International
Wirtschaft

Temu, Shein und Co. stossen die nächste Billig-Welle an

Hochpreisinsel Schweiz: Temu, Shein und Co. stossen die nächste Billig-Welle an

Die Textilverbände klagen über eine Schwemme billiger Kleider aus China. Viele inflationsgeplagte Konsumenten freut es.
16.10.2025, 10:14
Niklaus Vontobel / ch media

«Die chinesischen Unternehmen verhalten sich in Europa sehr aggressiv, um ihre Ware verkaufen zu können», klagt ein Sprecher des europäischen Textilverbandes Euratex gegenüber der «Financial Times». Der Grund ist für den Verbandssprecher klar: «Sie können ihre Kleider nicht mehr in den USA verkaufen».

Donald Trumps rekordhohe Zölle leiten die chinesischen Kleiderexporte um. Im ersten Halbjahr 2025 seien Chinas Kleider-Exporte in die EU um 20 Prozent gestiegen, vor allem jene von billiger Ware. Schon 2024 gelangte eine Welle von Paketen nach Europa, vor allem aus Asien: 4,6 Milliarden Pakete.

Konsumenten-Freude, Konkurrenten-Ärger: Auspacken einer Online-Bestellungen
Konsumenten-Freude, Konkurrenten-Ärger: Auspacken einer Online-Bestellungen bild: imago

Die Schweiz erlebt ihre eigene Welle. 2025 sind im zweiten Quartal nochmals viel mehr chinesische Kleider ins Land gekommen als im Vorjahresquartal: Die Anzahl Kleider erhöhte sich um rund 29 Prozent, wie Peter Flückiger vom Verband Swiss Textiles sagt. Schon von 2021 bis 2024 sei der Fashion-Umsatz der chinesischen Online-Händler Temu, Shein und Ali-Express «explodiert». Von 2021 bis 2024 ging es von fast Null hoch auf 600 Millionen Franken. Täglich würden Hunderttausende von Paketen aus Asien die Schweiz erreichen.

Diese Welle freut alle, die sich auf der Hochpreisinsel Schweiz über die hohen Kleiderpreise ärgern. Welchen Zuschlag sie dort zahlen, hat das Magazin «Beobachter» kürzlich recherchiert. Demnach verlangen die drei grossen Kleiderhändler C&A, H&M und Zara für die gleiche importierte Ware in der Schweiz viel mehr als in Deutschland: durchschnittlich 64 Prozent mehr.

Die Textilbranche hingegen warnt vor einer «Überproduktion von Kleidung mit extrem kurzer Lebensdauer», einem «beispiellosen Anstieg von Textilabfällen», «unerträglichem Druck auf Unternehmen, die hohe Standards einhalten wollen» und einer «Bedrohung von Läden in allen Städten und einer Entleerung der Zentren».

In Europa wie in der Schweiz haben die Textilverbände deshalb den zuständigen Ämtern geschrieben. Die Forderungen sind ähnlich, die Botschaft im Kern die gleiche: «Die Politik muss handeln.»

Konsumenten-Freude, Konkurrenten-Ärger: Online-Shoppen bei Temu
Konsumenten-Freude, Konkurrenten-Ärger: Online-Shoppen bei Temu bild: Keystone

Solche Forderungen wurden noch vor Kurzem in der Regel abgelehnt. Es gab einen Konsens, billige industrielle Ware anzunehmen und schlicht Danke dafür zu sagen. Doch in den USA ist dieser Konsens gefallen. Und während gerade die nächste Welle billiger chinesischer Waren anrollt, wankt er in Europa.

Er wankt, weil Chinas Wirtschaft einer Höllenmaschine gleicht. Sie reagiert nicht auf Warnsignale. Sie donnert nur immer weiter vorwärts. Befeuert von billigen Krediten. Tief gehaltenen Löhnen. Gigantischen CO2-Emissionen. Und vom Ehrgeiz lokaler Bürokraten, die alle die gleichen von Peking bevorzugten Industrien bei sich fördern. Die Folge beschreibt das «Wall Street Journal» lapidar so: «China produziert zu viel Zeug.»

Lange Zeit besteht dieses zu viele Zeug vor allem aus Immobilien. Irgendwann werden Millionen von Wohnungen nicht benutzt, neue Hochhäuser gleich wieder gesprengt und die Missstände auch für Xi Jinping zu viel. Chinas Autokrat flucht über «fiktives Wachstum», diktiert den Banken «rote Linien» – und der Boom endet in einem Crash. Symbol dafür wird der Untergang des zweitgrössten Immobilienkonzerns, Evergrande.

Neue Elektroautos zum Preis von Gebrauchtwagen

Danach vollzieht China eine grosse Rotation, weg von Immobilien und hin zu Industrie. Seither produziert China vor allem zu viele industrielle Waren: zu viel Glas, zu viel Stahl, zu viel Kohle, zu viel Zement, zu viel Aluminium, zu viel Solarpanels. Zu viel, zu viel. Für China, oft für die ganze Welt.

Das ist nicht nur für den Rest der Welt ein Problem, sondern auch für China selbst. Es produziert beispielsweise zu viele Elektroautos. Die Schwemme ist so gross, dass viele Hersteller zu Verzweiflungstaten greifen. Sie lassen brandneue Autos, ohne einen einzigen Kilometer auf dem Zähler, als Gebrauchtwagen verkaufen –  zu Preisen von Gebrauchtwagen.

Solche Grotesken im Verkauf widerspiegeln sich in Grotesken in den Bilanzen. Das hat die «Financial Times» in einer Analyse der 16 grössten Hersteller festgestellt. Mehr als ein Drittel verdient demnach zu wenig Geld, um bald anfallende Schulden zahlen zu können.

«Eine Phase der Elimination» werde kommen, sagt ein Analyst. BYD, der grösste Hersteller, rüstet sich für eine «grosse finale Schlacht». Der Chef von Konkurrent «Great Wall Motor» meint wiederum BYD, als er sagt: «Es existiert ein Evergrande in Chinas Autosektor. Es ist nur noch nicht explodiert.»

epa10974398 People work in BYD electric cars factory in Changzhou, Jiangsu Province, China, 14 November 2023. According to published data, the output of BYD Changzhou base from January to July this ye ...
China produziert zu viele Elektroautos. Bild: EPA

Xi versucht, die Geister einzufangen, die er herbeigerufen hat. So wie er es beim Immobilienboom getan hat. Er lässt die Staatsmedien schimpfen über «verdeckte Preissenkungen, die die Marktordnung stören». Er nennt es «Involution», einen involutionären Wettbewerb, der viel Schaden anrichte, und verordnet: «Die Involution muss dringend wirksam korrigiert werden.»

«China rettet die Welt vor dem Klimawandel»

Genial ist dagegen, wie China die Produktion von grünen Technologien ausweitet. In der Massenproduktion gelingt es China mehr oder weniger im Alleingang, die Kosten von Solarzellen weit nach unten zu drücken, auch von Windturbinen und Elektroautos. So weit nach unten gar, dass die Welt einen Wendepunkt überschreitet.

Grüne Technologien sind heute günstiger als ihre fossilen Konkurrenten. Strom aus Wind oder Sonne kostet weniger als Strom aus Öl oder Kohle. Die Welt muss nicht mehr wählen, ob sie weniger Treibhausgase ausstossen oder günstigen Strom produzieren will. Sie kann beides tun. Der Starökonom Noah Smith schreibt dazu: «China rettet still und leise die Welt vor dem Klimawandel.»

In den USA und in Europa glaubt man lange, Chinas Probleme seien nur Chinas Probleme, nicht die eigenen. Laut Ökonomen profitieren die Konsumenten von billigen Produkten, verdrängte Arbeiter finden neue Jobs oder können vom Staat entschädigt werden. Andere glauben an «Wandel durch Handel». Sprich, China wird sich durch den Handel hin zu westlichen Ideen wandeln. Klingt schön, klingt überzeugend, erweist sich als naiv.

Diese Wohlfühlblase wird erstmals im Jahr 2016 durch die Studie «Der China-Schock» durchgerüttelt. Ihr zufolge verlieren ganze US-Regionen ihre wirtschaftliche Basis, und eine Erholung bleibt aus. Chinas Warenschwemme ist zu gewaltig und zu billig. 2016 kommt Trump ins Weisse Haus, auch mit dem Versprechen an verwüstete Industrieregionen, sie wieder gross zu machen. Trump macht China zum Sündenbock für alles Mögliche.

Trump sauer: China schlägt die USA mit ihren eigenen Waffen

Die Wohlfühlblase platzt endgültig, als Russland die Ukraine angreift und die Europäer von Wladimir Putin eine Lehrstunde erhalten. Sie haben Russland mit ihrem Handel nicht gewandelt. Sie haben sich abhängig gemacht von seinem Öl und Gas. Jetzt werden sie erpresst: Stoppt die Hilfe für die Ukraine oder habt einen kalten Winter.

China kann das auch. Als etwa Litauen seine Beziehungen mit dem von China beanspruchten Taiwan verstärkt, greift es 2021 zu Zwangsmassnahmen. Es sperrt litauische Waren aus – und auch gleich Waren anderer Länder, falls darin litauische Teile verbaut sind. Ähnlich verfährt Peking bei den seltenen Erden.

Neu müssen sich ausländische Unternehmen den Export industrieller Magnete genehmigen lassen, wenn diese auch nur Spuren von aus China stammenden seltenen Erden enthalten. Darüber schimpfen die USA zwar lauthals, China schade so «seinem Ansehen in der Welt». Aber den Trick hat China von ihnen abgeschaut. Die USA nutzen ihre Technologie wie China die Seltenen Erden: Ist US-Technologie drin, sollen US-Regeln gelten.

Jetzt droht ein «weiterer China-Schock», titelt das «Wall Street Journal» kürzlich. Dieser zweite Schock könnte den ersten übertreffen. Der erste Schock ist hart genug, aber damals ist Chinas Wirtschaft kleiner und produziert vor allem zu viele Immobilien. Hochhäuser kann man nicht exportieren. Waren schon. Und davon hat China heute viel zu viel. Soll man sie einfach annehmen, wenn man sie angeboten bekommt? Die Antwort ist lange klar gewesen, heute nicht mehr.

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Paris Fashion Week 2025 für Frühling / Sommer 2026
1 / 32
Paris Fashion Week 2025 für Frühling / Sommer 2026

Vom 29. September bis zum 7. Oktober zeigen die Designer in Paris ihre Kollektionen für Frühling / Sommer 2026. Mit dabei: zahlreiche Stars.

quelle: keystone / mohammed badra
Auf Facebook teilenAuf X teilen
Hypercar-Auktion: Liebe des Lebens vs. Auto
Video: watson
Das könnte dich auch noch interessieren:
Du hast uns was zu sagen?
Hast du einen relevanten Input oder hast du einen Fehler entdeckt? Du kannst uns dein Anliegen gerne via Formular übermitteln.
187 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
Laborant
16.10.2025 10:53registriert November 2019
Gibt es denn eine Garantie dafür, dass die Made in China T-Shirts die man in Manor und co. bekommt nachhaltiger produziert wurden? Habe auch schon 60 Stutz für ein T-Shirt ausgegeben, das nach dem ersten Waschgang komplett verzogen war.
Auf den Preis kann man also schonmal nicht gehen.
13617
Melden
Zum Kommentar
avatar
Doppelhorn
16.10.2025 11:10registriert Oktober 2017
Der aggressive Auftritt von Temu/Shein ist ein Scheinproblem. Der Elefant im Raum ist dass weder die Branche selber noch die Lobby-Politiker welche sie vertritt, ein Interesse haben, die eklatant überrissenen Preise für identische Produkte im Vergleich zum EU-Raum zu adressieren. Es ist auch klar warum: Der Aufpreis ist genau so gewollt. Nur deshalb wird in Richtung China abgelenkt.
879
Melden
Zum Kommentar
avatar
karlheinzli
16.10.2025 10:23registriert Juli 2024
Das ganze dann nach 2-3x tragen mit gutem gewissen in die Altkleidersammlung, welche dann zurück in ein 3. weltland gesendet wird, auf einen Haufen/Grube gekippt manchmal auch einfach offen verbrannt. Schön das Grundwasser und die Umwelt X mal mehr belasten als mit dem Kauf ohnehin schon.
7819
Melden
Zum Kommentar
187
Von wegen «Bullshit»: Wegzug der UBS bleibt eine reale Gefahr
UBS-Chef Sergio Ermotti und Stadler-Patron Peter Spuhler wird «Erpressung» vorgeworfen. Dieses polemische Framing ist gefährlich für die Schweiz.
Sollte die Erbschaftssteuer-Initiative der Juso an diesem Sonntag abgelehnt werden, gehen einige Nein-Prozentpunkte zweifellos auf das Konto von Peter Spuhler. Der Eigentümer des Bahnbauers Stadler sagte schon im Sommer letzten Jahres, er würde auswandern, sollte die Initiative angenommen werden. Denn seine Nachkommen müssten mindestens 1,5 Milliarden Franken Steuern zahlen, würde die Initiative angenommen; sie müssten dazu die Firma verkaufen.
Zur Story