Verkürzt und vereinfacht lautet die Philosophie hinter den Kryptowährungen wie folgt: Dank der Blockchain-Technologie werden Banken und vor allem Zentralbanken für den Zahlungsverkehr überflüssig. Alle Menschen können über alle Grenzen hinweg direkt und anonym Geld austauschen, der Staat hat sich gefälligst nicht einzumischen.
Diese Philosophie widerspricht diametral dem Stück, das derzeit auf der geopolitischen Bühne gespielt wird. Der Westen hat gegenüber Russland die «nukleare Option» ausgespielt, wie sich der renommierte Wirtschaftshistoriker Adam Tooze in der «New York Times» ausdrückt. Die wichtigsten russischen Banken wurden von Swift, dem globalen WhatsApp der Finanzwelt, verbannt. Die Devisen der russischen Zentralbank sind eingefroren worden.
Dieses bisher einmalige Ereignis zeigt Wirkung. Der Rubel sackt ab und die Börsen in Moskau stellen den Handel ein. Über Nacht ist Russland nicht nur ein Paria der Weltgemeinde geworden, vergleichbar mit Nordkorea, Iran und Belarus. Putin und seinen Oligarchen sind die gängigen finanziellen Wege zugesperrt worden. Der Winterurlaub in St. Moritz fällt definitiv ins Wasser.
Was aber ist mit den Kryptos? Beide, Russland und die Ukraine sind Hochburgen von Bitcoin & Co. In Russland gibt es gemäss einem offiziellen Report rund zwölf Millionen Wallets, wo insgesamt rund 24 Milliarden Dollar gehortet werden. Die entsprechenden Zahlen in der Ukraine sind nicht bekannt. Die ukrainische Regierung hat am Samstag zu Spenden an eine Bitcoin-Adresse aufgerufen.
Der Kurs von Bitcoin & Co. hat denn auch auf den Krieg in der Ukraine reagiert, und zwar heftig. Die Verluste vom Februar sind wettgemacht worden. Derzeit bewegt sich der Bitcoin-Kurs wieder im Bereich von 40’000 Franken. Angesichts des Kollapses des Rubels und der unsicheren Zukunft der Hrywnja, der ukrainischen Währung, hat sich die These von Bitcoin als «digitales Gold» bewahrheitet, zumindest kurzfristig.
«Kryptowährungen entwickeln sich im laufenden Ukraine-Krieg auf beiden Seiten zu einem ernstzunehmenden finanziellen Faktor», stellt daher die «NZZ» fest. Ob sie allerdings Putin helfen werden, die westliche Finanzblockade zu durchbrechen, ist unwahrscheinlich. Und das sind die Gründe:
Die meisten Krypto-Börsen folgen diesem Aufruf, wenn auch zähneknirschend. Einige wenige jedoch legen sich quer. So erklärte etwa ein Sprecher von Binance, einer der grössten Krypto-Börsen: «Einseitig Menschen den Zugang zu ihren Kryptos verwehren, widerspricht diametral den Gründen, weshalb es sie gibt.» Okx, eine auf den Seychellen domizilierte Krypto-Börse erklärte gar rundweg, sie hätten keinerlei Pläne, russische Konten zu sperren.
Diese Haltung werden sie kaum lange durchhalten können. Zentralbanken und Regierungen werden keine digitalen Schlupflöcher zulassen. «Die Regierungen werden das Regulieren der Kryptos als zunehmend dringende Sache betrachten», sagt Paul Donovan, Chefökonom des UBS Global Wealth Managements gegenüber der «Financial Times».
Der kurzfristige Höhenflug könnte sich daher für die Kryptos langfristig als Bumerang erweisen. Sollte es Russland gelingen, auch nur in beschränktem Masse die Finanzblockade mit Bitcoins auszutricksen, dann haben sie ein riesiges Imageproblem. Nicht nur Mafia und Waffenhändler werden dann mit ihnen in Verbindung gebracht, sondern auch der Schlächter Wladimir Putin. Zudem werden Staat und Zentralbanken alles unternehmen, um die Kryptos an die Leine nehmen und damit ihre Raison d’être infrage zu stellen.
Selbst die raffinierteste Technologie kann den Kryptos letztlich nicht helfen, ihren Grundwiderspruch zu überwinden: In einer Welt, die wieder in verschiedene Machtblöcke zerfällt, in der die Schotten auf allen Ebenen dicht gemacht werden, ist eine globale Währung, die keine Grenzen kennt, irgendwie fehl am Platz.