Am Dienstag sprach der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj erstmals persönlich vor der UN-Vollversammlung in New York. Auch Joe Biden und Olaf Scholz hielten eine Rede. Das sind die wichtigsten Äusserungen:
Selenskyj hat Russlands Krieg gegen sein Land vor der UN-Vollversammlung als Angriff auf die gesamte Welt dargestellt. «Es geht nicht nur um die Ukraine», sagte der mit einem olivgrünen Polohemd im militärischen Stil bekleidete Staatschef bei der UN-Generaldebatte New York am Dienstag. «Wenn Hass als Waffe gegen eine Nation eingesetzt wird, dann hört es nie damit auf», mahnte er.
Teile von Moldau und Georgien seien besetzt, Russland habe sich Belarus fast einverleibt, bedrohe Kasachstan, die baltischen Staaten – und die internationale Ordnung. Es war Selenskyjs erster persönlicher Auftritt vor den Vereinten Nationen seit Kriegsbeginn.
Auch US-Präsident Joe Biden rief die Weltgemeinschaft angesichts zunehmender Kriegsmüdigkeit auf, Kiew im Abwehrkampf gegen Russland beizustehen – zum eigenen Schutz. «Die Welt muss der nackten Aggression heute entgegentreten, um andere potenzielle Aggressoren von morgen abzuschrecken», mahnte Biden. Er beschwor den Zusammenhalt der 193 UN-Mitgliedsländer. «Wenn wir zulassen, dass die Ukraine zerstückelt wird, ist dann die Unabhängigkeit irgendeiner Nation sicher? Die Antwort ist Nein.» Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) stellte sich in seiner Rede hinter die internationalen Bemühungen um Frieden in der Ukraine.
Selenskyj wurde mit lautem Applaus vom grössten UN-Gremium begrüsst und sprach auf Englisch. «Viele Sitze in der Halle der Generalversammlung könnten leer werden, wenn Russland mit seinem Verrat und seiner Aggression Erfolg hat», warnte er. Der russische Aussenminister Sergej Lawrow liess sich im Saal von seinem Vize-UN-Botschafter Dmitri Poljanski vertreten, der als politischer Hardliner gilt.
Der ukrainische Präsident sagte an die Adresse der UN-Mitglieder, Moskau greife sein Land nicht nur militärisch an, sondern nutze auch andere Instrumente als Waffen. «Diese Dinge werden nicht nur gegen unser Land eingesetzt, sondern auch gegen Ihres.» Als Beispiel nannte er gestiegene Lebensmittelpreise wegen der russischen Blockade von Getreideexporten. «Die Auswirkungen erstrecken sich von der Atlantikküste Afrikas bis nach Südostasien.» Ebenso nutze Moskau Energie als Waffe, um Regierungen anderer Länder zu schwächen. Selenskyj rief zur gemeinsam Abwehr der Gefahr durch Russland auf: «Wir müssen das stoppen.»
Das grösste diplomatische Treffen der Welt fällt in eine Zeit, in der der Ukraine-Krieg schon seit mehr als eineinhalb Jahren andauert. In manchen Teilen der Welt setzt allmählich Ermüdung ein, was die Unterstützung für Kiew angeht. Biden warnte davor, sich dem hinzugeben. «Russland glaubt, dass die Welt müde wird und es ihm erlaubt, die Ukraine ohne Konsequenzen brutal zu behandeln.» Wenn internationale Grundprinzipien aber aufgegeben würden, «um einen Aggressor zu beschwichtigen, kann sich dann irgendein Mitgliedstaat sicher fühlen, dass er geschützt ist?» Auch der polnische Präsident Andrzej Duda warnte mit Blick auf den Krieg im Nachbarland:
Selenskyj sagte weiter, sein Land habe Beweise, dass Hunderttausende Kinder von Russland aus besetzten Gebieten der Ukraine verschleppt worden seien. Im Hinblick auf die nukleare Bedrohung durch Moskau sagte er: «Terroristen haben kein Recht, Atomwaffen zu besitzen.»
Der 45-Jährige nahm zum ersten Mal seit dem Beginn des russischen Angriffskrieges gegen sein Land im Februar 2022 persönlich an der UN-Generaldebatte in New York teil. Im vergangenen Jahr hatte er sich per Videoansprache an die Vereinten Nationen gewandt. Direkt nach seiner Ankunft mit seiner Ehefrau Olena Selenska am Montag hatte er ein Krankenhaus im New Yorker Stadtteil Staten Island besucht, in dem verwundete ukrainische Soldaten behandelt werden.
Selenskyj hatte zuletzt bereits an Gipfeln der G7, Nato und EU teilgenommen. Die UN-Vollversammlung aber bietet die grösste Bühne und eine Chance für den Ukrainer, skeptische Länder zu überzeugen.
Am Dienstag traf der Ukrainer deswegen bereits die die einflussreichen Präsidenten William Ruto aus Kenia und Cyril Ramaphosa aus Südafrika zu privaten Gesprächen. Ramaphosa war im Juli auf Einladung des russischen Präsidenten Wladimir Putin zu einem Afrika-Gipfel in St. Petersburg eingeladen gewesen.
Viele Staaten vor allem in Lateinamerika, Afrika und Asien wünschen sich grösseres Augenmerk auf ihre Probleme und auf das eigentlich angepeilte Hauptthema der UN-Woche: neue Zusammenarbeit auf Augenhöhe zwischen Industrie- und Entwicklungsländern.
Selenskyj und der Ukraine-Krieg werden aber auch in den nächsten Tagen das diplomatische Treffen in New York dominieren. Am Mittwoch soll das mächtigste UN-Gremium tagen, der 15-köpfige Sicherheitsrat. Dort könnte der ukrainische Präsident erstmals seit dem Einmarsch Russlands auf Lawrow treffen. Selenskyj muss auch dort angesichts des Kriegsverdrusses erklären, warum er Gespräche mit Russland momentan ablehnt. Von New York aus will Selenskyj nach Washington weiterreisen, wo er am Donnerstag Termine hat.
Kanzler Scholz unterstützte am Dienstagabend (Ortszeit) in der UN-Generaldebatte laut vorab veröffentlichtem Manuskript die internationalen Bemühungen um Frieden in der Ukraine. «Zugleich müssen wir uns vor Schein-Lösungen hüten, die »Frieden« lediglich im Namen tragen», mahnte er. «Denn: Frieden ohne Freiheit heisst Unterdrückung. Frieden ohne Gerechtigkeit nennt man Diktat. Das muss nun endlich auch in Moskau verstanden werden.» (lak/sda/dpa)
Andrzej Duda
Genau DAS wird in der Schweiz nicht verstanden. Es geht darum, Putin zu zeigen, bis hierher und nicht weiter. Hier Neutraliät zu spielen, ist eine komplette Fehlüberlegung.