerrates abgestimmt.

In North Carolina ist eine solche Veränderung – zumindest aktuell – nicht angedacht. Solange sich nichts ändert, will Kate Barr weiterkämpfen, wie sie CBS News erklärt: «Jede Stimme für mich ist ein Mittelfinger an die Republikaner.»

Quellen

(t-online/dsc)

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Diese Frauen sind 2024 an der Macht
1 / 33
Diese Frauen sind 2024 an der Macht
Giorgia Meloni ist seit 2022 italienische Ministerpräsidentin und damit die erste Regierungschefin des Landes.
quelle: keystone / filippo attili/chigi palace pres
Auf Facebook teilenAuf X teilen
Österreicher bricht 3 Weltrekorde mit Wingsuit-Sprung von Jungfrau
Video: watson
Das könnte dich auch noch interessieren:
49 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
Onyx
03.11.2024 17:45registriert Dezember 2014
Gute Frau, gute Aktion. Das so etwas wie Gerrymandering überhaupt zulässig ist, sollte einer Demokratie nicht würdig sein. Aber das sollte das Winner-Takes-It-All-Prinzip auch nicht. Alles was den Republikanern nützt, wird gemacht, damit sie trotz Minderheit der Stimmen an der Macht bleiben.
12711
Melden
Zum Kommentar
avatar
Dr. Rodney McKay
03.11.2024 17:58registriert September 2024
Schade, dass hier die Politik sowie die Gerichte nicht schon längstens was dagegen getan haben.
985
Melden
Zum Kommentar
avatar
Silvershadow
03.11.2024 17:35registriert Juni 2021
Ist die USA wirklich eine Demokratie?
Oder nur ein missglückter Versuch, und eine Warnung?
10110
Melden
Zum Kommentar
49
    Trump: Zweifel an NATO-Beistandspflicht +++ Trump setzt auch Kanada-Zölle vorerst aus
    Donald Trump ist nach seiner Vereidigung offiziell der 47. Präsident der USA. Hier findest du alle aktuellen Entwicklungen rund um seine zweite Amtszeit.
    Zur Story