Eine Geiselnahme in einer Synagoge hat am Samstag eine Stadt im US-Bundesstaat Texas in Atem gehalten. Nach stundenlangen Verhandlungen mit dem Geiselnehmer drangen Spezialkräfte am Samstagabend (Ortszeit) in die Synagoge ein und befreiten die Geiseln, wie die Polizei in der Stadt Colleyville nahe Dallas mitteilte. Der Täter – laut Polizei ein 44 Jahre alter Brite – kam ums Leben. Wie genau, das liess die Polizei offen. Auch zu den Hintergründen hielten sich die Behörden zunächst bedeckt. US-Präsident Joe Biden sprach von einem «Terrorakt».
US-Medien berichteten unter Berufung auf Ermittlerkreise, der Geiselnehmer habe eine in Texas inhaftierte pakistanische Wissenschaftlerin freipressen wollen, die 2010 wegen versuchten Mordes an US-Soldaten in Afghanistan verurteilt wurde.
Der Mann, den die Polizei als Malik Faisal A. identifizierte, hatte vormittags während eines Gottesdienstes in der Synagoge der 26'000-Einwohner-Stadt vier Geiseln genommen und sich über Stunden mit ihnen verschanzt. Unter ihnen war der Rabbi.
Der Gottesdienst wurde auf der Facebook-Seite der Gemeinde live übertragen. Die lokale Zeitung «Fort Worth Star Telegram» berichtete, in dem Livestream sei die Stimme eines wütenden Mannes zu hören gewesen, der geschimpft und geflucht und unter anderem über Religion gesprochen habe. Er habe mehrmals gesagt, er wolle niemandem weh tun, und er glaube, dass er sterben werde. Irgendwann brach die Übertragung ab.
At the scene in Colleyville where a local synagogue is being held hostage. The Congregation Beth Israel, located at 6100 Pleasant Run Rd., was in the middle of a service when a gunman entered. A livestream of the service remains ongoing during the situation. pic.twitter.com/dC5d6HKTLQ
— Jessika Harkay (@JessikaHarkay) January 15, 2022
Die Polizei war mit einem Grossaufgebot von etwa 200 Beamten im Einsatz. Experten der Bundespolizei FBI hielten den Tag über mit dem Geiselnehmer Kontakt und verhandelten mit ihm. Am frühen Abend kam die erste Entwarnung: eine männliche Geisel wurde freigelassen. Ein paar Stunden später kamen auch die restlichen drei Geiseln frei.
US-Präsident Biden sagte am Sonntag am Rande eines Termins in Philadelphia: «Das war ein Terrorakt.» Man gehe derzeit davon aus, dass der Geiselnehmer seine Waffen auf der Strasse gekauft habe. Bomben habe er, anders als von ihm selbst dargestellt, wohl nicht bei sich gehabt. Der Mann habe ausserdem eine Nacht in einer Obdachlosenunterkunft verbracht. Biden betonte, er kenne noch nicht alle Details und könne daher keine genaueren Angaben machen. Der Präsident versprach aber, er wolle in einer für Mittwoch regulär angesetzten Pressekonferenz mehr zu dem Fall sagen.
Der zuständige FBI-Beamte Matt DeSarno sagte, alle vier Geiseln seien wohlauf und unverletzt. Der Geiselnehmer sei identifiziert. Angesichts der laufenden Ermittlungen könne die Polizei aber keine näheren Angaben zu ihm machen. Umfangreiche Nachforschungen mit Blick auf sein Motiv und mögliche Kontakte seien im Gang. «Unsere Ermittlungen werden globale Reichweite haben», betonte DeSarno. Nach bisherigen Erkenntnissen sei der Geiselnehmer auf ein Thema fokussiert gewesen, das nicht speziell die jüdische Gemeinschaft betreffe. Der Polizeichef von Colleyville, Michael Miller, sagte, es sei bislang unklar, warum der Mann die örtliche Synagoge als Ziel ausgewählt habe.
Mehrere US-Medien, darunter die «Washington Post» und der Sender CNN, berichteten unter Berufung auf Ermittlerkreise, der Mann habe die Freilassung der pakistanischen Wissenschaftlerin Aafia Siddiqui aus einem nahe gelegenen Gefängnis in Texas erreichen wollen.
Siddiqui wurde im Juli 2008 im afghanischen Ghasni festgenommen und 2010 wegen eines Angriffs auf US-Soldaten in Afghanistan von einem US-Bundesrichter zu 86 Jahren Haft verurteilt. Beim Verhör auf einer Polizeiwache hatte sie eine am Boden liegende Waffe an sich genommen und auf einen US-Soldaten und einen Übersetzer gezielt, ohne diese zu treffen. Siddiqui war zuvor in einer der Top-Universitäten der USA, dem MIT in Cambridge, ausgebildet worden. Später wurde ihr Name von US-Behörden auf eine Liste von Verdächtigen gesetzt, die mit Al-Kaida-Terroristen in Verbindung stehen könnten.
Der israelische Ministerpräsident Naftali Bennett äusserte sich nach der Befreiung in einem Tweet erleichtert und dankbar. «Dieser Vorfall hat uns deutlich vor Augen geführt, dass Antisemitismus noch lebendig ist, und dass wir ihn weltweit weiter bekämpfen müssen.»
Behörden in anderen US-Städten, unter anderem in New York und Los Angeles, teilten mit, angesichts der Lage in Colleyville hätten sie ihre Präsenz an Synagogen und anderen jüdischen Einrichtungen aus Vorsicht vorerst verstärkt. Biden betonte als Botschaft an jüdische Gemeinden im Land, solche Taten würden nicht toleriert. (saw/sda/dpa)
Ich habe es so satt, sowas zu hören, Gebete hatten damit nichts zu tun!