«Ob schwarz oder weiss, hauptsächlich die Katze fängt Mäuse», lautet die legendäre Devise von Deng Xiaopeng, dem Vater des chinesischen Wirtschaftswunders. Danach handelten Kommunisten und Kapitalisten im Reich der Mitte jahrzehntelang. Trotz gegensätzlicher Ideologien liefen die Geschäfte blendend. In der Wirtschaftspresse machte gar der Begriff «Chinamerica» die Runde. Er sollte eine Art symbiotisches Verhältnis der beiden Supermächte ausdrücken.
Selbst die zunehmenden Spannungen zwischen den USA und China änderten daran zunächst nichts. «BlackRock, JP Morgan, Goldman Sachs, HSBC, Vanguard und Schroders, sie alle stürmten in die chinesischen Finanzmärkte», stellen Dennis Kwok und Johnny Patterson im «Wall Street Journal» fest. «BlackRock hat noch im vergangenen Monat die Investoren dazu aufgerufen, ihre Engagements in China zu verdreifachen.»
Nicht nur die ganz Grossen, auch die Kleinen sprangen mit Gusto in die trüben Wasser der chinesischen Finanzmärkte. Sie konnten gar nicht anders. «Jahrelang spürten wir den Druck, dass praktisch alle de facto gezwungen waren, in China präsent zu sein», sagt George Ball, Vorsitzender des Vermögensverwalters Sander Morris Harris.
Dabei sind die Warnungen vor einem kommenden Gewitter seit langem zu beobachten. Im vergangenen November wurde Jack Mas Ant Group im letzten Moment an einem Börsengang gehindert. Im Laufe dieses Jahres gingen an den Börsen von Hongkong hunderte von Milliarden Dollar flöten, weil die Kommunistische Partei Chinas Alibaba, Tencent & Co. an die Kandare nahm. Gleichzeitig waren von der Parteispitze immer barschere Worte gegen die Superreichen zu hören.
Mit dem De-facto-Bankrott des Immobilienriesen Evergrande scheint nun ein Umdenken einzusetzen. Allgemein wird davon ausgegangen, dass die ausländischen Investoren – darunter offenbar auch die UBS – ihr Geld abschreiben müssen.
Lange waren Investitionen in den chinesischen Immobilienmarkt sehr profitabel. Nun sind sie toxisch geworden. «Wir können eine wichtige Veränderung beobachten, wie China seine Wirtschaft und seine Märkte organisiert», stellt Keith Lerner vom Vermögensverwalter Trust Advisory Services im «Wall Street Journal» fest.
Doch auch bei uns hat das Wetter umgeschlagen. In den kommenden Jahren werden an westlichen Aktienmärkten kotierte chinesische Unternehmen wahrscheinlich gezwungen sein, sich wieder zurückzuziehen.
Stellvertretend für das neue Klima ist der kürzlich geplatzte Deal zwischen der amerikanischen Investmentfirma BlackStone (nicht zu verwechseln mit BlackRock) und dem chinesischen Immobilien-Unternehmen SohoChina. Der CEO von BlackStone, Stephen Schwarzman, gilt als einer der gewieftesten China-Kenner. Für rund drei Milliarden Dollar wollte er kürzlich die Immobilien von SohoChina in Shanghai übernehmen.
Der Deal schien bereits in trockenen Tüchern zu sein. Dann kam das Njet aus Peking. Die Parteileitung befürchtete, dass sich die Eigentümer der Immobilienfirma, das Ehepaar Pan Shiyi und Zhang Xin, mit dem Geld in die USA absetzen wollten, und legte ihr Veto ein.
Der geplatzte BlackStone-Deal hat eine ernüchternde Wirkung auf die westliche Investorengemeinde ausgeübt. Schwarzman gehöre «zu den einflussreichsten Dealmakers in China, und selbst er konnte keine Genehmigung erreichen», klagt Brock Silver von der Private-Equity-Firma Taiyuan gegenüber der «Financial Times».
Wie sieht dies aus chinesischer Sicht aus? Xi Jinping will sich am kommenden Parteitag zum Präsidenten auf Lebenszeit küren lassen. Er profiliert sich neuerdings als eine Art Wiedergeburt von Mao Tse-tung, dem legendären Führer der KPC und Begründer der kommunistischen Volksrepublik. Offenbar will Xi mit einem energischen Vorgehen gegen Milliardäre die Massen für sich einnehmen.
Wirtschaftlich spielt Xi jedoch riskant. Evergrande ist kein Einzelfall. Es wird geschätzt, dass es in chinesischen Städten einen Überschuss von gegen 90 Millionen Wohnungen gibt. Weitere Immobilienfirmen könnten daher ebenfalls ins Wanken kommen. Rettet Peking also Evergrande, könnten bald auch andere anklopfen und Hilfe verlangen.
Der Immobilienmarkt macht rund 20 Prozent des chinesischen Bruttoinlandprodukts aus, ist somit ein zentraler Pfeiler der Volkswirtschaft und ein wichtiger Faktor auf dem Arbeitsmarkt. Der Fall Evergrande macht nur überdeutlich, dass die Ära des Bauens um jeden Preis wohl abgelaufen ist. China braucht strukturelle Veränderungen seines Arbeitsmarktes. Doch Millionen von Bauarbeitern zu Software-Ingenieuren und Alterspflegern umzuschulen, ist nicht ganz einfach.
Die aktuellen Ereignisse verunsichern die meisten westlichen Investoren, aber nicht alle. Jim Chanos, Chef des Investmentfonds Kynikos, hat sein Engagement in China in den letzten Tagen verdoppelt. Chanos ist ein sogenannter Short-Seller, will heissen: Er setzt darauf, dass die Aktienkurse fallen. Vor rund 20 Jahren hat er sich damit beim Fall Enron dumm und dämlich verdient. Gut möglich, dass ihm dies erneut gelingt.
Wer sich dort exponiert, investiert nicht. Er spielt. Mit dem Feuer. Egal ob long oder short.