Rettungskräfte transportieren einen Verwundeten in Las Vegas am Abend des 1. Oktobers. Bild: AP/Las Vegas Review-Journal
Ein Arzt erzählt – wie er und sein Team in Las Vegas hunderte Menschenleben retteten
Dr. Kevin Menes war am Abend des Attentates in Las Vegas als verantwortlicher Arzt einer Notfallabteilung im Einsatz. Dank seiner grossen Erfahrung und einem ausgeklügelten Plan konnte das Sunrise Hospital hunderte von Menschenleben retten.
Der ganze Artikel erschien in Emergency Physicians Monthly. Wir haben einige Aussagen des Notfallarztes herausgepickt.
«Ich arbeite Nachtschicht. Meine Arbeitswoche is Freitag bis Montag, 20 – 6 Uhr. Die meisten Leute möchten diese Schicht nicht, aber es ist die Zeit, in der am meisten passiert, also arbeite ich dann. Es war am Sonntagabend, als der Notruf im Sunrise Spital einging und einen Massenanfall von Verletzten verkündetete. Alle Spitäler von Las Vegas werden über solch einen Notfall informiert – um sich vorzubereiten auf die Patienten, die eingeliefert werden.»
«Während ich dem Fernseher zuhörte, war zufälligerweise ein Polizeibeamter bezüglich einem anderen Zwischenfall vor Ort. Ich sah, wie er sein Funkgerät anschaute. Ich fragte ihn ‹Hey, ist das war?› und er sagte ‹Ja, Mann.› Ich rannte zu meinem Auto und griff nach meinem Polizeifunkgerät. Das Erste, was ich hörte als ich es einschaltete, waren Polizeioffiziere, die schrien «automatisches Feuer … Country-Music-Konzert.» 10 Uhr abends an einem Open Air, automatisches Feuer in eine Menge von zehn-, zwanzigtausend Leuten oder mehr – das sind viele Menschen, die verletzt werden könnten.»
Bild: AP/Las Vegas Review-Journal
«Ab dem Zeitpunkt habe ich einen Plan umgesetzt, an den ich schon früher gedacht habe. Es mag merkwürdig klingen, aber ich habe schon frühzeitig über diese Probleme nachgedacht, aufgrund der Art, wie ich schon immer an Reanimationen herangegangen bin:
Plane voraus. Stelle die schwierigen Fragen. Finde Lösungen. Übe den Plan mental aus, so dass du, wenn sich das Problem dann präsentiert, über keine mentale Hürden springen musst, da die Lösung schon ausgearbeitet ist.
Es ist ein offenes Geheimnis, dass Las Vegas ein grosses Ziel ist, aufgrund seiner riesigen Menschenmengen. Über Jahre hinweg habe ich geplant, wie ich einen Massenanfall von Verletzten bewältigen würde, aber ich habe selten darüber geredet mit anderen, weil die Leute sonst denken könnten, ich wäre verrückt.»
Das Erste, was ich gemacht habe, war den Sekretärinnen zu sagen, dass ich alle Operationssäle benötige. Ich brauchte jeden chirurgisch-technischen Assistenten, jede Krankenschwester, jeden Kardiotechniker, jeden Anästhesisten, jeden Chirurg – sie alle mussten hierherkommen, sofort. Die Sekretärinnen begannen also zu telefonieren. Ich habe den Krankenschwestern der Unfallstation gesagt, dass alle Behandlungsbereiche sofort frei sein müssen. Krankenschwestern wurden instruiert, ein Auge auf zusammenbrechende Patienten zu halten und sicherzustellen, dass für alle Patienten beidseitige Infusionen parat sind, für den Moment in dem sie dekompensieren.»
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«Ich war in der Ambulanzstation, als die ersten Polizeiautos mit Patienten ankamen. Es waren drei bis vier Leute in jedem Wagen. Wir nahmen jeden, der hereinkam – ich zog mindestens zehn Leute aus Autos, von denen ich wusste, dass sie tot waren. Ich zog jeweils einen Patienten und schrie: ‹Station vier. Station zwei. Station eins›. Das Personal verschob dann die Patienten in Tragen oder Rollstühlen zu diesen Bereichen, setzte sich dann ab und kam für weitere zurück.»
«Im Laufe der Jahre im Notfall und in der Arbeit mit SWAT habe ich das, was ich Angewandte Ballistik und Wundschätzung nenne, verfeinert. Das ist ein visueller CT-Scanner. Wir alle machen das als Notärzte. Sie betrachten eine Schussverletzung und schätzen die Flugbahn und die möglichen inneren Verletzungen. Dann entscheiden Sie, ob sie jetzt sterben, in ein paar Minuten oder in einer Stunde. Anstatt wertvolle Zeit für die Wiederbelebung zu verschwenden, wurden die Patienten an ihre markierten Bereiche geschickt.»
«Einige wurden in den Nacken oder in die Brust geschossen, aber sie waren noch wach und redeten mit mir. Nach 30 oder 40 Minuten hatte ich die kränkste Gruppe von Patienten, die ich je gesehen hatte, untersucht. Rund 150 Patienten waren in die Notaufnahme gekommen. Ich zog fünf oder sechs Leute aus Streifenwagen, Pickups, Krankenwagen, usw. raus.»
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«Zu diesem Zeitpunkt kam eine Krankenschwester in die Ambulanzstation und rief: ‹Menes! Du musst reingehen! Wir kommen nicht mehr nach.› Und so habe ich die Triage einer Krankenschwester übergeben. Das Lehrbuch besagt, dass die Vorselektion von dem erfahrensten Arzt durchgeführt werden sollte, aber was sollten wir dann noch tun?»
«Ich erinnere mich, dass zwei Mädchen in den Hals geschossen wurden, beide hatten expandierende Hämatome. Ich habe beide intubiert.»
«Als die neuen Ärzte aus der Notaufnahme eintrafen, informierte ich sie über die Abläufe und sagte ihnen: ‹Du bist ein Hai›. Ich wollte, dass sie die sterbenden Patienten im Meer der Patienten finden, die noch da sind. Innerhalb weniger Stunden kamen Hunderte von Ärzten, Krankenschwestern und Krankenpflegern ins Krankenhaus, um zu helfen.»
«Um diese Zeit herum war meine letzte grosse Reanimation, eine Frau mittleren Alters mit einer Schusswunde an der seitlichen rechten Brust. Ich habe erst kürzlich gehört, dass sie überlebt hat und entlassen wurde.»
«Es war gegen vier Uhr, als ich anfing, einen CAT-Scan-Bericht anzuschauen. Ich habe versucht, es zu lesen, aber ich glaube, ich habe jeden Neurotransmitter in dieser Nacht verbrannt. Ich erinnere mich daran, dass ich es angesehen habe und kein einziges Wort verstanden habe, das da drauf stand. Zu diesem Zeitpunkt wusste ich, dass ich für die Patienten gefährlicher war als hilfreich. Zu diesem Zeitpunkt waren bereits viele weitere Ärzte angekommen, also übergab ich ihnen die Arbeit.»
Bild: AP/Las Vegas Review-Journal
«Am Ende hatten wir offiziell 215 Verletzte mit Schusswunden, aber die tatsächliche Zahl ist viel höher. Als ich in der Notaufnahme nach Blut suchte, hörte ich die Patienten mit grünen Schildern sagen: ‹Weisst du was? Mir geht es nicht so schlecht, ich werde schon wieder.› Im Laufe der Zeit gingen sie raus, ohne registriert zu werden. Die wahre Zahl der Patienten war weit über 250.»
«Das OP-Team hat eine beispiellose Leistung vollbracht. Die Zahlen sprechen für sich selbst. In sechs Stunden haben sie 28 ‹Damage-Control›-Operationen und 67 Operationen in den ersten 24 Stunden durchgeführt. Wir hatten gegen 5 Uhr morgens fast alle 215 Patienten disponiert, nur etwas mehr als sieben Stunden nach Beginn der Tortur. Das sind etwa 30 Personen mit Schussverletzungen pro Stunde. Ich konnte nicht glauben, dass wir so viele Menschen in so kurzer Zeit gerettet haben. Es ist ein Beweis dafür, wie erstaunlich gut das Krankenhausteam in dieser Nacht zusammengearbeitet hat. Wir haben alles getan, was wir konnten.»
(rst/cma)
«Die Waffenlobby hat Ihre Eier in einer Geldscheinklammer»
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Die beliebtesten Kommentare
Jake Peralta
14.11.2017 19:56registriert Dezember 2014
Immer wieder aussergewöhnlich, was Ärzte, Feuerwehrmänner, Polizisten usw. in solchen Extremsituationen leisten (können)!
Genialer Arzt wirklich. Dieses Interview erinnerte mich gleich an den Film Pearl Harbour. Als einige Schwestern nach draussen geschickt wurden und mit Lippenstift die verwundeten Soldaten einteilte, wie es der Arzt mit den Sälen gemacht hatte. Hut ab vor solchen Personen, ich wäre da wohl Mental zu instabil und würde mehr Schaden als helfen.
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