Die Beratungen waren zäh und dauerten fast 40 Stunden. Immer wieder verlangten die zwölf Geschworenen, die in einem New Yorker Bundesgericht hinter verschlossenen Türen über das Schicksal von Ghislaine Maxwell debattierten, nach zusätzlichem Material, Gesprächsprotokollen oder einer juristischen Erklärung von Richterin Alison Nathan.
Das Urteil aber, das die Geschworenen am späten Mittwoch fällten, lässt keine Fragen offen. In fünf der sechs Anklagepunkte sprachen die sechs Frauen und die sechs Männer die 60 Jahre alte ehemalige Freundin des Sexualverbrechers Jeffrey Epstein für schuldig. Demnach sahen es die Geschworenen als erwiesen an, dass Maxwell ihrem Lebens- und Geschäftspartner von 1994 bis 2004 als Zuhälterin gedient hatte. Auch nahmen die Jury-Mitglieder es Maxwell nicht ab, dass sie von Epsteins Verbrechen nichts mitbekommen habe.
Die Angeklagte, eine Tochter des 1991 verstorbenen britischen Pressbarons Robert Maxwell, nahm das Urteil im Gerichtssaal 318 des Thurgood Marshall Courthouse in Manhattan emotionslos zur Kenntnis. In einer schriftlichen Stellungnahme kündigte Bobbi Sternheim, eine Anwältin Maxwells, eine Beschwerde gegen die Entscheidung der Geschworenen an. Auch sagte sie: «Wir glauben fest an die Unschuld von Ghislaine.»
Staatsanwalt Damian Williams wiederum, der Statthalter des nationalen Justizministeriums im südlichen Bezirk von New York, zeigte sich über den Schuldspruch zufrieden. In einer Videobotschaft sagte er, dass es viel zu lange gedauert habe, bis Maxwell vor Gericht gestellt worden sei. «Aber heute wurde der Gerechtigkeit Genüge getan», sagte der Jurist, der seinen Posten erst im Herbst 2021 angetreten hatte.
Video statement of US Attorney Damian Williams on the guilty verdict in US v. Ghislaine Maxwellhttps://t.co/oMgMbEgyv3 pic.twitter.com/6cJjDdDTD9
— US Attorney SDNY (@SDNYnews) December 29, 2021
Für die wohl Hunderte Opfer Epsteins kommt die Verurteilung Maxwells einer späten Genugtuung gleich. Der reiche Lebemann mag sich aus der Verantwortung gestohlen haben, indem er sich im Sommer 2019 in einer New Yorker Haftanstalt das Leben nahm. Seine langjährige Weggefährtin aber, die Epstein mit Millionen von Dollars für ihre Arbeit entschädigte, wird nun vielleicht den Rest des Lebens hinter Gittern verbringen müssen.
Annie Farmer, die als einziges von vier Epstein- und Maxwell-Opfern unter ihrem richtigen Namen in New York ausgesagt hatte, zeigte sich in einer Stellungnahme «erleichtert und dankbar» über die Verurteilung der Britin. Auch sagte Farmer über Maxwell, die sie unsittlich berührt hatte, als sie noch eine Teenagerin war:
Richterin Nathan gab am Mittwoch vorerst nicht bekannt, wann sie das Strafmass für Maxwell verkünden werde. Weil die Geschworenen sie aber das Menschenhandels für schuldig befunden haben, droht der Britin eine Gefängnisstrafe von mehr als 40 Jahren.
Die Verteidigung hatte Maxwell als «nicht schuldig» im Sinne der Anklage bezeichnet und sie den Geschworenen als Bauernopfer der Justiz präsentiert. «Ghislaine wird der Prozess gemacht, weil sie mit Jeffrey Epstein zusammen war. Vielleicht war das der grösste Fehler ihres Lebens. Aber es ist kein Verbrechen», hatte eine ihrer Anwältinnen im Schlussplädoyer gesagt.
Maxwell, die nach ihrer Trennung von Epstein weitgehend aus der Öffentlichkeit verschwunden war, hatte zu den Vorwürfen der Anklagebehörde nicht Stellung bezogen. Sie verzichtete darauf, im Zeugenstand Platz zu nehmen. Ihre Begründung: Der Anklagebehörde sei es nicht gelungen, die Vorwürfe gegen sie zu belegen.
Nach dem Urteilsspruch könnte sich Maxwells Haltung nun ändern. Britische Medien spekulierten am Mittwoch bereits darüber, dass sich die einstige Gesellschaftsdame freikaufen werde, indem sie auspacke – und zum Beispiel die Namen der Freunde Epsteins nenne, die an seinen Partys teilnahmen und Minderjährige missbrauchten.
In diesem Zusammenhang fällt immer wieder der Name von Prinz Andrew, dem zweitältesten Sohn der britischen Königin. Ein Epstein-Opfer, das nicht am Maxwell-Prozess aussagte, beschuldigte den Adeligen der Vergewaltigung in London. Auch verbrachte Epstein einst viel Zeit mit den ehemaligen Präsidenten Bill Clinton und Donald Trump.
Dabei handelt es sich allerdings bloss um Spekulationen. Der Prozess lieferte keine Anhaltspunkte dafür, dass die Schönen und Reichen, mit denen sich Epstein gerne umgab, Kenntnis von seinen und Maxwells Verbrechen hatten. Auf Anweisung von Richterin Nathan liessen es Anklage und Verteidigung bei einigen Anspielungen bleiben. Auch wiesen zahlreiche Gerichtsdokumente eingeschwärzte Passagen auf oder wurden der Öffentlichkeit vorenthalten.
Und jetzt bitte noch all die Männer verurteilen, die den „Lolita-Express“ in Anspruch nahmen.