Betsy McClure ist dem Präsidenten äusserst dankbar. Die 60-Jährige sagt: Ohne Donald Trump im Weissen Haus wäre ihr Sohn nun arbeitslos - ist ihr Spross doch im Kohlebergbau tätig, einem Wirtschaftszweig, der nur dank dem Präsidenten überlebt habe. Auch deshalb wird McClure bei der anstehenden Wahl erneut für Trump stimmen.
Eine Machtübernahme der Demokraten würde das Ende der Energiebranche bedeuten, die in dieser Ecke von Pennsylvania floriere, sagt McClure am Rande einer Wahlkampfveranstaltung der Republikaner im Dorf Freedom. Denn die Demokraten, so sei es im Parteiprogramm nachzulesen, wollten fossile Brennstoffe abschaffen. Mit ernster Miene sagt sie:
Diese Aussage entspricht nicht der ganzen Wahrheit. So strebt der demokratische Präsidentschaftskandidat Joe Biden bis im Jahr 2050 zwar eine klimaneutrale Wirtschaft an, von einem Verbot von Benzin oder Erdgas steht allerdings in seinem Wahlkampfprogramm nichts. So wie McClure denken aber im Umland der Stadt Pittsburgh viele Menschen. Auch deshalb wird der ehemalige Bauunternehmer Trump in Dörfern wie Freedom von Arbeitern vergöttert.
Ein breitschultriger Mann, der seinen Namen nicht nennen will, sagt: Er habe bereits unter dem demokratischen Präsidenten Barack Obama in der Gasförderung gearbeitet. «Ich weiss, wie schwierig es damals für unsere Branche war.» Trump und seiner Regierung sei es zu verdanken, dass Energieunternehmen grössere Freiräume bekommen hätten. Dies habe zu mehr Investitionen und zusätzlichen Arbeitsplätzen geführt, sagt er, während er mit seinem Schutzhelm spielt, den er mit sich trägt.
Trump, ergänzt der Ingenieur Richard Parnell, «setzt sich dafür ein, dass in Amerika gute Jobs geschaffen werden». Die Interessen multinationaler Konglomerate, die stets Jobs nach China oder Mexiko auslagern wollten, seien dem Präsidenten egal, sagt Parnell, der ein patriotisches T-Shirt trägt.
Allein mit Statistiken über die Wirtschaftslage vor dem Ausbruch der Pandemie lässt sich die Popularität, die Präsident Trump im ländlichen Pennsylvania geniesst, aber nicht erklären. Zwar stimmt es, dass sich der Republikaner im Weissen Haus für die Energiewirtschaft und die energieintensive Stahlindustrie stark macht - und damit gerade im Grossraum Pittsburgh, bis in die frühen Achtzigerjahre das florierende Zentrum der amerikanischen Schwerindustrie, auch an die Nostalgie appelliert («Make America Great Again»).
In den ersten drei Jahren seiner Präsidentschaft, von Januar 2017 bis Januar 2020, erhöhte sich die Zahl der Jobs im Bergbau und in der Erdgasförderung im Ostküsten-Staat aber nur um 3000. Zum Vergleich: Im gleichen Zeitraum legte der Tourismus-Sektor in Pennsylvania um 22'000 Beschäftigte zu.
Tim Carney, Kolumnist der konservativen Publikation «Washington Examiner», weist im Gespräch darauf hin, dass seit Amtsantritt Trumps die Löhne der Industriearbeiter und Handwerker gestiegen seien, erstmals seit dem Ende der Finanzkrise. Auch Carney, der im vorigen Jahr ein lesenswertes Buch über die Krise des ländlichen Amerikas publizierte, begründet die Popularität Trumps aber in erster Linie mit «kulturellen Aspekten».
So schätzten Amerikas Arbeiter, ganz egal welche Hautfarbe sie hätten, die direkte Sprache des Präsidenten. Sie fänden es begrüssenswert, dass Trump sie nach seiner Amtseinführung nicht vergessen habe, sagt Carney. In der Tat erinnert der Republikaner während seinen Auftritten das Publikum gerne daran, dass er versprochen habe, sich für den sprichwörtlichen «Vergessenen Mann» («Forgotten Man») einzusetzen - für diejenigen Menschen also, die in den Augen Trumps von der Elite in der Hauptstadt häufig übersehen würden.
Im Bundesstaat Pennsylvania, in dem Trump im November 2016 mit einem Vorsprung von 0.73 Prozentpunkte (oder umgerechnet 44'292 Stimmen) vor Hillary Clinton gewann, sind diese angeblich vergessenen Frauen und Männer besonders häufig anzutreffen. Das hat mit dem brutalen Strukturwandel zu tun, den dieser Staat in den vergangenen Jahrzehnten durchmachte, und unter dem vor allem die Arbeiterschaft in Städten wie Wilkes-Barre, Erie oder Johnstown litt.
Auch im Umland von Pittsburgh sind die Narben dieser Transformation noch nicht verheilt: Riesige Industriebranchen am Ohio River erinnern immer noch an die Dominanz der Schwerindustrie. Und in den Hügeln hoch über dem Fluss, einst eine bevorzugte Wohnlage, zeugen geschlossene Schulen und verriegelte Ladengeschäfte davon, dass die Bevölkerung gewisser Landstriche in Pennsylvania seit Jahren schrumpft. Auf einem Parkplatz einer geschlossenen Primarschule in der Nähe von Freedom sagt ein Einheimischer achselzuckend: «Sobald die Kinder erwachsen sind, zügeln sie in die Stadt - die wenigsten wollen hier noch eine Familie gründen.»
Kenan Fikri, der für die Washingtoner Denkfabrik Economic Innovation Group arbeitet, spricht in diesem Zusammenhang von einer Trennung Pennsylvanias in zwei Lager. Auf der einen Seite befänden sich prosperierende Grossstädte wie Philadelphia und Pittsburgh, in denen die Dienstleistungsbranche die Konjunktur antreibt. Hier geben die Demokraten den Ton an.
Auf der anderen Seite stehen die ländlicheren Bezirke und die ehemaligen Industrie-Hochburgen, in denen die Gas- und Kohleindustrie immer noch eine wichtige Rolle spielt. Hier befinden sich die Hochburgen Trumps, auch weil ihm die Herzen vieler Gewerkschafter zufliegen.
Eines dieser ländlichen Bezirke ist Beaver County, zu dem auch das Dorf Freedom gehört. Der Blick auf die Wahlstatistik zeigt: Trump gewann hier vor vier Jahren 58 Prozent der Stimmen im Duell mit der Demokratin Hillary Clinton. Und obwohl sein aktueller Gegner wenig gemein hat mit der ehemaligen First Lady, weil Biden sich als Vertreter des einfachen Volkes gibt, wird der Präsident im November in Beaver County erneut abräumen. Zumindest hier ist eine Mehrheit der Wähler der Meinung, nur Trump könne sie vom Vergessen bewahren. (aargauerzeitung.ch)
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