Elon Musk, Jeff Bezos, Mark Zuckerberg, Sergey Brin & Co. liefern sich nicht nur geschäftlich einen Wettkampf, sie eifern auch danach, wer die grösste Jacht, die jüngste Trophy Wife oder den meisten Einfluss in Washington hat. Zuckerberg und Musk wollten gar gegeneinander boxen, Nvidia-Gründer Jensen Huang lässt sich derweil nur in einer 9000-Dollar-Krokodillederjacke blicken.
Ganz anders Liang Wenfeng. Er kleidet sich stets wie ein Bankangestellter aus der Provinz und sieht darin trotz seiner 40 Jahre aus wie ein Gymnasiast. «Er wurde noch nie auf einer Jacht mit Jeff Bezos gesehen», stellt Jo Ellison in der «Financial Times» fest. «Bei der Hochzeit von Anant Ambani hat er sich nicht unter die Milliardäre gemischt, und bei der Inauguration von Donald Trump hat er ebenfalls nicht den Pfau gemacht.»
Wenfeng ist das Anti-Programm zu den Machos aus dem Silicon Valley. Er gibt kaum Interviews. Einer seiner Geschäftspartner beschreibt ihn wie folgt: «Als wir ihn zum ersten Mal antrafen, war er ein typischer Nerd mit einer schrecklichen Frisur. Er sprach davon, ein Cluster mit 10’000 Chips zu bauen, um sein eigenes Modell zu trainieren. Wir haben ihn nicht ernst genommen. Er konnte seine Vision nicht artikulieren. Er erklärte einzig: Ich will das bauen, und es wird ein Game-Changer werden. Wir hingegen dachten, das könnte einzig Bytedance oder Alibaba gelingen.»
Wenfeng sieht nicht nur aus wie ein Banker aus der Provinz, er ist ein Provinzler. Aufgewachsen ist er in Mililing, einem kleinen Dorf im südlichen Teil der Provinz Guangdong. Seine Eltern und seine Grosseltern waren alle Lehrer. Er selbst war ein sehr guter Schüler, der dadurch auffiel, dass er in Mathematik brillierte und gerne Comic-Bücher las.
2002 wechselte er an die Universität in Zhejiang, wo er seinen Master in Computerwissenschaften abschloss. Dieses Wissen verwendete er nach Abschluss seines Studiums im Jahr 2010, um an der Börse als sogenannter Quant Geld zu verdienen. Er gründete den Hedge-Fund High-Flyer und hatte damit so viel Erfolg, dass er bald Milliardär wurde.
Seinen Lebensstil änderte er deswegen nicht. «Er hat sich von allen anderen unterschieden, weil er ein Ingenieur geblieben ist», erklärt ein Geschäftspartner. «Er denkt und handelt so. Während wir uns um unsere Fonds kümmerten, programmierte er täglich.»
Quants und Hedge-Funds sind in China bestenfalls geduldet. Dank seines Milliardenvermögens war Wenfeng jedoch in der Lage, im Jahr 2023 Deepseek zu lancieren, ohne auf die Unterstützung der Regierung angewiesen zu sein. Dabei scharte er ausschliesslich Gleichgesinnte um sich. «Die Büros von Deepseek fühlen sich an wie Forschungslabors einer Universität», sagt ein weiterer Geschäftspartner. «Das Team glaubt an Wenfengs Vision: zu beweisen, dass Chinesen kreativ sein und etwas von Grund auf neu erschaffen können.»
Ausschliesslich einheimische Talente kommen dabei zum Zug. Sein Kernteam enthalte «kein Mitglied, das in Übersee studiert hat», so der Geschäftspartner. «Es sind ausschliesslich Einheimische. Wir müssen unsere Talente selbst entwickeln.»
Mit dem Erfolg von Deepseek und dank seiner nationalen Gesinnung ist Wenfeng mittlerweile auch zum Darling der Regierung geworden. «Liang steht jetzt im Mittelpunkt des nationalen Stolzes», meldet die «Financial Times». «Er war letzte Woche der einzige KI-Leader, der an einem Treffen mit Li Qiang, Chinas Nummer zwei, teilnehmen durfte.»
Tatsächlich kommt der Erfolg des R1-Modells von Deepseek der chinesischen Führung mehr als gelegen. In einer Zeit, in der die Wirtschaft nach wie vor in einer Krise steckt und Donald Trump ihr das Leben mit Strafzöllen noch schwerer macht, ist dies ein willkommener Lichtblick. Das Klischee, wonach Chinesen nur kopieren können, ist damit Geschichte, ebenso der vermeintliche Vorsprung der Amerikaner auf dem Gebiet der künstlichen Intelligenz.
Für das Ego der Silicon-Valley-Bros hingegen ist dieser Erfolg ein schwerer Rückschlag. Ein chinesischer Provinzler stiehlt ihnen die Show mit einem KI-Modell, das nicht nur besser, sondern auch viel billiger ist. Das schmerzt – nicht nur, weil an der Tech-Börse deswegen rund eine Billion Dollar vernichtet wurde, sondern weil ganz einfach nicht sein kann, was nicht sein darf. Verzweifelt suchen daher die Bros ein Haar in der Deepseek-Suppe, bisher erfolglos.
Angesichts des Gebarens von Elon Musk & Co. haben wir uns eine Portion Schadenfreude verdient. Zudem wird der Erfolg von Deepseek uns auch als Konsumenten dereinst nützlich sein. Wenfeng hat nicht nur den aufgeblasenen Pfauen im Silicon Valley eine kalte Dusche verpasst, er hat auch das KI-Rennen neu lanciert.
«Kommunisten gegen Kapitalisten, Anzug gegen exotische Lederjacken, Open Source gegen geistiges Eigentum: Deepseek hat die Silicon-Mythologie aufgemischt», stellt Jo Ellison fest. «Liang hat die Bros am weichen Bauchteil erwischt. Und was ist sein exzentrisches Hobby? Er liebt es, Untersee-Höhlen zu erforschen.»
Dann hat Wenfeng wohl von sich aus die KI so programmiert, dass vom Tiananmen rein gar nichts abrufbar ist.
Wenn die KP sich bei Wenfeng nicht einmischt, dann nur, weil sie es (noch) nicht für nötig erachtet. Die KP ist über jeden Schritt von Wenfeng informiert.
Liang Wenfeng dagegen ist zu 100% kompatibel mit Xi Jinpings Idealen: nationalistisch, aus bescheidenen Verhältnissen stammend, zurückhaltend im Auftritt, ganz auf China setzend und EInfluss von aussen möglichst vermeidend.
Nur: DeepSeek wäre ohne Chips vom Klassenfeind nicht machbar gewesen. Und ich gehe voll davon aus, dass der Staat DeepSeek massiv geholfen hat.