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So landen Altkleider auf dem Abfallberg der chilenischen Atacama-Wüste

Der Fast-Fashion-Friedhof in der Atacama-Wüste wächst ins Unermessliche

Die Altkleider-Mülldeponie in der südamerikanischen Atacama-Wüste steht sinnbildlich für die Auswüchse der globalen Fast-Fashion-Industrie. Verbessert haben sich die Zustände noch immer nicht – im Gegenteil.
09.06.2023, 10:3510.06.2023, 00:54
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Du hast dich bestimmt auch schon einmal gefragt, was mit deinen Kleidern passiert, die du entsorgt hast?

Die schöne Vorstellung: Dein Sportshirt ist im Schrank eines Nachwuchs-Ronaldinho gelandet. Die weniger schöne Vorstellung: Das T-Shirt liegt auf einer Müllhalde mitten in der Wüste – möglicherweise für hunderte von Jahren.

epa05443683 Secondhand sport jerseys are displayed at a stall at the Gikomba open-air market in Nairobi, Kenya, 27 July 2016. Gikomba market is said to be the biggest secondhand clothes market in East ...
Secondhand-Sporttrikots werden auf einem Markt in Nairobi, Kenia, verkauft. Die Kleider stammen hauptsächlich aus Nordamerika und Europa.Bild: EPA/EPA

Das Problem bei vielen Kleidungsstücken: Sie bestehen aus synthetischen Materialien, die nicht biologisch abbaubar sind, etwa Polyester. Im Schnitt dauert es 500 Jahre, bis sie verrotten. Egal, aus welchen Stoffen die Altkleidungsstücke bestehen: In der Schweiz wird der grösste Teil der noch brauchbaren Klamotten ins Ausland verkauft – hauptsächlich nach Osteuropa, Russland, Afrika und in den Nahen Osten.

Verkauft? Die Schweiz wirtschaftet mit der Weitergabe von Altkleidern ins Ausland? Nun: Dem Bundesamt für Umwelt (BAFU) zufolge dient der Verkaufserlös in erster Linie dazu, die Sammel- und Sotierkosten zu decken. Überschüsse würden gemeinnützigen Zwecken zugutekommen.

Tarnung zur Entsorgung von Textilmüll

Um einen halbwegs fairen Tausch handelt es sich einer Greenpeace-Recherche zufolge aber dennoch nicht. «Durch den Export von Altkleidern hat der Globale Norden ein Hintertürchen gefunden, um seine nicht recyclefähigen Textilabfälle loszuwerden, und zwingt die Länder des Globalen Südens, sich mit diesen Abfallbergen auseinanderzusetzen», sagt Michelle Sandmeier von Greenpeace Schweiz gegenüber SRF.

In this photo taken Monday, Oct. 24, 2016, a worker climbs on top of bulk secondhand clothing imported from Italy at the the Invotex warehouse in Dakar, Senegal. Secondhand T-shirts, jeans and dresses ...
Tonnen von Altkleidung, die Senegal aus Italien importierte. Bild: AP
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Auf den Märkten in Senegal werden unbeschädigte Kleidungsstücke zu einem Bruchteil des Originalpreises weiterverkauft.Bild: EPA

Einer dieser gigantischen Altkleider-Abfallberge liegt in der südamerikanischen Atacama-Wüste, die vom Pazifischen Ozean bis zu den Anden reicht. Chile ist weltweit einer der grössten Importeure von unverkäuflicher und gebrauchter Kleidung. Alleine im letzten Jahr importierte das Land chilenischen Zollstatistiken zufolge 44 Millionen Tonnen Altkleider aus Europa, Asien, Nord-, Mittel- und Südamerika.

Doch zu welchem Zweck führt der beinahe 20-Millionen-Staat so viele Klamotten ein, die im Globalen Norden niemand mehr tragen will?

Einfallstor für unseren Müll

Drehscheibe für den Import ist die nahe gelegene Hafenstadt Iquique. Wöchentlich werden hier Tonnen von Textilien in Altkleidercontainern eingeführt – zollfrei. Denn: Die Ortschaft ist eine von mehreren Freizonen Chiles. Heisst: Der internationale Warenaustausch wird durch keine Zollformalitäten wie Gebühren oder Steuern behindert, was Wirtschaft und Handel ankurbelt.

A large pile of second-hand clothing covers the sand near La Mula neighborhood in Alto Hospicio, Chile, Monday, Dec. 13, 2021. Chile is a big importer of second hand clothing, and unsold clothing gets ...
Ein grosser Haufen gebrauchter Kleidung bedeckt den Sand in der Nähe des Viertels La Mula in Alto Hospicio, Chile, 2021. Bild: AP
Alexis Carreno looks through a large pile of second-hand clothing near La Mula neighborhood in Alto Hospicio, Chile, Monday, Dec. 13, 2021. Chile is a big importer of second hand clothing, and unsold  ...
Ein Mann inspiziert ein unverkauftes T-Shirt.Bild: AP
A large pile of second-hand clothing covers the sand near La Mula neighborhood in Alto Hospicio, Chile, Monday, Dec. 13, 2021. Chile is a big importer of second hand clothing, and unsold clothing gets ...
Chile ist einer der weltweit grössten Importeure von Secondhand-Kleidung. Kleider, die sich nicht weiterverkaufen lassen, landen oftmals in der Wüste.Bild: AP

Seit der Einführung des Hafens im Jahr 1975 hat sich das Leben der lokalen Bevölkerung verbessert. «Für die Bewohner war die Einführung des zollfreien Hafens eine Revolution. Plötzlich konnten sie sich Dinge leisten, von denen sie zuvor nicht einmal zu träumen wagten – zum Beispiel ein eigenes Auto», sagt der Soziologe Bernardo Guerrero gegenüber «National Geographic».

Fast-Fashion-Friedhof mitten in der Wüste

Anreize schaffen unter anderem die vielen importierten Kleider. Berichten zufolge handelt es sich grösstenteils um ungetragene Kleidungsstücke – von allen möglichen Fast-Fashion-Modebrands wie Zara, H&M und Co. Von der lokalen Bevölkerung werden die meist billig produzierten Kleider aussortiert, gewaschen und auf den Märkten weiterverkauft. Was nicht mehr vertrieben werden konnte, landet oftmals in der Atacama-Wüste.

«Wir sind nicht mehr nur der lokale Hinterhof, sondern vielmehr der Hinterhof der Welt.»
Patricio Ferreira, Bürgermeister der chilenischen Wüstenstadt Alto Hospicio

Illegal werden in der Wüste Schätzungen zufolge jährlich rund 40'000 Tonnen Kleider entsorgt. Altkleider und Schuhe türmen sich in der sonst für ihre weitläufigen Salzebenen bekannten Landschaft zu einem gigantischen Müllberg.

«Wir sind nicht mehr nur der lokale Hinterhof, sondern vielmehr der Hinterhof der Welt, was noch schlimmer ist», sagte Patricio Ferreira, Bürgermeister der Wüstenstadt Alto Hospicio, gegenüber AFP. Dass es sich hierbei um keine Übertreibung handelt, zeigen neue Satellitenbilder: Der Schandfleck ist mittlerweile bereits vom All aus sichtbar.

Verheerende Folgen für Mensch und Umwelt

Die Verschmutzung tut nicht nur dem Auge weh, sondern ist auch eine Bedrohung für Mensch und Umwelt. Angespornt durch den unstillbaren Hunger auf Fast-Fashion ist die Menge an Abfall schon so gross, dass die Vereinten Nationen von einem «Notfall für Umwelt und Gesellschaft» sprechen.

Demonstrators taking part in a global protest on climate change are reflected in a clothing store window, in Santiago, Chile, Friday, Sept. 20, 2019. Across the globe, hundreds of thousands took to th ...
Demonstranten, die an einem Klimaprotest teilnehmen, spiegeln sich in einem Schaufenster eines Bekleidungsgeschäfts in Santiago, Chile, 2019. Bild: AP

Denn: Oftmals werden Teile der Mülldeponien angezündet, um sie zu minimieren. Mit verheerenden Folgen: Die Materialien sind leicht entflammbar und verschmutzen die Luft. Dies betrifft vor allem die Menschen, die in den besiedelten Wüstengebieten leben. Zudem ist das Ökosystem der Wüste fragil. Einige Kaktusarten gelten aufgrund des Klimawandels bereits als ausgestorben.

«Wir haben einmal damit begonnen, auszuräumen, aber dann hinterlassen sie ihren Dreck eben einfach ein Stück weiter.»
Patricio Ferreira

Die Regierung sieht keinen Handlungsbedarf und kümmert sich um andere Probleme, wie Korruption, Gewalt und illegale Immigration. Bürgermeister Ferreira versucht, gegen die Mülldeponie vorzugehen. Doch er steht dem Abfallproblem machtlos gegenüber: «Das sind skrupellose Menschen aus aller Welt, die hierherkommen, um ihren Müll zu entsorgen. Wir haben einmal damit begonnen, auszuräumen, aber dann hinterlassen sie ihren Dreck eben einfach ein Stück weiter.»

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165 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Bikemate
09.06.2023 11:18registriert Mai 2021
Teilweise ist die Qualität echt schwer zu erkennen. Ich hatte schon Markenklamotten, die nur sehr kurz gehalten haben, und günstige Teile, die nicht kaputt zu kriegen sind. Wenn etwas lange hält, trage ich es auch lange, ich denke das ist das einzige, was man als Einzelperson beitragen kann.
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Hadock50
09.06.2023 10:59registriert Juli 2020
Fastfashion gehört dringend weltweit verboten.
Schlecht für Umwelt + moderne Sklaverei....sehr wenige profitieten.
Verbieten oder sehr strenge vorgaben...wobei verbieten einfacher umzusetzten wäre.
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FJ97
09.06.2023 11:47registriert August 2022
Nicht nur die Überproduktion ist ein Problem sondern auch das ewige auf gut Glück bestellen, anprobieren, gratis zurückschicken. Denkt mal drüber nach.
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