Der Chefredaktor der «Bild», Julian Reichelt, ist am Montag über die Affäre um Machtmissbrauch in seiner Zeitungsredaktion gestürzt - nun gerät auch der mächtige Chef des Axel-Springer-Konzerns, Mathias Döpfner, ins Straucheln. Der 58-jährige heimliche Erbe des Axel-Springer-Medienkonzerns, «wichtigster Medienzampano des Landes», wie ihn die «Süddeutsche Zeitung» bezeichnet, sieht sich dem Vorwurf ausgesetzt, seinen ehemaligen Chefredaktor zu lange gedeckt zu haben, obwohl die Missstände in der Zeitungsredaktion auch ihm bekannt gewesen sein mussten.
Die Anschuldigungen, wonach Reichelt seine Chefredaktoren-Position ausgenutzt haben soll, um sich an weibliche und ihm untergebene «Bild»-Mitarbeiterinnen ranzumachen, sind schon vor Monaten aufgekommen. Doch erst ein Bericht der «New York Times» (NYT) von diesem Montag führte dazu, dass Döpfner seinen «Bild»-Chef fallen liess. Oder besser: Fallen lassen musste.
Die Stossrichtung der von der «NYT» beschriebenen Zustände in der Redaktion bei «Bild» ist die gleiche wie im Frühjahr dieses Jahres, als Springer-intern Vorwürfe des Machtmissbrauchs gegen Julian Reichelt erhoben worden waren, die durch den «Spiegel» publik gemacht wurden. Eine durch «Springer» im Frühjahr veranlasste Untersuchung entlastete den umstrittenen Chefredakteur danach. Reichelt durfte bereits nach zwei Wochen wieder auf seinen Chefsessel zurückkehren.
Die Anschuldigungen der US-Qualitätszeitung kommen für den Springer-Konzern zu einem ungünstigen Zeitpunkt. Das Verlagshaus investiert seit 2019 und dem Einstieg des New Yorker Finanzinvestors KKR bei «Springer» kräftig in den US-Markt. In dieser Woche vermeldete der in Berlin ansässige Verlag die Übernahme des US-Nachrichtenunternehmens «Politico».
«Springer» hat für das 2007 gegründete Unternehmen, das vor allem im Internet Politnachrichten und Analysen publiziert und 700 Beschäftigte zählt, mindestens 639 Millionen Euro lockergemacht, mutmassen Branchen-Experten. Es handelt sich um die grösste Investition des «Springer»-Konzerns in der Firmengeschichte. Springer-Chef Döpfner hat für sein Verlagshaus das Ziel herausgegeben, der «führende digitale Verlag in der demokratischen Welt» zu werden.
Die Berichterstattung in den US-Medien über ein toxisches Arbeitsklima beim Springer-Flaggschiff «Bild» wirft nicht nur auf Ex-Chef Julian Reichelt ein schlechtes Licht, sondern auch auf den sich auf US-Expansionskurs befindlichen deutschen Verlag selbst - und auf einen Vorstandsvorsitzenden, der über eine Macho-Kultur in seinen Redaktionsstuben lange Zeit hinweggesehen oder - auch nicht besser - diese nicht erkannt hatte. Ein Unternehmen, in dessen Führungsetagen es zu Machtmissbrauch kommt, hat auf dem US-Markt einen schweren Stand.
Pikant ist, wie Döpfner auf die im Frühjahr erstmals erhobenen Vorwürfe gegen Reichelt reagiert hatte. In einer vom «Spiegel» veröffentlichten SMS an einen Bekannten legte er die schützende Hand über Reichelt. Dieser sei gerade in der Corona-Berichterstattung quasi der «letzte und einzige» Journalist im Land, der «noch mutig gegen den neuen DDR-Obrigkeitsstaat» aufbegehre, fast alle anderen Journalisten im Land seien «zu Propaganda-Assistenten geworden». Und weiter:
Brisant an dieser SMS ist, dass Döpfner damit implizierte, der Täter Reichelt sei in Wahrheit möglicherweise das Opfer. «Der raunende Ton, mit dem Döpfner die Aussagen der betroffenen Frauen schon präventiv zu entkräften versucht, passt zur mentalen Wagenburg, in der sich ‹Bild› und Springer eingerichtet haben», stellt die «Süddeutsche» fest.
Problematisch ist aber auch Döpfners Attacke gegen die restlichen Zeitungshäuser im Land - und wie er diesen Angriff formuliert. Die deutsche Regierung mit einer untergegangenen Diktatur gleichsetzen, solches kennt man ansonsten aus der Welt der «Querdenker». Döpfner relativierte seine Aussage in dieser Woche, sprach von «Ironie».
Allerdings ist Döpfner nicht nur «Springer»-Chef, er sitzt auch dem Lobbyistenverband der deutschen Zeitungsverleger vor. Damit muss Döpfner die Interessen Hunderter Redaktionen mit tausenden von Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gegen aussen vertreten. Nun entpuppt sich der mächtigste Medien-Lobbyist im Land als ein Mann, der von der Arbeit der restlichen Presse ausserhalb seines Konzerns scheinbar wenig hält - und der auch nicht vor missglückten DDR-Vergleichen zurückschreckt.
Mehrere deutsche Medien stellen Döpfners Eignung für diesen Posten nun in Frage. Die «Affäre Reichelt» wird auch für Döpfner zum Problem. Dem «Medienzampano» droht die Entzauberung. (aargauerzeitung.ch)