Dass der schottische Bierbrauer James Watt kein Gespür für Sensibilitäten hat, bewies er im Sommer 2010. Er nahm totgefahrene Tiere, liess sie ausstopfen und verkaufte sie samt einer limitierten Ausgabe eines Bieres mit 55 Prozent Alkoholgehalt. Die Flaschen seiner Brauerei BrewDog, die in toten Eichhörnchen steckten, kosteten ca. 1200, die Flaschen in toten Hermelinen ca. 800 Franken. Titel der Aktion: «The End of History». Natürlich waren die Flaschen sofort ausverkauft.
Die einigermassen bekokst klingende Erklärung von Watt lautete: «Die Wirkung von ‹The End of History› ist eine perfekte konzeptionelle Verbindung zwischen Kunst, Taxidermie und handwerklichem Brauen. Die Flaschen sind schön und verstörend zugleich – sie brechen mit Konventionen und Tabus, genau wie das Bier, das sie enthalten. Und der Name? Er leitet sich von dem berühmten Werk des Philosophen Francis Fukuyama ab – was bedeutet, dass ‹The End of History› für Bier das ist, was Demokratie für die Geschichte ist.» Tierschutzorganisationen sahen das anders.
Die Aktion mit den Tieren war nur eine von vielen absichtlich provozierenden Marketing-Massnahmen der 2007 im schottischen Hafenstädtchen Fraserburgh gegründeten Craft-Beer-Brauerei für Hipster mit Punk-Attitüde. Und jetzt ist Watt ein MeToo-Fall.
Als Watt und sein bester Freund Martin Dickie aus Schulzeiten mit 24 Jahren BrewDog gründeten, war der Fischersohn Watt gerade dabei, seine angehende Anwaltskarriere zugunsten einer Ausbildung zum professionellen Fischer aufzugeben. Das Hobby der Jungs war Biertrinken. Was lag da näher, als eine eigene kleine Brauerei zu gründen?
BrewDog wurde im Nu zum schottischen Erfolgsunternehmen, die beiden gewannen Preise, gründeten eine Bar-Kette und expandierten, nach Europa (bei uns ist BrewDog im Coop erhältlich), 2016 auch nach Amerika, 2000 Menschen arbeiten heute für das Unternehmen. Watt nahm im Buckingham Palast einen Orden für seine Verdienste um die Brauindustrie entgegen. Das Geld für Expansionen holten sich die beiden vorwiegend über Crowdfundings, die den bromantischen Geist der Brew-Dog-«Punks» beschworen.
Am 9. Juni 2021 veröffentlichten gut 300 ehemalige Angestellte unter dem Namen «Punks With Purpose» einen offenen Brief an BrewDog. Sie warfen Watt und seinem Partner «Lügen, Heuchelei und Betrug» vor, dazu Eitelkeit, Dekadenz, Überheblichkeit und Unmenschlichkeit. Die Versprechen der Firma – egal ob im Marketing oder im Arbeitsverhältnis – seien geradezu «postfaktisch», das Klima der Angst so gross, dass viele psychische Verletzungen davongetragen hätten. Von allem war die Rede, bloss von einem nicht, nämlich sexuellem Fehlverhalten.
An open letter, to BrewDog. pic.twitter.com/xEd3B83qot
— Punks With Purpose (@PunksWPurpose) June 9, 2021
Watt, dessen Motto lautet: «Vernunft ist der häufigste Weg zur Mittelmässigkeit», gab sich einsichtig und schuldbewusst und übernahm für alle Vorwürfe «zu 100 Prozent» die Verantwortung. Doch jetzt hat das BBC-Format «Disclosure» neue Vorwürfe über ihn gesammelt. Sie stammen von 15 seiner ehemaligen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der BrewDog-Bars in den USA. 100 wurden von der BBC befragt, 85 von ihnen sagten nichts aus Angst vor Watt.
Dieser entpuppte sich in «Disclosure» als Schrecken seiner weiblichen Untergebenen. Stand ein Besuch von ihm an, dann warnten die Frauen einander, oft wiesen gar die Betreibenden der Bars ihre Mitarbeiterinnen an, sich aus Selbstschutz möglichst nicht aufreizend zu kleiden und zu schminken oder gaben ihnen frei. Die Möglichkeit für unangebrachtes Verhalten des Chefs, der nie zögerte, unliebsame, angeschlagene oder ausgebrannte Untergebene spontan zu entlassen, sollte gar nicht erst vorhanden sein.
In seiner amerikanischen Brauerei erschien Watt gerne spätnachts mit jungen Frauen, die stets blond, stets in ihren Zwanzigern und stets betrunken waren, um mit ihnen «private Betriebsführungen» zu machen.
Zu verschiedenen Gelegenheiten kam es auf den Terrassen seiner Bars oder dem Dach eines BrewDog-Gebäudes zu sexuellen Handlungen – vor den Augen des Personals. Die Kellnerinnen schüchterte er gerne damit ein, dass er sie minutenlang anstarrte und ihnen allgemein das Gefühl vermittelte, dass sie nichts Wert und für einen wie ihn jederzeit verfügbar und von ihm abhängig seien.
Der BBC ist es wichtig, zu betonen, dass weder von ihr noch von den Betroffenen rechtliche Anschuldigungen wegen eines kriminellen Verhaltens von James Watt erhoben wurden. Es handelt sich bei der Recherche vielmehr um das Porträt eines Arbeitgebers als multipel toxisches Arschloch. Watts Anwalt bestreitet alles, Watts selbst twitterte am Tag der Ausstrahlung:
The BBC published claims which are totally false & they published them despite the extensive evidence we provided to demonstrate that they were false.
— James Watt (@BrewDogJames) January 24, 2022
Reluctantly, I am now forced to take legal action against the BBC to protect my reputation.
«Die BBC hat Behauptungen veröffentlicht, die völlig falsch sind, und zwar trotz der umfangreichen Beweise, die wir vorgelegt haben, um zu zeigen, dass sie falsch sind. Widerwillig bin ich nun gezwungen, rechtliche Schritte gegen die BBC einzuleiten, um meinen Ruf zu schützen.»
Er hatte versucht, der BBC zuvor zu kommen, indem er einige ihrer Quellen disqualifizierte. Bei den betreffenden Personen, schrieb er, habe es sich um Entlassungen wegen Diebstahls, schlechter Performance, Trunkenheit am Arbeitsplatz, Missbrauchs und schwerer Verstösse gegen Gesundheit und Sicherheit, die andere gefährdet hätten, gehandelt.
James Watt is desperately trying to pre-empt next week's BBC exposè by yet again lying about and gaslighting the people he abused.
— Ben Duckworth (@DuckTakes) January 20, 2022
I resigned from Brewdog because James and the bar division wilfully endangerered the health of myself and my team. Please add to and RT. pic.twitter.com/m2JNiYxuaj
Der obenstehende Post stammt von einem ehemaligen Mitarbeiter, der schreibt: «Ich habe bei BrewDog gekündigt, weil James und die Bar-Abteilung die Gesundheit von mir und meinem Team vorsätzlich gefährdet haben.» Eine ehemalige Mitarbeiterin schrieb, sie sei von BrewDog entlassen worden, nachdem sie nach mehreren Tagen mit harten, ungewöhnlich langen Schichten einen Kreislaufkollaps gehabt habe.
Man nennt Watts Art der suggestiven Manipulation «Gaslighting». Ein Begriff, der seinen Namen aus George Cukors Film «Gaslight» von 1944 hat, in dem ein Heiratsschwindler versucht, Ingrid Bergman weiszumachen, dass sie wahnsinnig sei, um so an ihr Vermögen zu kommen. Es erklärt die Angst all derer, die lieber über Watt schweigen, als sich der Perfidie weiterer Angriffe und Machtdemonstrationen auszusetzen. «Punk» bedeutet für Watt einzig eine Lizenz zum zwischenmenschlich schlechten Benehmen.
Eine Reporterin der «Times», die im Lauf der Jahre immer wieder über BrewDog berichtet hatte, bezeichnet das Unternehmen als «einen grausamen, kaltherzigen Kult». Über eine Begegnung mit Watt schreibt sie: «Als ich in sein Gesicht blickte, fielen mir seine Augen auf – kalte, tote Haifischaugen.» Das ist natürlich auch höchst suggestiv, aber im Zusammenhang mit den toten Eichhörnchen und Hermelinen, die BrewDog-Flaschen im Hals stecken hatten, ist man versucht, ihr zu glauben.